Deutschland bremste bei EU-Verhandlungen: Mehr Wirtschaftsschutz, weniger Reparatur
Interne Dokumente zeigen: Bei den EU-Verhandlungen zum Recht auf Reparatur bremste Deutschland. Verbände fordern nun Ambitionen bei der Umsetzung.
So zeigen etwa zwischen den zuständigen Ministerien abgestimmte Weisungen für die Verhandlungen in EU-Arbeitsgruppen, dass Deutschland sich unter anderem für einen kürzeren Gewährleistungszeitraum ausgesprochen hatte. Außerdem heißt es in einem der Dokumente (Original auf Englisch): „Deutschland steht nach wie vor der Verpflichtung der Mitgliedstaaten kritisch gegenüber, neben der Meldepflicht zusätzlich mindestens eine reparaturfördernde Maßnahme zu ergreifen.“
Durchsetzen konnte sich Deutschland damit zwar nicht – Vorschläge für eine deutliche Stärkung des Verbraucherschutzes blieben allerdings aus. Aktuell wird Zahlen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) zufolge in Deutschland weniger als ein Viertel aller defekten Geräte repariert. Hürde sind dabei häufig die Kosten: Nicht nur bei manchen Elektrogeräten, auch bei Kleidung oder sogar Möbeln ist ein billiger Neukauf oft günstiger als eine Reparatur.
Die EU hat daher im Frühjahr ein Recht auf Reparatur beschlossen. Damit sollen Reparaturen einfacher, leichter zugänglich und auch bezahlbarer werden. In Kraft getreten ist die Richtlinie Anfang Juli. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen sie in den kommenden zwei Jahren umsetzen. Das Bundesjustizministerium (BMJ), das in den Verhandlungen federführend war, gab auf Anfrage an, derzeit an Vorschlägen zur Umsetzung zu arbeiten – Details könne man aber noch nicht nennen.
Hier sieht alles ungewohnt aus? Stimmt, seit Dienstag, 15.10.2024, hat die taz im Netz einen rundum erneuerten Auftritt. Damit stärken wir, was die taz seit Jahrzehnten auszeichnet: Themen setzen und laut sein. Alles zum Relaunch von taz.de, der Idee dahinter und der Umsetzung konkret lesen Sie hier.
Konflikt zwischen Ministerien
Aus den Dokumenten geht auch hervor, dass vor allem zwischen dem von der FDP geführten BMJ und dem grün geführten Bundesumweltministerium (BMUV) Differenzen bestanden. So skizziert das BMJ auf die IFG-Anfrage hin vor allem wirtschaftsfreundliche Ziele. Zum Beispiel: keine höheren Bußgelder, keine Verpflichtung für Hersteller, ein Ersatzprodukt für die Reparaturdauer bereitzustellen und keine Ausweitung des Reparaturrechts auf weitere Produktgruppen. Das BMUV wünschte sich dagegen unter anderem mehr Produktgruppen und eine Preisangabepflicht für Standardreparaturen.
„Die FDP hat die Wirtschaftsinteressen durch das BMJ in die Verhandlungen reingetragen“, sagt Maximilian Voigt von der Open Knowledge Foundation. Viele Menschen wünschten sich, Dinge zu reparieren, statt sie ersetzen zu müssen, aber das Thema werde von der Politik nicht ausreichend adressiert.
Voigt kritisiert auch, dass die Richtlinie Verbraucher:innen eher passiv versteht. „Nutzer:innen werden nicht mitgedacht, wenn es um das Selberreparieren geht.“ So werde es trotz der neuen Regeln für Privatpersonen schwierig bis unmöglich, Zugang zu den Ersatzteilen der Hersteller bekommen.
„Gerade wenn man sich anschaut, was andere Länder machen, ist es frustrierend, dass hier nichts vorangeht“, sagt Katrin Meyer vom Runden Tisch Reparatur. Sie hofft daher, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ihre Spielräume für mehr Verbraucherschutz nutzt: mit einer Ausweitung auf weitere Produktgruppen, einem klaren Rahmen, was Ersatzteile kosten dürfen, und einem Reparaturbonus nach französischem Vorbild, für den die Hersteller aufkommen müssen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Produkte, die jetzt schon in Gebrauch sind, auch repariert werden“, sagt Meyer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“