Deutschlands Reaktion auf den Terror: Contenance, Contenance
Noch übt sich die deutsche Politik in Zurückhaltung. Aber wird das so bleiben? Jetzt wäre der Moment da, um auf Prävention zu setzen.
D as war nicht unbedingt zu erwarten. Deutschland reagiert auf die Attentate in Paris, auf die internationale Jagd nach flüchtigen Attentätern und auf die Länderspielabsage in Hannover wegen einer Terrordrohung – mit Besonnenheit.
Ohne Panik, trotz Hunderter Mannschaftswagen, räumten die Stadionbesucher das Feld. Und auch die Politik reagiert bisher, soweit es geht, gelassen. Anders als in Frankreich bleiben hier Forderungen nach Sicherheitsverschärfungen bisher Einzelstimmen, selbst aus der CSU hört man, es brauche jetzt keinen „Aktionismus“.
Zur Erinnerung: Nach den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) schon nach wenigen Tagen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die ist heute Gesetz. Diesmal ist es der Innenminister, der die Debatte über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren subito beendet: Dafür gebe es derzeit „keinen Bedarf“.
Es gibt berechtigte Zweifel, dass die Contenance lange währt. Zu verführerisch ist der Ruf nach schnellen, harten Antworten. Und mit der Flüchtlingsdebatte, die derzeit bemüht in den Hintergrund gerückt wird, steht bereits ein Ziel bereit.
Missbräuchlich und falsch
Es ist ein Kampf um Begriffe und Erzählungen, global ausgefochten mit Kalaschnikows, Youtube und dem Koran. Was die Gelehrten der islamischen Welt dem „Islamischen Staat“ entgegensetzen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./ 22. November 2015. Außerdem: Wie geht das Leben in Paris nach den Anschlägen weiter? Und: „Eisbären sind einfach nicht hilfreich“, sagt Srđa Popović. Der Revolutionsberater im Gespräch über Strategien im Kampf gegen den Klimawandel. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Dass just diese Woche de Maizière eine Asylrechtsverschärfung auf den Weg brachte, lässt Ungutes befürchten. Der Aufschlag wurde schon zuvor gemacht: Könnten unter den Eintreffenden nicht auch Terroristen sein?, hieß es aus der CSU. Ist nicht spätestens jetzt Schluss mit der Aufnahmebereitschaft? Dabei ist die Faktenlage in Paris noch unklar. In Deutschland ist das anders: Laut Sicherheitsbehörden ist kein einziger derartiger Fall bisher belegt.
Der Fokus auf Flüchtlinge in dieser Debatte ist nicht nur missbräuchlich, er ist auch falsch. Denn die hiesige Terrorbedrohung hat bisher in fast allen Fällen eine andere Herkunft: eine europäische. Sie kommt von hier Aufgewachsenen wie Arid Uka, der 2011 in Frankfurt/Main zwei US-Soldaten erschoss. Von radikalisierten Deutschen, die in Syrien kämpften und nun zurück sind. Oder von Leuten wie den Paris-Attentätern, von denen, nach dem Stand der Ermittlungen, mindestens fünf von acht Franzosen oder Belgier waren. Und deren Drahtzieher, auch er Belgier, offenbar lange vor der derzeitigen Hochphase der Flüchtlingsbewegung nach Syrien reisen konnte und zurück.
Die Radikalisierung begann hier
Diese Radikalisierten sind Kinder unserer Gesellschaften. Und ihre Radikalisierung begann hier. Wenn Angela Merkel jetzt also eine „gemeinsame Antwort“ auf den Terror ausruft, dann müsste sich der Blick ins eigene Land richten, nach Bonn, nach Kassel, nach Berlin. Aber er tut es kaum.
Es sind wenige Wackere, die sich in den letzten Jahren dem Beginn von Radikalisierungskarrieren entgegenstellen. Präventionsarbeiter, die in Problemviertel ausschwärmen, die in Familien, Schulen oder Jugendklubs auf Warnsignale hinweisen. Es gibt zu wenige von ihnen. 40 Millionen Euro investiert die Bundesregierung 2015 in Präventionsprogramme gegen Islamismus – eine klägliche Summe. Für neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden plant das Innenministerium derzeit 328 Millionen Euro ein.
Keine schnelle politische Dividende
Die Gewichtung liegt auf der Hand. Das Feld der Deradikalisierung und Prävention verspricht keine schnelle politische Dividende. Bis dieser Ansatz wirkt, dauert es oft Jahre. Und der Erfolg – die Abwendung von Gewalt – bleibt unsichtbar. Doch wenn erst die Polizei anrücken muss, ist es meist schon zu spät.
Die noch anhaltende Besonnenheit bietet die Chance, die Perspektive zu ändern – auf die Orte, wo künftige Terroristen verhindert werden. Nur leider sieht es danach nicht aus. Grenzen werden kontrolliert, schwer bewaffnete Polizisten auf Patrouille geschickt – Repression. Es ist zu befürchten, dass nach dem Innehalten wieder nur der Ruf nach harten, schnellen Konsequenzen folgt. Im schlechtesten Fall in der Flüchtlingspolitik.
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