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Die GrenzgängerNina Müller und Marcin Piekoszewski betreiben in der Neuköllner Sanderstraße die deutsch-polnische Buchhandlung Buchbund. Binnen kürzester Zeit wurde der Laden zu einem intellektuellen Treffpunkt des polnischen Berlin. Aber auch Deutsche, die sich für Polen und polnische Literatur interessieren, sind hier richtig„Was in deutschen Medien zu lesen ist, reicht nicht“

Interview Uwe RadaFotos Amélie Losier

taz: Angenommen, ich will nach Polen fahren und mich vorher mit Literatur eindecken: Wäre ich im Buchbund am richtigen Ort?

Marcin Piekoszewski: Das ist eine der häufigsten Fragen, die wir bekommen. Viele unserer Kunden sind Touristen, die nach Polen reisen.

Was sind die beliebtesten Reiseziele?

Piekoszewski: Als erstes Breslau, dann Warschau, dann Krakau.

Nina Müller: Dass Breslau an Nummer eins liegt, hat auch damit zu tun, dass die Stadt dieses Jahr europäische Kulturhauptstadt ist.

Und Danzig, Posen und Stettin?

Müller: Weniger. Und Stettin überhaupt nicht. Seltsam.

Sie können am Verkauf der Bücher messen, wie sich das Reiseland Polen entwickelt?

Piekoszewski: Nicht nur das. Wir können auch sehen, was an der polnischen Geschichte das deutsche Publikum gerade interessiert. Vor kurzem war eine Frau bei uns, die wissen wollte, was es zum Warschauer Aufstand gibt. Sie wollte nach Warschau fahren und kannte bis dahin nur den Ghetto-Aufstand.

Müller: Meistens ist es aber so, dass die Kunden nach einer Reise nach Polen kommen und das ein oder andere noch vertiefen wollen.

Und wenn ich reinkomme und frage, was denn in Polen los ist mit der Regierung? Bin ich da auch richtig?

Müller: (lacht) Sie sind immer richtig bei uns. Und wenn Sie nur Pakete abholen oder einen Schlüssel für einen Freund hinterlegen wollen. Letztens kam eine Studentin und fragte aufgeregt, was wir uns dabei denken, Roman Polanskis Biografhie ins Schaufenster zu legen.

Wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung in den 70er Jahren.

Müller: Da hab ich so was von einer Standpauke gekriegt. Aber im Ernst: Oft rufen bei uns auch Journalisten an und wollen wissen, was es Aktuelles zu Polen gibt. Da geht es eher um Hintergrundwissen.

Was ist der Buchbund eigentlich: eine Buchhandlung, ein Treffpunkt des polnischen Berlin? Eine Nachbarschaftsinstitution?

Piekoszewski: Wir sind von allem etwas. Und wir sind inzwischen auch Neuköllner geworden. Die Leute kommen mit Ideen zu uns, da geht es um Treffen, Veranstaltungen. Wir arbeiten nicht nur mit anderen polnischen Initiativen zusammen, sondern auch mit der israelischen Community, junge amerikanische Künstler kommen zu uns. Wir sind ein offener Ort.

Und dann sind Sie auch noch Anlaufstelle der linken Opposition der Polen in Berlin.

Piekoszewski: Die jungen Leute, die aus Polen nach Berlin gekommen sind, sind aktiv. Sie wollen hier etwas machen, was sie in Polen nicht können. Es ist also kein Zufall, dass der Berliner Ableger von Razem hier entstanden ist.

Der polnischen, unabhängigen linken Partei mit dem Namen „Gemeinsam“, die bei den Wahlen in Polen knapp an der Fünfprozenthürde scheiterte. Wer von Ihnen hatte die Idee mit einer deutsch-polnischen Buchhandlung?

Müller: Das war unser beider Idee. Wir streiten uns nur, wer die Idee mit dem Namen hatte. Ich behaupte, dass die Idee von mir kommt, als wir noch in Krakau gelebt haben. Damals hatte ich die Schnapsidee, in Krakau einen deutschsprachigen Buchladen zu eröffnen. Und hab gesagt, dass ich die dann Buchbund nennen würde. Aber Marcin bestreitet diese Version. Er behauptet, er habe sich das ausgedacht.

Piekoszewski. Ja klar, das war so.

Müller: Das lässt sich wohl nicht mehr überprüfen. Die Idee ist gewachsen.

Warum ist vor Ihnen niemand auf diese Idee gekommen? Es gibt fast 200.000 Berlinerinnen und Berliner mit polnischer Muttersprache, die auch gerne polnische Bücher kaufen. Es gibt viele polnische Künstler und Schriftsteller in Berlin …

Piekoszewski: Es gab bereits eine polnische Buchhandlung in den Achtzigern, aber das war mehr politisch. Ich hab dann geschaut, wie das mit den englischsprachigen Buchhandlungen in Berlin läuft. Da gibt es für 30.000 Amerikaner und Engländer vier oder fünf gute Buchhandlungen. Und natürlich wollten wir zeigen, dass das polnische Berlin nicht nur das der Putzfrauen und Klempner ist. Deswegen stellen wir Walter Benjamin in der polnischen Ausgabe bei uns ins Fenster. Die Deutschen sollen sehen, dass auch der polnische Buchmarkt sehr vielfältig ist.

Müller: Wir wollten aber nicht nur in die polnische Nische und für die polnische Community Bücher besorgen. Uns sind auch die Deutschen wichtig, die sich für Polen interessieren. Das sind ja auch wir beide. Das wollten wir hier auch widerspiegeln.

Spiegelt sich das auch bei den Kunden wieder?

Müller: Ja, das hat auch damit zu tun, dass wir jetzt mehr deutsche und englische Bücher haben und im Kiez bekannt sind. Deswegen kommt auch mehr Laufkundschaft. Bei den Büchern aus und über Polen ist es so, dass die Hälfte der Kunden Polen sind und die andere Hälfte interessierte Deutsche.

Nina Müller & Marcin Piekoszewski

Die Macher: Nina Müller würde 1980 in Franken geboren und studierte Osteuropastudien an der FU Berlin und in Krakau. Marcin Piekoszewski, Jahrgang 1973, studierte in Krakau Anglistik und arbeitete als Journalist und Übersetzer. In Krakau haben sich die beiden kennengelernt.

Das Geschäft: Vor fünf Jahren gründeten die beiden die deutsch-polnische Buchhandlung Buchbund in der Sanderstraße 8 in Nord-Neukölln.

Die Politik: Im Buchbund wurde im vergangenen Jahr auch der Berliner Ableger der linken polnischen Partei Razem gegründet. Razem heißt „gemeinsam“ und versteht sich auch als Bewegung von unten, ähnlich wie Podemos in Spanien.

Der offene Ort: Im Buchbund kann man auch Espresso trinken, plaudern, Polnisch lernen oder eine der zahlreichen Veranstaltungen besuchen, Termine hier: buchbund.de. (wera)

Vielen ist der Buchbund wegen seiner zahlreichen Lesungen und Veranstaltungen bekannt.

Piekoszewski: Gewünscht haben wir uns das von Anfang an, aber wir haben beide nicht gedacht, dass es so schnell so viel werden würde.

Sind Sie damit auch zu einer Konkurrenz für das Polnische Institut geworden?

Piekoszewski: Das war nie unser Ziel gewesen. Das wäre auch anmaßend. Das Polnische Institut agiert auf einer ganz anderen Ebene. Wir sind überhaupt keine Konkurrenz.

Könnte sich das ändern, wenn auch das Polnische Institut in Berlin von Warschau auf Linie gebracht wird? Wäre dann der Buchbund die Alternative zu einem Sprachrohr der Kulturpolitik der nationalkonservativen PiS?

Piekoszewski: Das könnte sein. Bisher ist es aber so, dass wir uns ergänzen.

Müller: Es ist gut möglich, dass dann Autoren zu uns kommen, die vom Polnischen Institut nicht mehr eingeladen werden.

Piekoszewski: Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir das hier mit wenigen Leuten machen. Dennoch haben wir immer neue Ideen. Zum Beispiel würden wir gerne polnische Reporter, die kritisch über Polen berichten, nach Berlin einladen. Da geht es dann nicht nur um die Politik der PiS, sondern auch um den Zustand der polnischen Gesellschaft. Für das deutsche Publikum gibt es dazu in Berlin sonst keine Gelegenheit. Das, was in den deutschen Medien zu lesen ist, reicht nicht.

Als in Köln eine Demo für Erdoğan stattfand, wurden viele Türken gefragt, wo sie eigentlich leben, in der Türkei oder in Deutschland. Wie steht es um die Berliner Polen?

Piekoszewski: Die polnische Community ist auch hier gespalten. Bei den Demonstrationen, die Razem oder das Komitee zur Verteidigung der Demokratie organisiert haben, gab es Gegendemonstranten, die für die Regierung demonstriert haben.

Müller: Die Mehrheit der Polen, die in den letzten Monaten kamen, sind aber keine Unterstützer der PiS.

Piekoszewski: Das stimmt, die Mehrheit der Polen in Berlin ist anders. Viele schämen sich über das, was in Polen passiert. Andere engagieren sich demonstrativ für Flüchtlinge.

Müller: Die Polen, die sonntags zum Südstern in die Kirche gehen, sind nicht die, die bei uns ein Buch kaufen.

Wenn in Deutschland von Polen die Rede ist, geht es vor allem um die Themen Mediengesetz oder das Verfassungsgericht. Die Tatsache, dass die PiS nicht nur mit einem na­tio­nalkonservativen, sondern auch einem sozialdemokratischen Programm die Wahlen gewonnen hat, ist weniger bekannt.

Piekoszewski: Zum ersten Mal überhaupt gibt es in Polen Kindergeld. Warum gab es das vorher nicht? Die alte Regierung hatte gesagt, dafür gebe es kein Geld. Auch deshalb sind sie abgewählt worden. Die Bürgerplattform hat da versagt. Das Problem ist, dass die PiS durch ihre Sozialpolitik viel Rückhalt hat. Vielleicht werden sie nicht nur vier, sondern acht Jahre regieren.

Müller: Aber willst du damit sagen, dass die Leute wegen dem Kindergeld PiS gewählt haben?

Piekoszewski: Natürlich spielte auch die Flüchtlingskrise eine Rolle. Aber eben auch, dass die soziale Schere unter der alten Regierung noch weiter auseinandergegangen war.

Razem, die Partei, deren Berliner Ableger sich im letzten Jahr gegründet hat, versteht sich auch als polnische Variante der spanischen Podemos. Als eine linke Antwort auf die Krise statt einer rechtspopulistischen. Was hat Sie bewogen, diese Partei oder Bewegung zu unterstützen?

Piekoszewski: Für mich ist interessant, wie das weitergeht in einer Gesellschaft, die für viele sehr konservativ und rechtspopulistisch erscheint. Razem sagt, dass die Gesellschaft nicht so konservativ ist, wenn es etwa um Werte geht. Aber ich denke, die griechischen und spanischen Gesellschaften sind da sicher weiter. Trotzdem ist es wichtig, dass es endlich eine moderne Linke gibt. Das, was sich zuvor all die Jahre links genannt hat, war ein Witz. Diese Linke hat die ganze neoliberale Politik immer mitgetragen. Vielleicht musste die PiS erstmal gewinnen, damit Razem entstehen kann.

Klingt nicht gerade optimistisch.

Piekoszewski: Das betrifft aber nicht nur Polen und die ehemaligen Ostblockstaaten. Das haben wir auch in Frankreich, in Österreich, in Dänemark. Im Grunde sind Deutschland und vor allem Berlin eine Insel der Seligen. Die müssen wir verteidigen. Auch die Polen, die hier leben.

Profitieren Sie nicht auch von der Situation in Polen? Für die weltoffenen Polen, die nach Berlin kommen, müssten Sie ja die erste Anlaufstelle sein?

„Berlin ist eine Insel der Seligen. Die müssen wir ver­teidigen. Auch die Polen, die hier leben“

Marcin Piekoszewski

Piekoszewski: (lacht) Natürlich. Am besten wäre es, wenn Polen jetzt auch noch eine Diktatur werden würde. Aber im Ernst. Damit haben wir auch eine große Verantwortung. Wir werden am Ende sehen, ob wir dieser Verantwortung gerecht werden.

Müller: Ich finde es manchmal ärgerlich, wie einige Deutsche darauf reagieren. Als ob es etwas Selbstverständliches ist, dass jetzt ausgerechnet Polen in diese Ecke abdriftet. Als hätten sie nur darauf gewartet. Warum regen sie sich nicht darüber auf, was in Dänemark passiert?

Gibt es bei Ihnen als deutsch-polnischem Paar manchmal auch Kontroversen, wenn es um Polen geht?

Müller: Politisch eher weniger.

Piekoszewski: Wir stehen beide unseren Ländern kritisch gegenüber.

Müller: Anders ist es, wenn es um vermeintlich kulturelle Unterschiede geht.

Zum Beispiel?

Müller: Bei der Erziehung der Kinder. Soll man sie am Spielplatz an der langen Leine lassen oder könnte da was passieren?

Wer lässt eher an der langen Leine?

Müller: Mein Part. Oder die berühmte Mütze, die czapka, ohne die die Kinder schon bei leichtem Wind nicht rausdürfen. Czapka ist ein Muss. Die Deutschen und die Polen haben manchmal verschiedene Vorstellungen darüber, wie gefährlich die Welt für Kinder sein kann.

Als Polen am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten ist, war viel von einer Asymmetrie der Interessen die Rede. Die Polen interessieren sich viel mehr für Deutschland als die Deutschen für Polen. Ist es in der Literatur genauso?

Müller: Wir kennen keine Statistiken, aber ich habe nach wie vor den Eindruck, dass mehr polnische Literatur ins Deutsche übersetzt wird als umgekehrt.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Piekoszewski: Die Deutschen lesen mehr. Sie haben auch mehr Interesse an anderssprachigen Literaturen.

Müller: Das Interesse an polnischer Literatur ist in den fünf Jahren, in denen wir jetzt hier sind, deutlich gewachsen. Deswegen haben wir ja nicht nur Originalliteratur aus Polen hier, sondern auch die deutschen Übersetzungen. Da geht es um zeitgenössische Autoren wie zum Beispiel Andrzej Stasiuk, Joanna Bator und Olga Tokarczuk oder auch um die Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts, bei mir sind das vor allem Witold Gombrowicz und Bruno Schulz.

Die kann man auch in deutschen Buchhandlungen kaufen, mit der polnischsprachigen Literatur ist es schon schwerer. Wie geht das ganz praktisch? Wie kommen Sie an die Bücher von polnischen Verlagen?

Nina Müller über deutsche Leserinnen und Leser: Das Interesse an polnischer Literatur ist in den fünf Jahren, in denen wir jetzt hier sind, deutlich gewachsen. Deswegen haben wir nicht nur Originalliteratur aus Polen hier, sondern auch die deutschen Übersetzungen

Piekoszewski: Ich bestelle die Bücher bei den Verlagen übers Internet und fahre dann alle zwei, drei Wochen nach Stettin, wo ich sie abhole. Dadurch können wir die Preise relativ niedrig halten. Das ist dann immer noch günstiger, als wenn man sie etwa bei den Onlineportalen im Netz bestellt, weil dort ziemlich hohe Portokosten anfallen. Dass Polen so nahe an Deutschland ist, ist ein Vorteil. Wenn wir eine deutsch-französische Buchhandlung wären, wären unsere Transportkosten und die Preise höher. Und gleichzeitig ist es ein Nachteil, weil die Berliner Polen natürlich selber nach Polen fahren, um Bücher zu kaufen.

Wie groß ist die Spanne auf den polnischen Preis?

Piekoszewski: Etwa zwei Euro pro Buch. Wenn Sie aber drei Bücher kaufen, berechnen wir das nicht.

Womit machen Sie den Haupt­umsatz? Mit deutscher oder mit polnischer Literatur?

Piekoszewski: Der Anteil bei den deutschen Büchern steigt. Für die Leute im Neuköllner Norden sind wir ja eine ganz normale Buchhandlung, bei der man jedes lieferbare Buch bis zum nächsten Tag bestellen kann. Was uns sehr freut, ist, dass die deutschen Bibliotheken inzwischen polnische Bücher bestellen. Sie wollen den polnischsprachigen Nutzern in Hamburg oder Berlin auch polnische Literatur in der Originalsprache zur Verfügung stellen.

Können Sie vom Buchbund leben?

Piekoszewski: Ja, wir leben davon. Aber nach Weihnachten gibt es manchmal ein Loch, da müssen wir uns auch anderweitig umschauen. Wir haben beide auch ab und zu Nebenjobs. Aber das betrifft ja nicht nur uns, sondern viele Buchhändler.

Müller: Wir vermieten auch den Raum, etwa für Polnischkurse. Wenn jemand damit Geld verdient, verlangen wir dafür natürlich auch ein bisschen Geld für die Miete.

Welche Ziele haben Sie sich gesteckt? Wo soll es mit dem Buchbund hingehen?

Piekoszewski: Eine schöne Idee wäre ein Verlag. Ein Buch haben wir bereits herausgegeben. Gerade arbeiten wir mit den Übersetzern Lisa Palmes, Lothar Quinkenstein und Martin Brand vom Verein Trialog an einem zweiten. Das ist immer mit den Gesprächsreihen verbunden, die wir alle zusammen organisieren. Aber das wächst sehr langsam.

Müller: Ich frage mich manchmal, was die Zukunft bringen wird. Unsere Tochter ist mit dem Buchbund groß geworden, sie wächst in dieser zweisprachigen Welt bei uns auf. Als es in der CDU die Debatte gab, den Doppelpass abzuschaffen, habe ich etwas Angst bekommen und mich gefragt: All das, was wir jetzt als normal empfinden, könnte irgendwann auch wieder verschwinden.

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