Die Clubszene muss nach jwd: An den Rändern der Stadt
Der Club Griessmühle ist von Neukölln nach Niederschöneweide gezogen. Schöne Sache! Und blöd. Es geht um Lärmbelästigung. Wohin mit den Raves?
D er Ärger hat nicht lange auf sich warten lassen. Der beliebte Club Griessmühle, dem an seinem bisheriger Standort in Neukölln im Januar der Mietvertrag nicht verlängert wurde, ist jetzt in Niederschöneweide ansässig. Also irgendwo da draußen, wo jemand wie ich, als Bewohner eines anständigen Berliner Trendbezirks, normalerweise nie hinkommt. Vor zwei Wochen war großes Opening. Mit einer echten Party! Draußen zwar, Open Air, aber immerhin: Es war eine Party.
Und seitdem ist in Niederschöneweide nichts mehr, wie es vorher war. Anwohner beschweren sich über permanentes Bumm-Bumm, beim zuständigen Ordnungsamt gehen Anzeigen ein. Die Klagenden berichten, sie müssten abends den Fernseher lauter stellen, um den Dauerkrach zu übertönen. Und der Aufenthalt im eigenen Garten sei aufgrund der Lärmbelästigung auch nicht mehr möglich.
Ein wenig verwunderlich sind die Reaktionen schon. Die Macher des Clubs glaubten vor der Öffnung ihres Ladens an der Schnellerstraße: „Hier haben wir unsere Ruhe.“ Und verwiesen auf die unmittelbare Nachbarschaft ihres neuen Standorts: ein Autohaus, ein Schnellimbiss, eine Polizeidienststelle. Die Beschwerden kamen dann aber von Bewohnern, die angeben, sie wohnten circa drei Kilometer entfernt vom eigentlichen Ort des Schreckens.
Ich kann jetzt natürlich nicht sagen, wie schlimm es sich anfühlt, wenn man plötzlich den Ton seines eigenen Fernsehers nicht mehr versteht. Mein Fernseher steht sowieso immer auf sehr laut wegen des ständigen Lärms des Verkehrs und des Nachbarn, der immer so laut Reggae hört.
Der Weg nach jwd
Klar ist aber, Situationen wie in Niederschöneweide wird es in Zukunft öfter geben in Berlin. Die Clubs wird es vermehrt an die Ränder der Stadt ziehen. Locations wie die ehemalige Bärenquell-Brauerei, in der nun die Griessmühle residiert, die 20 Jahre lang leer stand und nur drauf zu warten schien, dass sich mal jemand um sie kümmert, gibt es in Friedrichshain oder Kreuzberg ja gar nicht mehr. Da bleibt dann nur noch der Weg nach jwd.
Aber wahrscheinlich ist es zu kurz gegriffen, den Aufstand der Niederschöneweider als Kulturkampf zwischen autochthonen Provinzlern und Großstadterprobten zu beschreiben. Open-Air-Partys finden auch beispielsweise die Anwohner der Lohmühleninsel nicht so toll. Hier, mitten in der Stadt, wurde in pandemiefreien Sommern die Gegend gleich von zig Freiluft-Clubs beschallt. Sogar Bürgerinitiativen wurden deswegen gegründet.
Es scheint mir eher so, dass man sich schleunigst mehr generelle Gedanken machen müsste um das Clubben während Corona. All die schönen Schallschutzmaßnahmen, für die die Stadt inzwischen sogar Gelder verteilt, helfen in der aktuellen Lage ja gar nichts. Getanzt werden darf schließlich nur an der frischen Luft. Das mag helfen gegen die Verbreitung des Virus, nicht aber gegen die von tiefen Bassfrequenzen.
Genügend leer stehende Gebäude
Dann lasst die Raver halt auf dem Tempelhofer Feld ihrem Drang nach Spaß nachgehen, wird immer wieder gefordert. Aber auch hier würden wohl recht bald Anwohner in drei Kilometer Entfernung ihren Ohren nicht mehr trauen. Die langsame Auslagerung der hiesigen Clubkultur müsste eben ganz neu gedacht werden. Auf dem Gelände des stillgelegten Flughafens Tegel sollen nach aktuellen Plänen ein paar Clubs einziehen dürfen. Dort gibt es ja jetzt genügend leer stehende Gebäude.
Aber wer weiß schon, ob Corona nicht ein Dauerzustand bleiben wird? Und wer will angesichts dieser Unsicherheit noch einen Club eröffnen, der nicht über eine Außenfläche verfügt? Geprüft werden müsste in Tegel nun also nicht nur, wo man in der ehemaligen Triebwerkhalle einen Dancefloor errichten könnte, sondern was draußen auf den Start- und Landebahnen möglich ist.
Derweil bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in Niederschöneweide weiterentwickeln wird. Mit Ruhe rund um Weihnachten sollte niemand rechnen. Die Betreiber der Griessmühle haben angekündigt, den ganzen Winter über draußen raven zu lassen.
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