piwik no script img

Die 45-Megabit-Bibliothek

■ Auf dem Campus der International University soll mit dem „irc“ eine Bibliothek der Zukunft entstehen / Bücher kommen darin kaum noch vor

Professor Thomas Hochstettler von der International University Bremen (iub) hat eine Vision: „Unsere Bibliothek wird keine im traditionellen Sinn sein“, umreißt er das Projekt, für das er eigens von der iub-Partneruni Rice in Texas freigestellt wurde. Bücher? Ja, Bücher werde es auch geben im „Information Resource Center“, kurz „irc“, der neuen privaten Elite-Universität im Bremer Norden. 35.000 Datenträger aus Papier sollen anfangs gekauft werden, eher magere 10.000 Exemplare sollen jährlich dazu kommen. Doch sie werden nicht die wichtigste Informationsquelle für die Studierenden der Zukunft sein.

Ab Februar 2001 wird die iub eine dicke 44,7 Megabit-Leitung zu ihrer Partneruniversität in Texas haben. Ungefähr 500.000 Dollar lässt man sich das kosten. Doch die Informationsbeschaffung im Internet-Zeitalter, da sind sich die Uni-Aufbauer sicher, wird nicht anders zu bewältigen sein.

Schon jetzt lässt sich unter der Internet-Adresse www.rice.edu/Fondren/Electronic/etexts.html erahnen, wie auch die iub-Studis nach Texten suchen werden: Von einer Datenbank zum Thema „African-American Poetry (1750 - 1900)“ bis hin zu „Women Writers Online“ kann man, mit einem Pass-wort freilich, schon jetzt auf die geballte wissenschaftliche Literatur von über 30 Mega-Datenarchiven zurückgreifen. Die digitalen Bestände der „Library of Congress“ in Washington sind davon nur ein Teil. „Rice only“ weist ein kurzer Zusatz auf die Exklusivität der Datennutzung hin, die selbst für US-amerikanische Universitäten derzeit noch ziemlich einmalig ist. So soll es auch an der iub sein.

Bis vor kurzem plante man noch ein eigenes irc-Gebäude auf dem Campus in Bremen-Grohn. Neben der Buch-Bibliothek sollten Sofas in Leseecken, eine kleine Bar und jede Menge PCs zu finden sein. Inzwischen will man das irc in das Hauptgebäude der Uni integrieren – damit das irc wirklich der zentrale Ort für Kommunikation werden kann, von wo aus man per Maus-klick, Videokonferenz oder traditionell verbal wissenschaftliche Informationen austauschen kann. In dem ursprünglich für die irc reservierten Gebäude soll nun so etwas wie ein Club für das wissenschaftliche Personal eingerichtet werden.

Dass neben dem gemütlichen Ledersessel auch ein harter Holzstuhl stehen muss, ist für Hochstettler dabei ein unbedingtes muß: „Jeder Mensch lernt anders“. Deshalb soll das irc vor allem ein experimenteller Markt der Möglichkeiten werden. Der eine will mit Windows NT arbeiten, die andere mit Linux Open Source Software. Studentin B begreift besser, wenn sie Beispiele genannt bekommt, Student A will erst einmal die empirischen Daten begutachten. Für alle Bedürfnisse soll die Lernsoftware gut genug sein. Oder so gut gemacht werden.

Besonderer Clou allerdings: Ein Besuch der virtuellen Bibliothek soll von jedem Ort auf dem Campus möglich sein. Die 1.200 Studis werden auf dem Campus leben – und jede Studi-Butze, jeder Vorlesungssaal und Seminarraum soll eine Dose haben, über die das Laptop online gehen kann. Ob das ganze über Kabel oder Richtfunk organisiert wird ist bislang unentschieden.

Einige Haken freilich hat die Angelegenheit noch: Die erste Generation von Studierenden wird sich am Aufbau des irc mit eigenen Ideen und Wünschen beteiligen; erst im Lauf des Jahres 2002 wird die irc fertig sein. Einen Architekten immerhin hat man schon gefunden: Geoffrey Freeman ist nach Darstellung der iub so etwas wie der berühmteste Bibliotheks-Bauer in den USA. Das darf Studi auch erwarten – schließlich sollen sich die Jahresgebühren für die International University bei rund 20.000 Mark einpendeln. Ungeklärt ist derzeit allerdings auch noch, ob sich die iub an das teure Deutsche Forschungsnetz anhängt und ob sie vom derzeit noch vorhandenen Landesbreitbandnetz profitieren kann – das will der Wirtschaftssenator nämlich gerade eindampfen.

Klar ist auch, dass die hehren Ansprüche nicht ohne Kooperationen mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen und Privatfirmen erfüllt werden können. Erste Gespräche hat die iub dafür schon geführt. cd

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen