Deutscher Reporter Billy Six: Freude hier, Frust dort
Der deutsche Reporter Billy Six wurde aus der Haft in Venezuela entlassen. Er soll inzwischen das Land verlassen haben.
Demnach brachte man den 32-Jährigen, der am 17. November vom venezolanischen Geheimdienst Sebin bei einer Razzia im Bundesstaat Falcón im Norden des Landes verhaftet worden war, am Freitag für eine Anhörung in das Justizgebäude. Dort wurden ihm die Auflagen seiner Freisetzung mitgeteilt: Six müsse sich alle zwei Wochen bei den venezolanischen Behörden melden. Zudem dürfe er nicht mit der Presse über seinen Fall sprechen. Nach Angaben verschiedener Medien hat Six das Justizgebäude anschließend in Begleitung deutscher Botschaftsmitarbeiter verlassen.
Gegenüber der taz hat das Auswärtige Amt in Berlin die Freilassung Six’ bestätigt. Am Sonntagnachmittag dann folgte die Meldung, Six befinde sich auf dem Weg nach Deutschland. „Wir sind froh, dass der Fall Billy Six nach intensiven Bemühungen eine positive Entwicklung genommen hat“, bestätigte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes die Ausreise.
Unklar sind die Gründe für die Entscheidung der venezolanischen Justiz. Möglicherweise hat sie mit dem bevorstehenden Besuch von Michelle Bachelet zu tun. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und frühere chilenische Präsidentin hat angekündigt, nach Caracas zu reisen. Derzeit ist bereits ein fünfköpfiges Beobachter-Team im Land, um die schweren Vorwürfe gegen die Regierung von Nicolás Maduro im Umgang mit Freiheits- und Bürgerrechten zu prüfen. Beobachter in Venezuela werten die Freilassung Six' als Versuch der Regierung, das Urteil der UN-Inspekteure abzumildern.
Erste Dusche seit vier Monaten
In Deutschland hat die Nachricht über die Freilassung des Deutschen Freude ausgelöst. Auch Six' Eltern äußerten ihre Erleichterung. In der rechtskonservativen Zeitung Junge Freiheit, für die Six freiberuflich arbeitet, sagten sie am Samstag: „Wir sind froh über seine Haftentlassung“. Ihr Sohn sei jetzt in Caracas in einem Hotel und schlafe. Erstmals seit vier Monaten habe er wieder duschen können.
Six hatte mehrfach über die schlechten Haftbedingungen geklagt. Anfang Februar gab er einem deutschen Botschaftsmitarbeiter einen handschriftlich verfassten Brief an Gefängnisdirektor Ángel Flores und an Justizminister Néstor Reverol, der gleichzeitig Innenminister und Generalkommandeur der Nationalgarde ist.
Darin beklagt Six, dass er elf Wochen lang keinen Sonnenlicht gesehen habe, das Gefängnis voller Schimmel sei, ihm der Kontakt zu seinem Anwalt oder seiner Familie verwehrt bliebe und dass ihm persönliche Gegenstände wie Tagebücher oder seine Nagelschere abgenommen worden seien. Bei der Gelegenheit kündigte Six einen Hungerstreik gegen seine Haftbedingungen an.
Die Umstände von Six' Verhaftung haben weltweit für Empörung gesorgt. Six, der sich auf seinem Youtube-Kanal selbst als „Indiana Jones“ des Journalismus bezeichnet und schon mal in einem syrischen Gefängnis saß, hatte vor seiner Verhaftung zu der humanitären Krise im Land und zum Massenexodus der Venezolaner nach Kolumbien und in die Karibik recherchiert.
Die Vorwürfe: Spionage und Rebellion
Einen Tag nach seiner Verhaftung – am 18. November – brachten Geheimdienstmitarbeiter Six vor ein Militärgericht in Caracas. Dort wurden ihm „Spionage“, „Rebellion“ und das „Verletzen von Sicherheitszonen“ vorgeworfen. Laut der Menschenrechtsgruppe Espacio Público wurden dabei folgende „Verstöße“ vorgebracht: Six habe in den Jahren 2015 und 2016 während eines nationalen Feiertages Fotos von Militärparaden gemacht und sich während seiner Recherchen mit kolumbianischen FARC-Rebellen getroffen.
Weiter sei Six zur Last gelegt worden, dass er sich bei einer Wahlkampfveranstaltung von Präsident Nicolás Maduro im Mai 2018 auf die Absperrung der „Sicherheitszone“ gestützt habe. Six drohten bis zu 28 Jahre Haft.
Reporter Ohne Grenzen (ROG) bezeichnete die Vorwürfe im Herbst als „hanebüchen und in keiner Weise belegt“. Es sei ein „gängiges Mittel autoritärer Regime, recherchierende Journalisten der Spionage zu bezichtigen“. Im aktuellen ROG-Ranking für Pressefreiheit landet Venezuela weltweit auf Platz 143 von 180. Daran dürfte auch die Freilassung Six' nichts ändern. Im Gegenteil.
Erst diese Woche gab es – unmittelbar vor der Freilassung Six' – drei staatliche Übergriffe auf Journalisten. Am Montag meldete die Frau des Medienaktivisten Luis Carlos Díaz, dass dieser verschwunden sei. Mittlerweile habe der Geheimdienst Sebin seine Festnahme bestätigt, berichtet die Pressegewerkschaft SNTP. Am Donnerstag dann wurde der Korrespondent der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza Tomasz Surdel in Caracas von Polizisten verprügelt. Auf Twitter erzählt Surdel auf Spanisch mit übel zugerichtetem Gesicht von dem Überfall. Surdel kündigte an, sich nicht einschüchtern und weiter aus Venezuela berichten zu wollen.
CNN-Mitarbeiter verschwunden
Am gleichen Tag wurde der der CNN-Mitarbeiter Rafael González als vermisst gemeldet. Nach Angaben seiner Anwältin Andrea Santacruz wurde er während seiner Arbeit von Sicherheitskräften des Staates festgehalten und mitgenommen. „Ihm wurde gegen seinen Willen die Freiheit genommen und der Staat verweigert die Aussage darüber, wo er sich befindet“, sagt sie dem regierungskritischen Internet-Fernsehsender VPITV.
Die Regierung Maduros signalisiert mit diesen Übergriffen: Auch künftig riskiert jeder, der kritisch berichtet, mindestens Haft – auch ausländische Journalisten. Manche werden nach der Festnahme schnell außer Landes geschafft wie vor zwei Wochen der US-Journalist Cody Weddle, der für CNN arbeitet. Doch wer einmal einsitzt, kommt in der Regel nicht so schnell raus.
Der Fotograf Jesús Medina Ezaine etwa wird seit August 2018 in einem Militärgefängnis festgehalten. Sein Vergehen: Medina hatte zwei peruanische Kollegen bei einem Bericht über ein Krankenhaus in Caracas geholfen und sich damit zum Staatsfeind gemacht. Noch länger sitzt der Direktor des Investigativmediums Reporte Confidencial Braulio Jatar ein – über zweieinhalb Jahre. Er soll ein Terrorattentat mit vorbereitet haben. Tatsächlich hatte Jatar von einer regierungskritischen Demonstration berichtet.
Was auch immer zu Six' Freilassung geführt haben mag: In Deutschland dürfte der Fall Six damit noch nicht abgeschlossen sein. Die AfD hatte versucht der Bundesregierung nachzuweisen, sich nicht genügend für die Freilassung Six' eingesetzt zu haben. Auf Twitter kündigte die AfD der niedersächsischen Stadt Salzgitter an: „Die deutsche Regierung, insbesondere der Außenminister Heiko Maas, das Auswärtige Amt und die deutsche Botschaft in Caracas werden sich noch für die 119 Tage Isolationshaft von #BillySix zu verantworten haben!“
UPDATE 17.03.: Dieser Text wurde am 17.03. mit einem Zitat aus dem Auswärtigen Amt aktualisiert
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