Die Fußballerinnen von Turbine Potsdam: Ein Traditionsclub erfindet sich neu
Letzte Saison musste sich Turbine Potsdam mit Platz sieben begnügen. Doch dieses Jahr hat das Team gute Chancen auf die Meister schaft. Woran liegt's?
Zur Herbstmeisterschaft gab es einen 8:0-Kantersieg, überschwängliches Lob vom Gegner und eine Botschaft aus Frankfurt von Siegfried Dietrich: „Potsdam ist für uns momentan ein Vorbild, wie eine Mannschaft einen Umbruch hinbekommt“, sagte der Manager und Investor des FFC Frankfurt, großer und umstrittener Strippenzieher des deutschen Frauenfußballs.
Die längste Zeit seiner Laufbahn hat der langjährige Rivale Turbine nicht so laut zur Tabellenführung gratuliert. Aber Zeiten ändern sich, die großen Favoriten auf die Meisterschaft heißen mittlerweile Wolfsburg und Bayern, und Siegfried Dietrich fängt an, viel für den Erfolg von Turbine Potsdam übrigzuhaben. Es freue ihn, dass die Mannschaft oben stehe. „Das spricht dafür, dass nicht nur Geld Tore schießt.“
Das klang ein bisschen ironisch aus dem Mund des Mannes, der das Geld überhaupt erst in den deutschen Frauenfußball holte. Aber die Wiedergeburt des Traditionsvereins Turbine Potsdam inspiriert. Trotz der jüngsten 0:1-Heimniederlage am Sonntag gegen Freiburg liegen die Potsdamerinnen auf guter Position im Meisterschaftsrennen. Es war erst die zweite Niederlage überhaupt in der Liga in dieser Spielzeit, beide Male gegen Freiburg. Ansonsten: Alles glänzend, alles auf Aufbruch. Und für viele Beobachter eine Überraschung.
Gegen die finanzstarken und mit Nationalspielerinnen gespickten Teams aus München und Wolfsburg ist Potsdam diese Saison mehr als ebenbürtig, spielte lange den attraktivsten Fußball der Liga und schlug beide Titelfavoriten in deren eigenem Stadien. Es ist jetzt schon eine überragende Saison: Aktuell ist man Zweiter, drei Punkte Rückstand auf Wolfsburg. Turbine könnte zum ersten Mal seit 2012 wieder Meister werden. Und der neue Trainer Matthias Rudolph, der nach der letzten Krisensaison das Amt von Dauercoach Bernd Schröder übernahm, muss sich immer wieder fragen lassen: Was hat er bloß mit dem Team gemacht?
Matthias Rudolph lacht. Der 34-Jährige, immer ruhig und bescheiden, diskutiert sein eigenes Verdienst ungern. Lieber nennt er Dinge wie „Abwehrstärke“ und „hohe Trainingsqualität“. Aber er sagt auch: „Der große Unterschied zu letztem Jahr ist, dass die Mannschaft geschlossen ist. Sie ist ein Team. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen.“
Natürlich hat Rudolph mehr getan: Er hat bei Turbine die Viererkette eingeführt, er hat das Training taktischer werden lassen, er hat Verteidigerin Tabea Kemme höchst erfolgreich in den Sturm zurückbeordert, um nur einiges zu nennen. Rudolph selbst aber erwähnt vor allem immer wieder „Zusammenhalt und Chemie“, das ist ihm wichtig. „Es geht darum, offen zu kommunizieren, auch zu kritisieren. Ich hatte das Gefühl, dass es das in der letzten Saison nicht genügend gab.“
Es ist die einzige leise Kritik, die der Cheftrainerdebütant äußert. Bei Vergleichen mit Vorgänger Schröder hält er sich zurück. 45 Jahre hat der autoritäre Schröder Potsdam trainiert und dominiert. Als Rudolph übernahm und große Erfolge feierte, war man schnell dabei, Schröder anhand einer letzten Saison als antiquierten Diktator in Grund und Boden zu schreiben.
Turbine-Trainer Matthias Rudolph
Rudolph, der selbst neben Schröder Ko-Trainer war und die Disziplin schätzte, ärgert das. „Es wird von den Medien irgendwas gesucht, was aneckt und womit sich der aktuelle Erfolg leicht erklären lässt. Irgendwann prallen diese Fragen an einem ab. Es ist im Erfolgsfall immer leicht, zu sagen, die Mannschaft spielt befreiter. Aber sie muss befreit gewesen sein, als sie die Meisterschaft und die Champions League gewonnen hat.“
Er will weiterentwickeln, nicht radikal umbrechen. Trotzdem ist unbestreitbar, dass Rudolph die Atmosphäre bei Turbine verändert hat. Einige Spielerinnen freuten sich sehr laut über die kommunikative, nahbare, freundliche Art des neuen Cheftrainers. Rudolph hat nicht nur Mannschaft und Trainerteam näher zusammengeführt, sondern auch die Spielerinnen untereinander.
Teambuilding will er das nicht nennen, hochtrabende Begriffe sind nicht sein Ding: „Das klingt aufgesetzt. Ich finde, eine Mannschaft muss sich von innen finden.“ Die Pädagogik kommt nicht durch Zufall: Im Hauptberuf ist Rudolph Lehrer. „Der Job hilft mir ganz klar“, sagt er und grinst. „Es gibt viele Parallelen und ähnliche soziale Prozesse.“
Vormittags, wenn Rudolph unterrichtet, übernehmen seine zwei Assistenten das Training. Noch funktioniert so eine Aufteilung. Aber die Branche entwickelt sich rasant weiter. „Wir müssen uns professionalisieren, das ist ganz klar“, sagt Rudolph. Man arbeite daran. Die Potsdamerinnen haben schon jetzt deutliche finanzielle Nachteile gegenüber den zu Männerlizenzvereinen gehörenden Wolfsburgerinnen und Münchnerinnen – die beiden Teams, die zuletzt international früh ausschieden, werden zukünftig eher noch mehr investieren.
Und so bringt die Erfolgssaison von Turbine auch die Frage mit sich, was das hier ist: ein letzter Ausreißer nach oben, bevor Potsdam – wie so viele reine Frauenvereine – langsam zur zweiten Garde wird? Oder ein Vorbild, das es schafft, mit der neuen Zeit Schritt zu halten? Sie wollen das Zweite schaffen.
Rudolph findet, das Investment von Männervereinen im Frauenfußball sei legitim. „Wenn bald RB Leipzig oben auftaucht, wird sich die Konkurrenz noch verschärfen. Mit der Situation müssen Traditionsvereine umgehen können. Man muss das Bestmögliche rausholen.“ Mit verbesserter Infrastruktur soll Turbine punkten und vor allem mit der traditionell guten Jugendarbeit.
Ob das reicht? Zumindest diese Saison reicht es. Wenige Spieltage vor Ende der Saison hat Turbine immer noch gute Chancen auf die Meisterschaft: Der Rückstand auf Wolfsburg beträgt nur drei Zähler, und das direkte Duell steht noch aus. Mit einem Sieg könnte Turbine punktgleich ziehen. Langfristig wird es, das werden sie auch in Potsdam wissen, schwierig. Aber der neue Trainer bringt Optimismus und Ehrgeiz mit. „Turbine hat immer den Anspruch, oben mitzuspielen“, sagt Rudolph. Immer heißt: nicht nur in dieser Saison.
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