Die Auflösung der Knesset in Israel: Das Ende eines Wunders
Israels Regierung war nicht ideal, aber besser als die Netanjahu-Jahre. Erstmals war eine arabische Partei dabei. Nun sind die Aussichten düster.
J eder Tag, an dem die Regierung in Israel überlebt hat, war ein Wunder – eines der ambivalentesten Wunder, die das Land bisher zu bieten hatte. Denn eigentlich konnte niemand die Regierung vollen Herzens unterstützen. Den Rechten war allein die Tatsache, dass eine arabische Partei zum ersten Mal in der Geschichte Israels Teil der Regierungskoalition ist, ein Dorn im Auge; die Siedlungen schritten ihnen nicht schnell genug voran.
Linke besatzungskritische Organisationen wie Peace Now attestierten hingegen der Regierung, die Besatzung zu verschärfen und den Siedlungsbau noch schneller voranzutreiben, als dies unter dem vorherigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu der Fall war. Viele palästinensische Israelis wiederum ärgerten sich über die verhältnismäßige Machtlosigkeit der islamischen Ra’am-Partei in der Regierung.
Doch hat die Bennet-Lapid-Regierung eine andere Sprechweise in den politischen Diskurs gebracht – fast möchte man sagen: eine „von Wertschätzung geprägte Sprechweise“. Das Land wurde regiert, ohne von persönlichen Interessen eines Netanjahu gelenkt zu werden. In Sachen Klima war die Regierung zwar lange nicht so progressiv und entschieden, wie man es sich hätte wünschen können. Doch die Regierung verschloss zumindest nicht die Augen vor dem Klimawandel.
Nach langer Agonie ist dieses Wunder nun zu Ende. Die Knesset löst sich erwartungsgemäß auf. Das Bündnis ist am sogenannten Westjordanlandgesetz zerbrochen. Dieses Gesetz zeigt die Ungleichbehandlung von Palästinenser:innen und jüdischen Israelis im Westjordanland so unverschämt offen, dass es eine Schande gewesen wäre, wenn keine:r der besatzungskritischen Linken in der Regierung aufgestanden wäre und rebelliert hätte.
Jetzt ist das Wunder vorbei, und es kann nur schlimmer kommen – eine erneute Pattsituation und ein darauf folgender Zyklus an Neuwahlen. Oder eine rechtsreligiöse Koalition unter Netanjahu, die von rechter Hetze und den persönlichen Interessen des in Korruptionsfällen angeklagten Netanjahu geprägt sein wird. An ein neues Wunder glauben die Wenigsten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern