Die Band Zhadan I Sobaky in Berlin: Hymnen für die ukrainische Jugend

Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan und seine Band Zhadan I Sobaky traten in Berlin auf. Sie eröffneten das Festival "Performing Exiles".

Serhij Zhadan schüttelt beim Konzert im Haus der Berliner Festspiele einem Fan die Hand.

Auf Tuchfühlung mit den Fans: Serhij Zhadan beim Konzert im Haus der Berliner Festspiele Foto: Camille Blake

Wann hat man das Haus der Berliner Festspiele zuletzt so gesehen? Hat man den Saal überhaupt schon mal so erlebt? Ukrainische Teenies liegen sich in den Armen, singen jede Zeile mit, zappeln, hüpfen, bangen. Vom ersten Ton, den Zhadan I Sobaky („Zhadan und die Hunde“) spielen, hält es keinen auf den Sitzen, des Publikum saugt den Ska-Punk der Band auf: die Offbeat-Gitarren, die melodischen Bläser, die Refrains aus dem Munde Serhij Zhadans.

Zhadan, Leadsänger der Gruppe und im Hauptberuf (oder Nebenberuf?) Schriftsteller, klatscht die Fans in den ersten Reihen ab, lässt Selfies mit sich aufnehmen, hält das Mikrofon in die Menge. Als die Band gegen Ende die Outsider-Hymne „Мальви“ („Malven“) anstimmt, grölen die jungen Leute die Verse im Chor: „Auf der Veranda meiner Mutter blühen Malven/ Ich war in drei Ländern wegen Rowdytums inhaftiert…“, würde der Text im Deutschen ungefähr lauten.

Zhadan I Sobaky sind aus Charkiw gekommen, um das neue Festival Performing Exiles am 15. Juni zu eröffnen. Kuratiert von Matthias Lilienthal, will das Festival noch bis zum 25. Juni Berlin als Ort der Exilierten in den Fokus rücken; es gibt weitere Konzerte, Performances und Soundwalks, neben der ukrainischen wird unter anderem auch der libanesischen und iranischen Diaspora eine Bühne geboten.

Das Exil „performen“

Der Auftaktabend ist denkwürdig. Besser als Zhadan I Sobaky, besser als die ukrainischen Kids und Fans im Saal kann man das „Exile“ wohl gar nicht „performen“. In der Heimat füllt die Band große Hallen und zieht Tausende Fans an, auch jetzt noch, zu Kriegszeiten. Sieben Alben hat die Gruppe veröffentlicht, zuletzt „Madonna“ („Мадонна“, 2019). Sänger Zhadan ist als Schriftsteller vielfach prämiert worden, zuletzt erhielt er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels und den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken.

Doch er ist eben auch ein charismatischer, nahbarer Bandleader. „Hymne der demokratischen Jugend“ heißt einer seiner frühen Erzählungsbände, hier im Saal im Berliner Westen bringt er Hymnen für die ukrainische Jugend auf die Bühne; ein Heimspiel hat er auch hier. Vor einem der Songs sagt der 48-Jährige, in baldiger Zukunft würde er gern alle Anwesenden zu Stadionkonzerten in Luhansk, Donezk und in den besetzten Gebieten einladen.

Sollte es diese Party irgendwann geben, wird sie gigantisch, so viel scheint nach diesem Abend klar. Denn das Konzert ist eine Aneinanderreihung von Hits. Auch wenn man des Ukrainischen nicht mächtig ist, scheint man die Songs zu verstehen. „Madonna“, „ Avtozak“, „ Tʹolka barabanshchyka, „Troyeshchyna“, sie spielen alle bekannten Stücke.

Der Zerstörung das pralle Leben entgegensetzen

Das Septett feiert das Leben, die Spontaneität, den hedonistischen Exzess. In „T'olka barabanshyka“ setzen sie der ukrainischen Rockszene der postsowjetischen Ära ein kleines Denkmal, der Text setzt sich eher lustig damit auseinander. Den Refrain grölt der ganze Saal, übersetzt heißt er wohl so viel wie „Das ist die neue Freundin des Schlagzeugers!“

Man gewinnt an diesem Abend den Eindruck, Zhadan und Band setzen der Zerstörung und dem Leid in ihrem Heimatland das pralle Leben entgegen, mit enthusiastischer Unterstützung der anwesenden Ukrainer:innen.

Die Szenen im Publikum treiben einem zum Teil das Pipi in die Augen – Mutter und Tochter singen Strophen und Refrains im Duett mit; man malt sich aus, dass sie alleine geflohen sind, während der Mann das Land verteidigen muss. Der Posaunist der Band, Ivan Pirozhok, legt irgendwann sein Instrument weg und filmt die Szenen von der Bühne aus mit seinem Smartphone. Möge er die Bilder zur Ermutigung in die Heimat schicken.

Kurz vor Mitternacht verlässt die Crowd – Durchschnittsalter geschätzt Anfang zwanzig – den Saal. Die ukrainische Jugend hat gefeiert. Sie geht beschwingt, bestärkt, beseelt nach Hause.

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