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Debut-Album von Julian KnothDie Ahnung von Ekstase

Als Sänger und Bassist der Postpunkband Die Nerven begeistert Julian Knoth mit unbändigem Krach. Ob sein Debut „Unsichtbares Meer“ auch so laut ist?

Verwaschen, weich und blau wie die Musik: Julian Knoth Foto: Marina Buneta

Manchmal hat man es wirklich nicht leicht als Musiker. Da ist man seit vielen Jahren prägende Figur einer der zweifelsohne energetischsten Rockbands des Landes, die mit lärmendem Tempo das Publikum förmlich an die Wand spielt. Und dann sitzt man am Fenster, schaut auf den Hinterhof der Welt und plötzlich geht dir ein Licht auf.

Da fließen ganz zarte Songs aus dem Kopf in die Saiten. Leise, zerbrechliche, gelegentlich verzweifelte kleine Stücke, die nirgendwo so richtig hinpassen, jedenfalls nicht in die bisher genutzten Bandkonzepte, weil sie – anstelle eines wild gewordenen Tiers an den Drums hinter dir – Streichereinheiten verlangen.

Genau so ist es Julian Knoth ergangen. Seit gut 15 Jahren ist er Bassist und einer der beiden Sänger des ursprünglich aus Stuttgart stammenden Trios Die Nerven, das mit Post-Punk und Noise-Rock die Liebhaber gepflegten Krachs beglücken – auch dank Knoths treibender Bassläufe und -breaks.

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Julian Knoth „Unsichtbares Meer“

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Doch dann kam Corona. Und Julian Knoth ging es wie vielen anderen. Gar nicht gut. Er sang für sich allein ein paar Lieder zur akustischen Gitarre. „Ich habe während dieser Zeit viele Sachen verstanden“, sagt Knoth. Auch, dass es sich hier um Songs für sein erstes Soloalbum handeln könne.

Es dauerte fünf Jahre bis zur Veröffentlichung

„Unsichtbares Meer“ heißt das nun. Dass es nochmal fünf Jahre dauerte, bis es veröffentlicht wurde, hat sicher nicht nur mit Knoths Introspektion zu tun. Mit der Annäherung an eine Depression. Sondern auch daran, dass wohl erst mit gehörigem Abstand erkennbar wird, was diese Einsamkeit produzierende Pandemie mit vielen Menschen gemacht macht.

„Die Stille kam heut früh“, singt Knoth da über „eine seltsame Zeit“. „Kein Lied“, heißt das Stück, „kein Lied, das mich berührt“, der Refrain. Aber es ist viel mehr als kein Lied, es ist ein Übergang.

Nun waren auch viele Songs der Nerven keineswegs frei von depressiven Zweifeln, Ängsten, Klaustrophobie. Aber stets wurden sie mit traumwandlerisch hergestelltem Schalldruck weggebasst. Ähnlich war es auch beim Soloprojekt von Max Rieger, dem Gitarristen und anderen Sänger von Die Nerven. Die Songs seines Nebenprojektes „All dieses Gewalt“, waren experimenteller noch als die puren Nerven-Stücke. Aber immer auch gewaltig.

Auf Knoths Soloablum jedoch werden statt eines treibenden Basses nur die Saiten der Akustikgitarre gezupft, allenfalls ganz leicht mal angerissen. Aber dann kommen gleich die Streicher. Sie kleistern nichts zu. Sie stehen im Mittelpunkt.

Barock statt Rock

„Unsichtbares Meer“, das dritte und zudem titelgebende Stück des Albums, bestreitet das „Trio Abstrich“ sogar ganz allein. Ohne Gitarre. Ohne Knoths Stimme. Stattdessen bieten Violine, Viola und Cello eine Minute und 20 Sekunden ein Stück klassisches Gefiedel à la …, ja was ist das? Händel? Vivaldi? Telemann? Bach? Barock statt Rock. Weiter zurücknehmen kann ein Post-Punker sich nicht. Näher ran an ein auf der Hand liegendes musikalisches Stilmittel aber auch nicht.

Nur seine Texte ähneln dem bekannten Vorgehen der Nerven. Es gibt keine lyrisch komplexen Elaborate. Stattdessen Fetzen nur von abgerissenen Gefühlsbrocken. „Gestern hatte ich noch einen Traum, weißt du noch, was gestern war“, singt Knoth.

Julian Knoth

„Unsichtbares Meer“ (Italic/The Orchard)

„Ich habe in größter Depression und Melancholie alleine angefangen, dieses Album zu schreiben. Am Ende ist es ein solidarisches Projekt mit vielen Freun­d*in­nen geworden“, sagt Julian Knoth.

Das kulminiert im letzten Stück, einer grandiosen Hymne der Hoffnung. „Wir werden nie mehr einsam sein und nie nie wieder allein“, singt Knoth dort als Mantra. Erst nur mit der Gitarre. Dann tropft ein Klavier herein. Der Chor der Freund:innen. Langsam, ganz langsam steigert sich das Stück. Keine Ekstase. Das wäre zu viel. Aber eine Ahnung davon. Es ist das Finale, dass Knoth und seine Zu­hö­re­r:in­nen wieder rauszieht aus dem Sumpf der Corona-Pandemie.

Ende des Jahres wird Knoth mit seinem Soloalbum auf Tournee gehen – samt kleinem Ensemble mit den Streichern. Und man wünscht sich dieses Stück als niemals endende Zugabe, die sich bis ins glückbringende Delirium schraubt, bei der schließlich alle, aber auch wirklich alle alles mitsingen. „Wir werden nie mehr einsam sein und nie nie wieder allein“. Auch auf dem Heimweg. Auch Tage später noch.

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