Dialog mit den Taliban: Zukunft für Afghanistan
Ohne die Taliban geht nichts im Land. Im Streit der Ideen scheinen sie besser gerüstet zu sein als die Regierung in Kabul.
Trotz aller gegenteiligen Rhetorik hat es einen wirklichen Friedensprozess in Afghanistan seit dem Sturz des Taliban-Regimes nicht gegeben. Internationale Hybris und afghanisches Elitenversagen haben das verhindert. Zuerst lehnten die Amerikaner es in acht Jahren Bush-Regierung ab, überhaupt mit den Taliban zu reden.
Dann blockierte der damalige Präsident Hamid Karsai alle Versuche von außen angebahnter Gespräche. Die seit 2014 amtierende neue Regierung seines Nachfolgers Aschraf Ghani versuchte dann einen Befreiungsschlag: Sie wollte den Taliban-Unterstützer Pakistan über dessen Hauptverbündeten China unter Druck zu setzen, die Aufständischen endlich an den Verhandlungstisch zu zwingen. Ein Durchbruch blieb bisher aus.
Das liegt aber auch den Taliban. Zum einen lehnen sie einen Dialog mit der als „Marionetten“ geschmähten Regierung in Kabul – ob unter Karsai oder Ghani – bisher strikt ab. Erst sollen alle ausländischen Truppen abziehen. Ghani aber hat die Amerikaner eben erst gebeten, noch über den vereinbarten Abzugstermin Ende 2016 hinaus Truppen im Land zu lassen; auch die Nato wird in Afghanistan weiter mit einer „zivil geführten“ Mission präsent sein. Zweitens tun die Taliban alles dafür, sich als Verhandlungspartner zu desavouieren, indem sie nach jüngsten Anschlägen in Kabul andeuteten, dass sie nun offenbar auch humanitäre Helfer aus „Invasorenländern“ als legitime Anschlagsziele betrachten. Damit gefährden sie alle von westlichen Gebern finanzierte Entwicklungsprogramme und damit eine Hauptüberlebensgrundlage der Zivilbevölkerung.
Diesen Teufelskreis zu durchbrechen versucht nun die Pugwash-Konferenz, ein auch in Friedensfragen aktives, nichtstaatliches, internationales Netzwerk von Wissenschaftlern, das 1995 den Friedensnobelpreis erhielt. Anfang Mai luden sie etwa zwei Dutzend Afghanen verschiedener politischer Lager zu zweitägigen „inoffiziellen Gesprächen“ in einen Badeort im Emirat Katar ein. Darunter waren acht Taliban-Mitglieder, aber keine Regierungsvertreter aus Kabul. Immerhin legte Kabul dem Treffen keine Steine in den Weg, so wie Karsai es in ähnlichen Fällen getan hatte.
Thomas Ruttig ist Kodirektor des Afghanistan Analysts Network (www.aan-afghanistan.org) mit Sitz in Kabul und Berlin. Bis Mitte Mai dieses Jahres war er wieder in Afghanistan; bereits 2000 war er für die UNO an Gesprächen mit dem damaligen Taliban-Regime beteiligt.
Fragwürdiger Konsens
Alle Teilnehmer waren als Individuen eingeladen, nicht als Vertreter ihrer Organisationen. Das sollte ihnen ermöglichen, ohne Fraktionszwänge zu sprechen – gleichzeitig hoffte man so einen Eindruck davon zu bekommen, wie in den jeweiligen Organisationen gedacht wird, sowie Ideen dort einspeisen zu können. Es war auch nicht das erste von Pugwash organisierte Afghanistan-Treffen – aber erstmals gab es ein Abschlusskommuniqué.
Der Kernsatz des Abschlussdokuments lautet: „Die Vorstellung, Afghanistan Frieden zu bringen und den Konflikt zu beenden, wurde von allen Teilnehmern aus vollem Herzen unterstützt.“ Gemeinsam wurde auch der Korruption, dem Drogenanbau und -handel und dem Islamischen Staat der Kampf angesagt. Für Pugwash war das offenbar Fortschritt genug, um an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber ist das schon der Durchbruch, zumindest zu Gesprächen über einen möglichen Frieden? Wie tragfähig ist der Konsens wirklich angesichts der kurz zuvor gestarteten alljährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban?
Pugwashs Ansatz war, zunächst Konsens und Dissens zu kartieren. Der tiefste Graben, das wurde klar, verläuft zwischen den Positionen über die künftige „Struktur des politischen Systems und der Verfassung Afghanistans“, wie es im Kommuniqué heißt. Die Regierung in Kabul verlangt, dass die Taliban die geltende Verfassung anerkennen. Diese hingegen beharren darauf, dass eine neue Verfassung ausgearbeitet werden muss, da die gegenwärtige „im Schatten von B-52-Bombern“ entstanden sei.
Auch der Konsens, dass die Regierung Afghanistans „auf jeden Fall“ islamisch sein wird, lässt bei näherem Hinsehen viel Spielraum erkennen. Die Frage ist: Wie islamisch? Was wird aus den existierenden, durch (wenn auch unsaubere) Wahlen gebildeten politischen Institutionen? Und den im Moment jedenfalls auf dem Papier garantierten Freiheitsrechten „für alle Bürger Afghanistans“ – also Männer und Frauen gleichermaßen? Wie viel Pluralismus wird mit den Taliban möglich sein? Immerhin unterschrieben die Taliban, dass keine Partei künftig ein Machtmonopol haben dürfe.
Manchmal sind Unterschiede zu Taliban gering
Unklar bleibt auch, wie weit die in Katar von ihnen mitgetragenen Positionen einen gewissen Wandel in ihrem Denken widerspiegeln oder ob es sich nur um Lippenbekenntnisse handelt. Andererseits ist klar, dass diejenigen unter ihnen, die sich für Gespräche offen gezeigt haben (und dafür grünes Licht ihrer Führung haben), auf die Falken in den eigenen Reihen Rücksicht nehmen müssen.
Für den Streit der Ideen am Verhandlungstisch scheinen die Taliban jedenfalls im Moment besser gerüstet zu sein als die „Kabuler“ Seite. Es rächt sich nun, dass Karsai jahrelang eine genuine innenpolitische Konsensbildung durch handverlesene Pseudo-Loja-Dschirgas verhindert hat. Auch wenn die UNO im Hintergrund an der Auswahl mitwirkte, erschien die Zusammensetzung der Kabuler Delegation – Politiker verschiedener Fraktionen, meist nur aus der zweiten Reihe, dazu ein paar zivilgesellschaftliche Aktivisten und ganze drei Frauen – willkürlich und heterogen. Zum Zweiten sind die meisten der eingeladenen Fraktionen selbst nicht demokratisch verfasst; einige unterscheiden sich ideologisch gar nicht so sehr von den Taliban.
Zudem reisten ihre Mitglieder ohne jegliche Vorabstimmung zu dem Treffen. Selbst die beteiligten Zivilgesellschaftler hatten offenbar nicht daran gedacht, sich über bestehende Koordinierungsmechanismen zwischen den wichtigsten Dachverbänden Legitimation zu holen und mit Ideen auszurüsten. Dazu gehören Konzepte, einen Friedensprozess durch lokale Initiativen von unten zu stärken oder von vornherein Frauen einzubinden (gerade tagte in Kabul eine gut besuchte Konferenz zum Thema „Frauen und Frieden“), um deren Interessen zu wahren. Staunend saßen sie den Taliban gegenüber, die – so ein Teilnehmer – der Reihe nach ihre bestens abgestimmten Positionen vortrugen. Im Übrigen gibt es auch keine Mechanismen, die gewährleisten, dass die Regierung solch partizipatorische Elemente aufnimmt, sollte sie sich irgendwann an Gesprächen beteiligen.
Man darf auch nicht übersehen, dass einige Fraktionen sowie beträchtliche Teile der Zivilgesellschaft es vorzögen, überhaupt nicht mit den Taliban verhandeln oder sogar mit ihnen die Macht teilen zu müssen. Stattdessen hoffen sie, dass die afghanischen Streitkräfte erreichen können, was – zu Spitzenzeiten – 140.000 westliche Soldaten (plus Afghanen) nicht geschafft haben: einen militärischen Sieg über die Aufständischen.
Immerhin finden sie zusammen
All das ist kein Grund, sich nicht zu treffen. Das Ziel von Gesprächen wie in Katar muss es sein, gegenseitiges Verstehen zu fördern. Aus der kartierten Interessenlandschaft können Verhandlungsprofis Gesprächsstrategien ableiten. Auch wenn es keine Erfolgsgarantien gibt und die Gespräche angesichts der zersplitterten innenpolitischen Landschaft (ähnlich wie in Syrien und Libyen) eher nach dem Trial-and-Error-Prinzip verlaufen: Es gibt eben keine Alternative, als es immer wieder zu versuchen.
Immerhin scheinen die Kabuler Gesprächsteilnehmer nun zusammenzufinden. Ein prominenter Politiker aus einflussreicher, religiöser Familie hat seine Kollegen zusammengerufen, um besser auf das vereinbarte Folgetreffen – inzwischen auf einen Termin nach Ende des Fastenmonats Ramadan Mitte Juli verschoben – vorbereitet zu sein. Er hofft auch, die Verweigerungshaltung der Taliban der Kabuler Regierung gegenüber aufweichen zu können.
Ein Problem des Pugwash-Ansatzes könnte darin bestehen, dass der zweite Schritt – eine Einbeziehung der Taliban in Gespräche – vor dem ersten getan wurde, nämlich einen innerafghanischen Konsens herzustellen. Gerade wegen dieses Mangels, Ausdruck der Schwäche Afghanistans staatlicher wie nichtstaatlicher Institutionen, brauchen diese in der Vorphase zu formalen Verhandlungen Hilfe bei der Koordination und strategische Beratung.
Dazu können und müssen westliche Regierungen beitragen – mit Ermutigung und wenn nötig Geld. Sie haben ja versprochen, sich mit dem nahenden Ende der Militärintervention auf politische Mittel zu verlegen. Das betrifft besonders auch die deutsche Regierung, die sich viel auf ihre finanziell allerdings eher unzulänglich ausgestatteten Programme zur zivilen Konfliktprävention zugutehält. Dann muss sich nur noch die neue afghanische Regierung – mit ihrem schwierigen Präsidenten und dessen bekannter Abneigung gegenüber den UN und NGOs – beratungsoffen zeigen.
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