Die Beziehung der Italiener zum Essen: Pasta lieben, Pasta leben
Ob beim genussvollen Biss ins Cornetto oder beim Streit über Nudelsaucen: Essen ist in Italien nie bloße Nahrungsaufnahme. Es ist Leidenschaft!
Wenn die Eltern meiner italienischen Freundin Anna aus Sardinien zu Besuch nach Berlin kommen, dann kann es schon mal sein, dass sie im Handgepäck einen frischen Meeresfang auf Eis transportieren wie andere Leute Nackenkissen. Ein anderes Mal hatten sie alle Zutaten dabei, um Culurgiones zuzubereiten, die dann für die nächsten Monate Annas Eisfach füllten. Culurgiones, das sind sardische Kartoffelravioli. Denn welcher Italiener vertraut schon auf deutsche Kartoffeln?
Das mit dem Essen und den Italienern ist eine sehr spezielle Beziehung. Ja, klar, es gibt nicht „die Italiener“, no Border, no Nation usw. Aber können wir zumindest, was das italienische Essen angeht, den Gedanken von Nationalkultur und regionalen Traditionen aufrechterhalten? Caponata schmeckt eben in Sizilien am besten. Das kann nicht nur mit der Qualität der Zutaten zu tun haben. Es muss auch irgendwas in der Luft liegen. Wer sich eine Flasche des Weißweins mitgebracht hat, der auf der Piazza immer so gut schmeckte, und sich zu Hause dann wundert, wo der Geschmack hin ist, der weiß das.
Die kollektive Anbetung des Essens wirkt. Zu Volksfesten in kleinen sardischen Bergdörfern reisen die Menschen in unzähligen Reisebussen an – nur um zu essen. Aus Fenstern werden Pastagerichte verkauft, und es brutzeln Dutzende Spanferkel auf Feuerstellen, doppelt so groß wie die Wohnungen, die man in Berlin nun für viel Geld an Studenten vermietet.
In Apulien verkaufen alte Männer am Straßenrand aus ihrem Fiat Panda heraus wild gesammeltes Gemüse, das in Deutschland kaum einer kennt, die Puntarelle etwa, eine Mischung aus Spargel und Chicoree, auch Vulkanspargel genannt. Überall blühen Artischocken, zack, einpacken!, und wenn man nach dem Weg zur nächsten Tankstelle fragt, wird man in einen Schuppen geführt und denkt kurz an Auftragsmorde, soll aber nur das selbstgemachte Olivenöl der Familie kosten. Und kaufen.
Wenn sich die Pistaziencreme an den Gaumen legt
Man sollte einmal im Leben gesehen haben, wie eine Nonna genüsslich an einem Eis leckt. Oder in einer sizilianischen Pasticceria Gebäck kaufen, sich einladen lassen, etwas zu kosten, und die leuchtenden Augen der Inhaberin sehen, wenn man genüsslich stöhnt, während sich die Pistaziencreme an den Gaumen legt. So viel Liebe im Blick sucht man selbst bei den eigenen Eltern meist vergeblich.
Der Stellenwert des italienischen Essens spiegelt sich auch in der Sprache wider: Das Verb „sentire“ kann man mit fühlen übersetzen, aber auch mit hören, riechen und schmecken. Wenn Italiener sich treffen, haben sie keine Angst vor Emotionen, und sie sprechen lieber ausgiebig darüber, was sie in den letzten Tagen alles gegessen haben, als über das Wetter zum Beispiel. Es ist entzückend, mit welcher Genauigkeit und Leidenschaft sich erwachsene Männer über die Beschaffenheit von Pizzateig und die Struktur von Mozzarella austauschen können.
„Perché agli italiani piace parlare del cibo“ – warum Italiener gerne über Essen reden – heißt auch ein Buch der Historikerin Elena Kostioukovitch, in der sie der Landeskultur über die Betrachtung der regional sehr unterschiedlichen Speisen näher kommt. Im Buch erfährt man zum Beispiel, dass Mussolini Magenprobleme hatte und der Pasta übel nachredete, nur um die Abhängigkeit von Weizenimporten zu verringern, und das allein beweist ja eigentlich schon die Unglaubwürdigkeit von Faschisten. In der Unterhaltung über Essen kann eben auch die Geschichte des Landes verhandelt werden.
Und ein Gespräch über Wein und Käse hat schnell die Schlagkraft einer politischen Debatte. Es gibt diese Szene im Film „Sabato Domenica e Lunedi“, wo Sophia Loren in einer Fleischerei in einem Handgemenge endet, weil sich die anwesenden Kundinnen darüber streiten, wie ein Ragù zubereitet wird. Ob man das Fleisch mit Zwiebeln anbrät oder ohne, welches Fleisch man nimmt, Rippchen oder nicht?
Italiener nutzen gerne Kraftausdrücke bei der Verteidigung von Essen. Es geht auch viel um Leben und Tod, wenn darüber debattiert wird, ob man Lasagne mit Ricotta oder Bechamel zubereitet. Auf dem Twitter-Account italians mad at food werden Kommentare von Italienern gesammelt, die sich über Essen aufregen. „Che cazzo!!??? There’s no tomato’s in bolognese you porco Americano!!!!!“, liest man da. Und wie man Bacon für Carbonara verwenden könne oder noch schlimmer Sahne!!?? Olivenöl in Cacio e Pepe? Incredibile! Am allerschlimmsten: Ananas auf Pizza.
Große Gefühle für Gemelli und Girandole
Ich habe mal meinen Sohn gefragt, welches Lebensmittel ihm am meisten leidtut, und er sagte: Nudeln. Bei ihm liegt es daran, dass er sich zu 75 Prozent von Nudeln ernährt, doch kann zumindest jeder Italiener seine Gefühle nachvollziehen. Denn die überkommen ihn ebenfalls. Wenn jemand Spaghetti durchbricht. Oder sie in kaltes Wasser schmeißt. Oder wenn ohne Erbarmen eine bestimmte Nudelform von der falschen Sauce bedeckt ist.
Diese Gefühle sind ja auch verständlich, nimmt das Essen im Leben der Italiener doch einen beträchtlichen Teil des Tages ein. Es wird zwar nur im Stehen gefrühstückt, ein süßes Cornetto an der Bar, ein Cappuccino, aber allen anderen Mahlzeiten wird sehr viel Zeit eingeräumt. Es gibt mehrere Gänge, die natürlich geteilt werden. Primi oder Secondi Piatti, nichts müssen Kellner in Italien öfter erklären als die Reihenfolge der Gänge und wie viele man bestellen muss, um satt zu werden. Aber was heißt schon satt. Wer im Italienurlaub nicht zunimmt, macht etwas grundlegend falsch.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Und wer in italienischen Familien zum Abendbrot eingeladen ist, erfährt die Versorgung eines 5-Sterne-Hotels. Mit Pasta, mit Fleisch, mit Salat, mit Keksen und Kuchen. Es heißt, man solle zu solchen Einladungen eine Flasche Wein mitbringen, man solle etwas zu spät kommen, aber man müsse das Essen loben, es sei denn, man will den Koch beleidigen, und ja: nicht zu viel Parmesan. Und nein: Die Spaghetti werden nicht mit dem Löffel gegessen. Aber das wirklich Beeindruckende kommt zum Schluss. Nach dem Digestif wird kein Wein mehr nachgeschenkt. Basta. Kein billiges Besaufen.
Wenn meine Freundin Anna zu Hause in Italien zu Besuch ist und ihrer Mutter mit einem vorangeschmetterten „Mamma“ am Telefon erklärt, dass sie am Abend leider nicht zum gemeinsamen Essen kommen wird, kann das ähnliche Gefühlsverletzungen auslösen, wie im Restaurant den Rand der Pizza liegen zu lassen. Und da liegt wohl auch einer der Gründe, wieso das Essen in Italien einen so hohen Stellenwert hat: Gegessen wird in der Familie, und aus der kommt man so schnell nicht raus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands