Die Blut-Hirn-Schranke überwinden: Durchfluss verboten
Die Blut-Hirn-Schranke schützt das Gehirn vor Bakterien. Aber sie macht es auch Medikamenten schwer. Forscher*innen testen neue Wege.
Das Gehirn ist ein hochempfindliches Gebilde, das nur unter ganz bestimmten Bedingungen funktioniert. Es muss mit Sauerstoff versorgt und entsprechend gut durchblutet werden. Aber im Blut schwimmen noch viele andere Dinge, etwa Hormone oder Stoffwechselprodukte, die nicht in das zentrale Nervensystem gelangen sollen. Deswegen gibt es die Blut-Hirn-Schranke: eine Barriere aus eng aneinander liegenden Zellen der Blutgefäßwände. Zu ihr gehören auch Membranproteine, die aktiv verhindern, dass Fremdstoffe eindringen, und notfalls auch Substanzen wieder heraustransportieren können. Die Schranke durchzieht auch das Rückenmark und hat bei einem durchschnittlich großen Erwachsenen eine Fläche von 12 bis 18 Quadratmeter.
Funktioniert diese Barriere nicht mehr ordentlich, geraten die Nervenzellen aus dem Gleichgewicht. Es können sich Blutungen und Entzündungen bilden. Bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Epilepsie und Schlaganfällen wird die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger. Auch bei der Parkinson-Erkrankung, bei Gehirntumoren, Alzheimer und weiteren Störungen des zentralen Nervensystems kann sie eine Rolle spielen.
Trotzdem suchen gerade mehrere Forschungsteams nach Wegen, die Blut-Hirn-Schranke zu durchbrechen. Warum das?
So unentbehrlich sie ist, macht es die Barriere schwer, Medikamente in das Gehirn zu bekommen. Behandlungen scheitern daher oft genau an dem Mechanismus, der uns sonst schützt.
Viele Forschungsansätze
Einen Ansatz dafür beschreibt ein spanisch-japanisches Team in der Fachzeitschrift Science Advances. Sie nutzten eine Ultraschall-Methode, um die Blut-Hirn-Schranke für kurze Zeit durchlässig zu machen. Zunächst probierten sie es an Javaneraffen: Sie visierten ganz gezielt Gehirnregionen an, die mit der Parkinson-Erkrankung zusammenhängen und in die sie nun grün markiertes Virus mit einer angehängten Gentherapie einschleusen wollten. Der Ultraschall brachte dabei mit geringer Frequenz winzige Bläschen in den Blutgefäßen zum Schwingen, was wiederum die engen Verbindungen zwischen den Gefäßzellen lockert und sie durchlässiger machte. So konnten die Viren und somit die Gentherapie aus dem Blut ins Gehirn gelangen. Auf ähnliche Weise behandelten die Forschenden daraufhin drei Parkinson-Patienten. Die Hoffnung dabei war, die Therapie auf möglichst wenig invasive Art in die betroffenen Zellen zu bekommen.
Zunächst einmal sollte die Studie zeigen, dass die Methode machbar und sicher ist. Von einer klinischen Zulassung ist sie damit aber noch weit entfernt und technisch längst nicht perfekt, erklärt Regine Heilbronn, Leiterin der Arbeitsgruppe Gentherapie an der Klinik für Neurologie der Charité Berlin. Anhand der grünen Markierungen kann man sehen, wie viele der Viren es bis ins Hirn geschafft haben. Die sichtbare Verstärkung dort sei allerdings nur gering – „viel zu gering, um darauf hoffen zu können, dass therapeutische Gene zum Beispiel bei Parkinson funktionell wirksam würden“. Insgesamt hält Regine Heilbronn die Methode für interessant, nun müsse sie aber technologisch weiterentwickelt werden und eine Überlegenheit gegenüber etablierten Gentherapie-Verfahren zeigen.
Ultraschall wird derzeit noch in verschiedenen anderen Forschungsgruppen untersucht. Im Detail unterscheiden sich die Studien ein wenig, auch das Ziel ist nicht das gleiche, aber letztendlich geht es immer darum, irgendetwas ins Gehirn hineinzubekommen.
Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Ansätze, um Medikamente über die Blut-Hirn-Schranke zu schleusen. Der amerikanische Forscher Edward A. Neuwelt etwa nutzt dafür eine hochkonzentrierte Zuckerlösung, die er in die Halsschlagader injiziert. Dadurch ziehen sich die Gefäßzellen zusammen, ihre Verbindungen öffnen sich und gleichzeitig verabreichte Medikamente können in das Gehirn gelangen. Das funktioniert zwar recht gut, hat aber deutliche Nachteile, erklärt Prof. Dr. Gert Fricker, Direktor des Instituts für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg: „Die Zuckerlösung öffnet die Blut-Hirn-Schranke nicht gezielt an einer bestimmten Stelle, sondern praktisch überall, wo sie hingelangt.“
Zwar schließe sich die Barriere nach einigen Stunden wieder von selbst, doch in dieser Zeit könnten auch andere Substanzen und Proteine aus dem Blut in das Gehirn gelangen. Daher gebe es häufig unerwünschte Nebenwirkungen wie Lähmungen, Ausfälle der kognitiven Leistungen und Sprachstörungen. Allerdings, so Fricker, nehme man das Risiko etwa bei Tumorpatient:innen in Kauf, die sonst kaum noch Optionen haben.
Sicherer wäre es jedoch, die Blut-Hirn-Schranke intakt zu lassen und die Medikamente anders einzuschleusen. Auch das wird erforscht, mithilfe der aktiven Transportmechanismen über die Barriere. Auf den Zellen befinden sich Andockstellen, sogenannte Rezeptoren. Bindet eine passende Substanz daran, werden diese Rezeptoren mitsamt Anhang in die Zelle aufgenommen und auf der anderen Seite wieder freigelassen. Die Herausforderung ist nun, die Medikamente so zu verpacken, dass sie an die Andockstellen binden können. Beispielsweise kann man winzige Päckchen schnüren, die wiederum an Substanzen gebunden werden, die von Natur aus an die Rezeptoren passen. Oder man nutzt Antikörper, welche die Andockstellen erkennen. Generell ist dabei wichtig, dass die Päckchen sich an ihrem Zielort möglichst schnell auflösen und den Wirkstoff freisetzen.
All das sind vielversprechende Methoden, die jeweils ihre vor- und Nachteile haben. „Wenn die Blut-Hirn-Schranke nicht beschädigt wird, kann das Verfahren auch mehrfach hintereinander und auf längere Zeit eingesetzt werden“, sagt Gert Fricker. Das sei etwa bei Alzheimer- oder Parkinson-Erkrankungen hilfreich, wo eine Behandlung vielleicht jeden zweiten Tag nötig wäre. Techniken, bei denen die Blut-Hirn-Schranke zeitweise geöffnet wird, bieten sich mit Blick auf die Risiken eher für eine einmalige Anwendung an, wie etwa einer Tumorbehandlung.
Langwierige Zulassung
Obwohl viele Möglichkeiten untersucht werden und das Thema medizinisch bedeutend ist, hat es bisher keine dieser Methoden bis zu einer amtlichen Zulassung geschafft. Dafür bedarf es großer klinischer Studien: Davon gibt es derzeit mehrere, einige davon auch schon recht weit fortgeschritten. Dennoch dauert so ein Zulassungsprozess Jahre bis Jahrzehnte.
Zudem geht die Forschung weiter: Besonders wichtig sei die Optimierung der Methoden. Zum Einschleusen der Medikamente gibt es noch weitere Ansatzpunkte. „Daran wird auch in der Industrie intensiv gearbeitet“, sagt Gert Fricker. Allein das Interesse der Pharmaindustrie zeigt bereits das Potenzial erfolgreicher Studien: Sollte es Zulassungen für erfolgreiche Methoden geben, wären die Entwicklungsmöglichkeiten für die Unternehmen vielfältig. Und auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung beteiligt sich an dem Thema und fördert verschiedene Projekte, die entweder die Barriere überwinden oder aber allgemein die Blut-Hirn-Schranke besser verstehen wollen. Einen Durchbruch gibt es bisher nicht, aber wahrscheinlich wurde noch nie aus so vielen Perspektiven auf das Problem geschaut.
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