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Deutschlands Reaktion auf den TerrorContenance, Contenance

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Noch übt sich die deutsche Politik in Zurückhaltung. Aber wird das so bleiben? Jetzt wäre der Moment da, um auf Prävention zu setzen.

Bisher reagierte Deutschland mit Besonnenheit und nicht mit Alarmismus. Foto: Pmalabar/photocase

D as war nicht unbedingt zu erwarten. Deutschland reagiert auf die Attentate in Paris, auf die internationale Jagd nach flüchtigen Attentätern und auf die Länderspielabsage in Hannover wegen einer Terrordrohung – mit Besonnenheit.

Ohne Panik, trotz Hunderter Mannschaftswagen, räumten die Stadionbesucher das Feld. Und auch die Politik reagiert bisher, soweit es geht, gelassen. Anders als in Frankreich bleiben hier Forderungen nach Sicherheitsverschärfungen bisher Einzelstimmen, selbst aus der CSU hört man, es brauche jetzt keinen „Aktionismus“.

Zur Erinnerung: Nach den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) schon nach wenigen Tagen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die ist heute Gesetz. Diesmal ist es der Innenminister, der die Debatte über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren subito beendet: Dafür gebe es derzeit „keinen Bedarf“.

Es gibt berechtigte Zweifel, dass die Contenance lange währt. Zu verführerisch ist der Ruf nach schnellen, harten Antworten. Und mit der Flüchtlingsdebatte, die derzeit bemüht in den Hintergrund gerückt wird, steht bereits ein Ziel bereit.

Missbräuchlich und falsch

taz.am wochenende

Es ist ein Kampf um Begriffe und Erzählungen, global ausgefochten mit Kalaschnikows, Youtube und dem Koran. Was die Gelehrten der islamischen Welt dem „Islamischen Staat“ entgegensetzen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./ 22. November 2015. Außerdem: Wie geht das Leben in Paris nach den Anschlägen weiter? Und: „Eisbären sind einfach nicht hilfreich“, sagt Srđa Popović. Der Revolutionsberater im Gespräch über Strategien im Kampf gegen den Klimawandel. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Dass just diese Woche de Maizière eine Asylrechtsverschärfung auf den Weg brachte, lässt Ungutes befürchten. Der Aufschlag wurde schon zuvor gemacht: Könnten unter den Eintreffenden nicht auch Terroristen sein?, hieß es aus der CSU. Ist nicht spätestens jetzt Schluss mit der Aufnahmebereitschaft? Dabei ist die Faktenlage in Paris noch unklar. In Deutschland ist das anders: Laut Sicherheitsbehörden ist kein einziger derartiger Fall bisher belegt.

Der Fokus auf Flüchtlinge in dieser Debatte ist nicht nur missbräuchlich, er ist auch falsch. Denn die hiesige Terrorbedrohung hat bisher in fast allen Fällen eine andere Herkunft: eine europäische. Sie kommt von hier Aufgewachsenen wie Arid Uka, der 2011 in Frankfurt/Main zwei US-Soldaten erschoss. Von radikalisierten Deutschen, die in Syrien kämpften und nun zurück sind. Oder von Leuten wie den Paris-Attentätern, von denen, nach dem Stand der Ermittlungen, mindestens fünf von acht Franzosen oder Belgier waren. Und deren Drahtzieher, auch er Belgier, offenbar lange vor der derzeitigen Hochphase der Flüchtlingsbewegung nach Syrien reisen konnte und zurück.

Die Radikalisierung begann hier

Diese Radikalisierten sind Kinder unserer Gesellschaften. Und ihre Radikalisierung begann hier. Wenn Angela Merkel jetzt also eine „gemeinsame Antwort“ auf den Terror ausruft, dann müsste sich der Blick ins eigene Land richten, nach Bonn, nach Kassel, nach Berlin. Aber er tut es kaum.

Es sind wenige Wackere, die sich in den letzten Jahren dem Beginn von Radikalisierungskarrieren entgegenstellen. Präventionsarbeiter, die in Problemviertel ausschwärmen, die in Familien, Schulen oder Jugendklubs auf Warnsignale hinweisen. Es gibt zu wenige von ihnen. 40 Millionen Euro investiert die Bundesregierung 2015 in Präventionsprogramme gegen Islamismus – eine klägliche Summe. Für neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden plant das Innenministerium derzeit 328 Millionen Euro ein.

Keine schnelle politische Dividende

Die Gewichtung liegt auf der Hand. Das Feld der Deradikalisierung und Prävention verspricht keine schnelle politische Dividende. Bis dieser Ansatz wirkt, dauert es oft Jahre. Und der Erfolg – die Abwendung von Gewalt – bleibt unsichtbar. Doch wenn erst die Polizei anrücken muss, ist es meist schon zu spät.

Die noch anhaltende Besonnenheit bietet die Chance, die Perspektive zu ändern – auf die Orte, wo künftige Terroristen verhindert werden. Nur leider sieht es danach nicht aus. Grenzen werden kontrolliert, schwer bewaffnete Polizisten auf Patrouille geschickt – Repression. Es ist zu befürchten, dass nach dem Innehalten wieder nur der Ruf nach harten, schnellen Konsequenzen folgt. Im schlechtesten Fall in der Flüchtlingspolitik.

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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3 Kommentare

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  • ...die Ruhe vor dem Sturm!

  • Und warum haben Geheimdienste die Terroristen nicht vor dem Attentat schon ausfindig gemacht und festgenommen? Sie waren ihnen doch offenbar schon fast alle vorher bekannt gewesen. Wofür bezahlen wir unsere Geheimdienstler? http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/paris-anschlag-wieso-massenueberwachung-keine-loesung-ist-a-1063496.html

     

    Noch ein paar weitere Fragen: Der Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses hat den Verdacht explizit in den Raum gestellt, dass der dortige Verfassungsschutz die Ermittlungen gegen das Terrortrio gezielt sabotiert hat; dass er die Terroristen kannte und sie eher gedeckt als gesucht hat. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-untersuchungsausschuss-thueringen-spricht-von-desaster-a-987211.html Ist es danach weit hergeholt zu vermuten, dass es zumindest grundsätzlich sein könnte, dass einzelne Geheimdienste von den bevorstehenden Attentaten wussten und sich entschieden haben, sie nicht zu verhindern? Von expliziten Beweisen dafür sind wir zwar weit entfernt; zumindest sollten wir solchen Fragen aber mit Nachdruck nachgehen.

     

    George W. Bush hat eine knappe Woche vor dem 11. September eine Aussage gemacht, die im Rückblick aufhorchen lässt: "I have repeatedly said the only time to use Social Security money is in times of war, times of recession, or times of severe emergency. And I mean that. I mean that." Nur fünf Tage später wurden alle drei genannten Ausnahmen bittere Realität. Bemerkenswerterweise hat er im Wahlkampf nie davon gesprochen, dass er ein Budgetdefizit unter bestimmten Umständen für sinnvoll hielte. Erst an diesem Tag und anschließend wiederholt nach den Anschlägen hat er unterstellt, dass er im Wahlkampf versprochen hätte, allenfalls dann Schulden zu machen, wenn diese drei Faktoren zusammenkämen: Krieg, Rezession und ein nationaler Notfall. Wusste er von den Anschlägen bereits vorher, und hat beschlossen, sie zuzulassen?

    • @Smaragd:

      Ab Mitte September, also ungefähr eine Woche nach den Terroranschlägen, bis Juli 2002 ist er dann sogar so weit gegangen, diese ausdrücklich als Lottogewinn zu bezeichnen: "Lucky me, I hit the trifecta." Schließlich ermöglichten sie ihm, durch den Krieg gegen den Terror von innenpolitischen Problemen abzulenken. Darüber hinaus hatte er als republikanischer Präsidentschaftskandidat auch hohe Wahlkampfspenden aus dem militärischen Bereich erhalten, für die er sich auf diese Weise revanchieren konnte. (Susan Neiman, Moral Clarity, Vintage 2009, S. 354ff.)

       

      Wenn es jetzt wirklich so ist, dass die amerikanischen Geheimdienste gerade dabei waren, in der Debatte um Massenüberwachung in den USA ein Stück an Boden zu verlieren - dann hätten sie zumindest ein Motiv, nicht vor einem Anschlag wie in Paris zu warnen, wenn sie davon wussten. Auch europäischen Geheimdiensten nutzen Terroranschläge, weil sie die Debatte um Überwachung zur Sicherheit hin verschieben, weg von der Privatsphäre. Das bedeutet, dass wir ihnen noch um vieles stärker als bisher auf die Finger schauen müssen. Es geht schließlich um unsere Freiheit; und vielleicht auch um das eigene Leben, das vom nächstbesten Terroristen beendet werden könnte, wenn unsere Geheimdienste ihre Arbeit nicht vernünftig tun. (Auch wenn tödliche Badewannenstürze hierzulande mehr Menschen umbringen als Terroristen.)