Deutscher Profi-Volleyballer im Iran: „Das hat ja super geklappt“
Der Volleyballprofi Dirk Westphal hat beim iranischen Klub Shahrdari Täbris angeheuert. Er ist überrascht, wie unkompliziert vieles funktioniert.
Der Plan war relativ simpel und schien auch problemlos zu funktionieren: Nach Jahren eines Nomadendaseins, das ihn nach Italien, Belgien, Polen und Frankreich geführt hatte, beschloss der Volleyballprofi Dirk Westphal, sesshaft zu werden. Er wollte endlich mehr Zeit mit seiner Freundin und seinem Sohn Chris verbringen, der seinen Vater nur sporadisch sehen konnte. Ein Arbeitgeber in Westphals Heimatstadt Berlin oder im Umland der Hauptstadt sollte es sein.
Genauso kam es zunächst auch. Wäre das Leben keine Wundertüte, würde der Außenangreifer jetzt im beschaulichen Brandenburg für die Netzhoppers aus Königs Wusterhausen aufschlagen. Doch es kam anders, oder um es in Westphals Worten zu formulieren: „Das hat ja super geklappt.“ Anfang September nahm Westphals italienischer Agent Kontakt mit dem WM-Dritten von 2014 auf, er hatte ein Angebot: Shahrdari Täbris, so der Name des iranischen Erstligisten, wolle ihn unbedingt haben.
Schnell gelangte der Umworbene zur Überzeugung, das könne eine Option sein. Schließlich lockte nicht nur ein für Volleyballverhältnisse üppiges Honorar, sondern auch die Aussicht, dass die Saison im Iran so früh beendet ist, dass die Trennung von der Familie zu verkraften wäre.
Allerdings war der Gedanke, in einem Land wie Iran zu spielen, gewöhnungsbedürftig. „Man hat ja seine Vorstellungen und Vorurteile“, sagt Westphal: „Ein totalitäres, religiös geprägtes Land mit wenig Freiheiten, in dem westliche Kultur und Denkweisen nicht viel zählen.“ Skepsis schien angebracht, die sich verstärkte, als es um die Vertragsmodalitäten ging. Plötzlich hatte Westphal drei unterschiedliche Entwürfe auf dem Tisch liegen. Die Anbahnungsversuche wirkten so wenig seriös, dass der Spieler innerlich bereits Abschied vom Abenteuer nahm.
Nachbarschaft zur Türkei
Doch dann lösten sich die Dinge ebenso schnell auf, wie sie sich verworren hatten. Westphal saß „mit einer Mischung aus Skepsis, Neugier und Zuversicht“ im Flieger und brach „in die spannendste Zeit“ seiner Karriere auf. Der Außenangreifer ist ein Pionier, nie zuvor hatte ein deutscher Volleyballer ein Engagement im Iran angenommen.
Und siehe da: Die Vorbehalte, die den 30-Jährigen begleiteten, erwiesen sich als unbegründet: „Vom ersten Tag an wurde es mir leicht gemacht“, berichtet Westphal: „Die Leute sind unheimlich freundlich und aufgeschlossen, sie gehen neugierig und ohne Vorbehalte auf dich zu und nehmen dich mit großer Herzlichkeit auf.“
Dirk Westphal
Überhaupt sei das Leben weit weniger von Verboten und Repressalien geprägt, als man dies in Westeuropa annehme. Das mag auch daran liegen, dass Täbris im Norden des Iran in der Nachbarschaft zur Türkei und zu Aserbaidschan liegt. In der Millionenstadt sprechen die meisten Menschen türkisch und nicht die Landessprache Farsi. Auch sonst ist das Leben im Vergleich zu anderen Landesteilen durchaus westlich geprägt. „Ich habe zum Beispiel noch keine vollverschleierte Frau gesehen, wenn ich in der Stadt unterwegs war.“ Viele ältere Frauen seien zwar verschleiert, aber ihre Gesichter gut zu erkennen.
Volleyballer als Stars
Grundsätzlich habe der Iran schon strenge Regeln und Gesetze, aber das gelte in erster Linie fürs Leben in der Öffentlichkeit. Im privaten Rahmen, so hat Westphal erfahren, sei dagegen vieles möglich: „Die Menschen reden mit mir über Themen wie Politik, Frauenrechte, Religionsfreiheit oder Homosexualität. Sie tun das nur nicht so freizügig wie bei uns.“ Das gelte auch für den Umgang mit Alkohol. Wenn sich Iraner treffen und feiern, kreisen auch anregende Getränke, sie hängen das jedoch nicht an die große Glocke.
Was das Thema Internet angeht, gibt es allerdings immense Einschränkungen. Viele Seiten werden blockiert und können nicht genutzt werden. Das gilt auch für die sozialen Netzwerke. Doch die Menschen finden auch auf diesem Terrain Möglichkeiten, die Verbote mit Hilfe der richtigen Software zu umgehen. Und so gilt auch im Netz der Grundsatz, dass im privaten Bereich viele Dinge möglich sind, die im öffentlichen Raum tabu sind.
Dass im Nachbarland Irak ein grausamer Krieg herrscht, bekommt der Volleyballer kaum mit. Er sei zwar „jetzt wesentlich näher dran, aber generell verfolgst du das Geschehen nur in den Nachrichten.“ Allerdings hat Westphal auf den Straßen eine „wesentlich höhere Militärpräsenz“ als in Deutschland festgestellt. Westphal hat sich in Täbris gut eingelebt. „Meine Unsicherheit ist zu großen Teilen verflogen.“ Der Deutsche lebt in einer Hotelsuite, sein Nachbar ist der Serbe Milan Rašić, der bereits in der zweiten Saison im Iran sein Geld verdient. Dass hier solch üppige Gagen gezahlt werden, liegt daran, dass der Stellenwert der Sportart Volleyball hoch ist.
Anders als in Deutschland, wo König Fußball die Konkurrenten so sehr an die Wand drückt, dass sie kaum atmen können, werden Volleyballer im Iran als Stars hofiert. „Hier begegnen sich Fußball, Basketball und Volleyball auf Augenhöhe“, berichtet Westphal. So werden an jedem Spieltag zwei Begegnungen live im staatlichen Fernsehen übertragen. „Eine solche Begeisterung“, sagt Westphal, „habe ich auf meinen bisherigen Stationen nirgendwo festgestellt.“
Kein Stress zu erwarten
In seiner Wahlheimat ist es bitterkalt. „Ich erlebe meine erste weiße Weihnacht seit zehn Jahren.“ Der Volleyballer aus Deutschland ist angekommen und kann sich durchaus vorstellen, „in diesem Land wesentlich mehr Zeit zu verbringen als eine Saison“. Auch deshalb, weil die Scheu, seine Familie um sich zu haben, verflogen ist. „Ich wollte meine Freundin und meinen Sohn nicht mitzunehmen, weil ich gelesen hatte, dass sie im Iran Probleme damit haben, wenn Unverheiratete Kinder in die Welt setzen. Nach allem, was ich bislang erlebt habe, sind sie jedoch Ausländern gegenüber so tolerant, dass kein Stress zu erwarten ist.“ Und so sind Westphals Lebensgefährtin und sein Sohn am ersten Weihnachtstag im Iran angekommen. Heiligabend, so berichtet der Profi, standen allerdings zwei Trainingseinheiten auf dem Programm.
Dirk Westphal ist dankbar, die Chance, ein neues Land und eine fremde Kultur kennenzulernen, beim Schopf ergriffen zu haben. „Bevor ich in den Iran kam, hatte ich nur das Bild im Kopf, das ich aus dem Fernsehen kannte. Jetzt bin ich glücklich, mir ein richtiges Urteil gebildet zu haben. Die Menschen hier sind uns wesentlich näher, als viele das glauben mögen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“