Diakonie lockert Konfessionszwang: „Wir sind offen“
Die Evangelische Stiftung Alsterdorf trennt sich von einer alten Regel: Mitarbeitende müssen nicht mehr in der Kirche sein.
taz: Herr Haas, die Mitarbeitenden der Stiftung Alsterdorf müssen nicht mehr Kirchenmitglied sein – folgt die Entscheidung Neigung oder Notwendigkeit?
Hanns-Stephan Haas: Sie folgt einer Überzeugung. Ein wesentlicher Strang besteht darin, dass es für uns eine Konsequenz ist aus unserer Beschäftigung mit Inklusion. Wir machen an vielen Stellen die Erfahrung, dass es gut ist, Menschen mit ihren jeweiligen Voraussetzungen nicht auszugrenzen, sondern als Bereicherung zu verstehen. Dasselbe gilt auch für unsere Mitarbeitenden.
Gehörte die Zugehörigkeits-Klausel in eine Zeit, als die Gesellschaft noch nicht pluralistisch war?
In ihrer ursprünglichen Absicht war die Klausel als Öffnung gedacht, um neben Mitgliedern der eigenen Konfession auch zum Beispiel Orthodoxe, Katholiken und Freikirchler anstellen zu können. Heute müssen wir diese Öffnung unserer Überzeugng nach weiter denken.
Hatten Sie Schwierigkeit, Personal mit Kirchenzugehörigkeit zu finden?
Das hängt von den Arbeitsgebieten ab. In der Medizin gibt es am ehesten Engpässe. Dort haben wir auch personalstrategisch gedacht, dass die Öffnung der Zugehörigkeitsklausel sinnvoll ist.
Also doch Notwendigkeit?
Nein, das ist nicht der Hauptmotor unserer Entscheidung. Der Brüsseler Kreis, ein Zusammenschluss aus 15 Unternehmen von Caritas und Diakonie, hat sich mit einem fast zweijährigen Vorlauf mit dem Thema befasst – dabei sind Unternehmen, die gar keine Rekrutierungsprobleme haben.
57, der Theologe und Ökonom ist seit 2008 Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Stiftung Alsterdorf.
In der Vergangenheit war die Diakonie durchaus bereit, für die Konfessionsklausel vor Gericht zu ziehen.
Das sind eher Einzelfälle gewesen, die wir in Alsterdorf nicht hatten. Mit unserer Praxis geht es uns jedenfalls um einen Weg, den wir bewusst als Unternehmen für uns gegangen sind, und zwar im intensiven Austausch mit Kirche und Diakonie.
Wie oft war das Thema Kirchenzugehörigkeit in Ihrem Haus Konfliktstoff?
In der Epileptologie hatten wir viele Bewerber ohne Kirchenzugehörigkeit. Menschen aus den neuen Bundesländern haben uns gesagt: Wir haben keine christliche Prägung und tun uns schwer damit, über die christlichen Werte des Unternehmens hinaus einen bestimmten religiösen Hintergrund nachweisen zu müssen.
Setzt Ihr Haus damit den Weg der christlichen Konfessionen von der Mehr- zur Minderheit um?
Nein, wir gehen auch in Zukunft davon aus, dass der überwiegende Anteil unserer Mitarbeiter Mitglieder in einer christlichen Kirche sind. Wir sind aber offen für Menschen mit anderen weltanschaulichen Überzeugungen. Das ist für uns Inklusion. Diese ist gesellschaftlich nicht unumstritten. An diesem Punkt beziehen wir aber klar Stellung und sind missionarisch.
Wie waren die Reaktionen?
Im eigenen Unternehmen waren sie weit überwiegend positiv. Mitarbeitende mit den unterschiedlichsten Hintergründen haben deutlich gemacht, dass sie die Öffnung und den Freiwilligkeitscharakter sehr begrüßen. Es gab Einzelstimmen, die fragten: Bin ich mit meinem christlichen Glauben hier noch beheimatet? Da haben wir sehr deutlich gemacht: Das sind sie.
In der Presseerklärung zur Aufgabe der Klausel heißt es, die Stiftung unterstütze weiterhin die Zugehörigkeit zur Kirche. Wie sieht das praktisch aus?
Wir halten die christliche Identität unseres Hauses für unaufgebbar. Und in der Hinsicht haben wir viele Angebote, das fängt damit an, dass neue Mitarbeitende an einem Begrüßungstag mit einer Andacht eingeführt werden, wir haben eine eigene Kirche, wir haben sogar eine Stabsstelle für diakonische Profilentwicklung.
Und wie sieht es innerhalb der Diakonie aus, in der das Thema heftig umstritten ist?
Wir sind im guten Einvernehmen mit der Diakonie, dort kennt man jeden Schritt den wir tun.
Also keine kritischen Stimmen?
Immer wenn man einen Schritt als erster geht, gibt es Rück- und Anfragen. Aber wir haben deutlich gemacht, dass es unser Weg ist, den wir aus unserer eigenen unternehmerischen Verantwortung machen.
Unterschieden wurde ja auch für Leitungsfunktionen. Das hatte den Beigeschmack: bei der Putzkraft ist es egal.
Leitende müssen Mitarbeitern unser christlich-diakonisches Profil vermitteln können, und entscheiden, ob sie zu uns passen. Daher gilt hier die Kirchenzugehörigkeit. Ansonsten machen wir keine Unterscheidung.
Empfinden Sie die Öffnung nun als Befreiungsschlag?
Es war und bleibt ein Lernweg. Wir waren früher eine geschlossene Anstalt mit einem eher entmündigenden Fürsorge-Paradigma. So wie wir dort lernen konnten, sehe ich das auch bei diesem Thema. Aus Inklusionsperspektive ist das eine Selbstverständlichkeit.
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