Deutschland gegen Spanien: Neue Leichtigkeit des Seins
Das DFB-Team hat erreicht, was vor wenigen Monaten unvorstellbar schien. Mit Kroos und Rodri treffen die größten Mittelfeldstrategen aufeinander.
Im Lichte der güldenen Gegenwart kommt die dunkle Vergangenheit nur noch selten zum Vorschein. Denn bereits zum jetzigen Zeitpunkt hat das DFB-Team etwas erreicht, was vor wenigen Monaten nach konstant desolaten Auftritten vielen unverstellbar erschien. Das Minimalziel sei erreicht, stellt Toni Kroos vor der Viertelpartie gegen Spanien fest. Er bemerkte, dass man unabhängig vom Ausgang dieser EM „im Nachgang nicht mehr von einer Katastrophe sprechen kann“.
Noch scheinen in Deutschland schlechte Resultate der DFB-Elf eher kollektives Entsetzen zu erzeugen als gute Wahlergebnisse der AfD. Ein immenser Druck lastete auf der Elf des Gastgebers. Insofern kann die neue Unabhängigkeit und Leichtigkeit, die sich die Fußballer durch den schwer erkämpften Sieg gegen Dänemark geschaffen haben, nicht hoch genug eingeschätzt werden.
„Ich glaube, dass der Glaube in der Mannschaft jetzt schon extrem gewachsen ist in den letzten Monaten, weil wir auch die Erlebnisse dafür hatten“, sagte Kroos. Er verwies auf das Schlüsselerlebnis im März, als man im Testspiel gegen starke Niederländer die Partie drehen konnte, und eben auf die jüngsten schwierigen Phasen bei dieser EM gegen Ungarn, die Schweiz und Dänemark, die allesamt erfolgreich bewältigt wurden. Im Kurzzeitgedächtnis haben sich nun jede Menge „gute emotionale Momente“, wie das Bundestrainer Julian Nagelsmann nennt, angehäuft.
Das spiegelt sich auch auf den täglichen Pressekonferenzen wieder. Diese Woche wurde mitunter eifrig geflachst und gewitzelt. Die emotionale Kraft und Widerständigkeit wird man gegen Spanien, die wegen ihrer bislang gezeigten Leistungen und ihrer größeren Variabilität im Kader als Favorit gelten dürfen, gut gebrauchen können.
In der Mitte entschieden
Der Dribbelstärke und Geschwindigkeit der jungen spanischen Außenstürmer Nico Williams (21) und Lamine Yamal (16) können die Außenverteidiger Joshua Kimmich und voraussichtlich David Raum kaum allein begegnen. Zumal Kimmich im direkten Duell gegen Williams erhebliche Temponachteile haben dürfte.
Das ausschlaggebende Kräftemessen wird nach der Vorstellung von Toni Kroos allerdings in seinem Arbeitsbereich ausgetragen. Grundsätzlich, erklärte er, würden solche Spiele immer in der Mitte entschieden. „Wer da ein gewisses Übergewicht bekommt, die Duelle gewinnt, in der Lage ist, das Spiel mehr zu kontrollieren, hat in meinen Augen immer die bessere Chance, das Spiel zu gewinnen.“
Duell der Strategen
Mit Kroos und Rodri treffen hierbei die wohl größten Mittelfeldstrategen dieses Turniers aufeinander. So klingt es fast schon nach einer maßlosem Untertreibung, wenn Toni Kroos sagt: „Man kann sich insgesamt auf ein relativ interessantes Spiel freuen, sagt mir mein Gefühl.“
Von der Begegnung mit dem starken Kontrahenten verspricht sich der 34-Jährige auch eventuelle Vorteile. Im Verlaufe des Turniers haben die Gegner immer stärker versucht, mit einer engen Bewachung von Kroos auch den gesamten deutschen Spielfluss auszuschalten. In Spanien wird dem gebürtigen Greifswalder, der gerade bei Real Madrid tränenreich verabschiedet wurde, zwar möglicherweise der größte Respekt entgegengebracht, doch dieser weiß, dass deren Nationalspieler „in erster Linie darauf schauen, was sie tun. Sie kommen eher über den eigenen Fußball, über die eigene Feinheit.“
Sollte es also dem deutschen Team gelingen, sich nicht vom spanischen Übergewicht erdrücken zu lassen, ergeben sich manche Freiheiten. So treffen sie das erste Mal in diesem Turnier auf eine Abwehrkette, die mit vier statt mit fünf Spielern besetzt ist. Für die kreativen Offensivkräfte wie Jamal Musiala, İlkay Gündoğan oder Kai Havertz könnten sich dadurch mehr Räume ergeben.
Für Toni Kroos hat diese Partie gegen seine Wahlheimat noch eine zusätzliche besondere Dimension. Mit dieser EM, so hat er angekündigt, wird seine Karriere enden. Es könnte also auch noch seine letzte Partie als Profifußballer sein. Bei seinem Auftritt am Donnerstag auf der Pressekonferenz war das eines der großen Themen. Wie sehr ihn dieser Umstand beschäftige, wollte dann am Ende auch noch mal ein spanischer Journalist wissen. Kroos sagte: „Das stört mich nicht, das ist eher eine Motivation.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf