■ Deutscher Herbst 1977: Medien und Sicherheitsbehörden interpretierten den hohen Frauenanteil bei der RAF als „Exzeß der Befreiung der Frauen“. Ein Sicherheitsexperte riet: „Erschießt zuerst die Frauen!“ Von Ute Kätzel: „Die Mädchen fielen aus ihrer Rolle“
Ein Aspekt des Deutschen Herbstes blieb bislang vollkommen unbeachtet: Die Darstellung der RAF-Frauen in den Medien als „Terrormädchen“, die die Frauenbefreiung auf die Spitze treiben wollten.
Die Medien sind derzeit voll mit Erinnerungen an den Deutschen Herbst 1977. Doch ein Thema, dem damals breiteste Aufmerksamkeit gewidmet wurde, fehlt: Die Hälfte der Mitglieder von RAF und Bewegung 2. Juni waren Frauen. Warum diese Tatsache heute völlig unbeachtet bleibt, kann nur vermutet werden. Weil es heute selbstverständlicher ist, daß Frauen Waffen tragen? Nicht nur im Fernsehkrimi greifen Kommissarinnen zum Schießeisen. Auch im wirklichen Leben geht die bewaffnete Beamtin Streife. Oder weil RAF und 2. Juni Geschichte sind und Geschichte noch immer hauptsächlich von Männern gemacht wird?
Im Jahr 1977 waren die Medien vor allem mit einer Frage beschäftigt: Warum so viele Frauen? In Boulevardzeitschriften hießen sie nur die „Horrormädchen“ oder „Ulrike Meinhofs grausame Mädchen“. Die Welt versicherte, der Bürger habe Angst, daß ihm eines Tages „der gewaltsame Tod in Gestalt eines jungen Mädchens gegenübertreten werde“. Von „phallischen Frauen“, von „Weibergewalt“ und von der „makaber hervorragenden Rolle der Frauen“ war da die Rede. „Weibliche Supermänner“ wurden zurechtgezimmert. „Als Opfer von Gewalt sind Frauen etwas Normales und Alltägliches, jedoch als selbsttätige, mit Waffengewalt agierende Persönlichkeiten sind sie den Spiegel-Herren suspekt“, konterte im August 1977 eine Spiegel-Leserin.
Nach Aussage von Christian Lochte, dem inzwischen verstorbenen Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, hatten die Staatsbehörden vor allem die Frauen im Visier. Der englischen Journalistin Eileen MacDonald sagte er in einem Interview: „Für jeden, dem sein Leben lieb ist, ist es ratsam, die Terroristinnen zuerst zu erschießen.“ Ihr Buch über Frauen im weltweiten bewaffneten Kampf benannte sie danach: „Shoot the women first“. („Erschießt zuerst die Frauen“; Verlag Klett- Cotta, d. Red.)
Im Deutschen Herbst 1977 sinnierte nicht nur der Spiegel, „daß hier Mädchen tief aus ihrer angestammten Rolle gefallen waren“. Kein Journalist wäre je auf die Idee gekommen zu behaupten, Andreas Baader oder Jan Carl Raspe seien aus ihrer angestammten Rolle gefallen. Daß sich Frauen an Gewaltaktionen diesen Ausmaßes beteiligten, galt vielen männlichen Kommentatoren als besonders „pervers“. Man sprach ihnen jede politische Überzeugung ab. Ihren Entschluß, sich RAF oder 2. Juni anzuschließen, stellten die einen als psychische Entgleisung infolge einer unbewältigten Kindheit dar. Die anderen wollten vor allem eines glauben machen: Die gerade erstarkende Frauenbewegung sei schuld.
Vor allem Günther Nollau, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, stellte einen direkten Zusammenhang her zwischen dem Frauenbefreiungskampf und dem „weiblichen Terrorismus“: „Irgendwas Irrationales ist in dieser ganzen Sache, daß da so viele Mädchen dabei sind. Vielleicht ist das ein Exzeß der Befreiung der Frau, was hier deutlich wird.“
Der „weibliche Terrorismus als Exzeß der Befreiung der Frau“! Mit diesem Vorwurf setzten sich nicht alle auseinander, die sich damals Feministinnen nannten. Ein großer Teil der Frauenbewegung ignorierte ihn einfach, ebenso wie sie die „Horrormädchen“ in den Boulevardzeitungen ignorierte. Sei es, weil frau es gewohnt war, als „Emanze“ verunglimpft zu werden, wenn sie aus der tradierten weiblichen Rolle fiel, sei es aus Angst, ein kritisches Wort könnte den Verdacht des Sympathisantentums nach sich ziehen.
Es gab aber auch Stimmen aus der Frauenbewegung, die diesen Angriff ernst nahmen. Im Frühjahr 1978 erschien das Buch „Frauen und Terror“, herausgegeben von Susanne von Paczensky. Namhafte Autorinnen waren darin vertreten: Margarete Mitscherlich, Helga Einsele, Christina Thürmer-Rohr. Die Straftaten der Frauen seien zwar zu verurteilen, schrieb Susanne von Paczensky. Doch ihr Handeln ins Frivole zu ziehen, sie als sexuell abartig und penisneidisch zu verspotten, beantworte mitnichten die Frage nach der Ursache dieser Gewalttaten. Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich sprach sogar von einer Sonderverfolgung der RAF- Frauen, die mit der Hexenverfolgung verglichen werden könne. Offenbar sei Gewalt alleinige Sache der Männer: „Alle Gewalt geht von Männern aus. Selbst wenn sie kriminell sind, sind sie doch normal. Wenn aber Frauen zu Gewalt greifen, dann ist die Ordnung gestört, und nicht nur die Rechtsordnung.“
Tatsächlich: Zu keiner anderen Zeit und in keinem anderen Land waren prozentual gesehen so viele Frauen an bewaffneten Untergrundgruppen beteiligt, zum großen Teil sogar in führender Position. Aber insgesamt waren es doch nur sehr wenige Frauen, die sich für ein Leben im Untergrund entschieden. Wohl kaum eine von ihnen stammte aus der Frauenbewegung. Der Kampf gegen das Patriarchat war nicht Sache der RAF.
Während RAF-Frauen gegen den repressiven Staat zu Felde zogen, deckten Feministinnen Gewalt ganz anderer Art auf. Unter dieser Gewalt hatte potentiell jede Frau zu leiden. Im Mittelpunkt stand die Einsicht in die eigene Unterdrückung. Diese sollte geändert werden durch radikale Gegenkonzepte, aber nicht durch bewaffnete Gewalt. Die Professorin Christina Thürmer-Rohr heute rückblickend: „Es ging so vielen Frauen damals zuerst um ihr eigenes Leben, darum, ihr eigenes Leben überhaupt erst beginnen zu können. Die Einsicht in die eigene Unterdrückung, in die eigenen Deformationen, sozusagen in das nicht gelebte Leben, führten viel weniger zu einem Interesse daran, sich jetzt in eine Untergrundorganisation zu begeben, sondern vielmehr zu dem Interesse zu leben.“ Vielen sei es damals darum gegangen, „neue Bündnisse zu finden, nicht diese Unterordnung unter männliche Institutionen und Bewegungen“.
Damit war die Frauenbewegung nicht etwa „unpolitisch“ oder verzichtete gar auf Gesellschaftskritik. Sie verfolgte nur andere Ziele. Und eines wollten die Feministinnen sicher nicht mehr: sich aufopfern für andere. Die Form der Selbstopferung in der RAF paßte nicht ins Konzept der Frauenbewegung, resümiert Christina Thürmer-Rohr: „Die Selbstopferung aus politischen Motiven wurde im Feminismus ziemlich schnell als eine Gewalthandlung kritisiert, die Frauen sich selbst gegenüber anwenden.“ Die Frauenbewegung hätte damals „versucht, die patriarchalen Handlungen oder Zurichtungen an Frauen deutlich zu machen“. Schließlich ging es darum, „damit aufzuhören“.
Der Deutsche Herbst 1977 ist Geschichte. Welche Diskussionen über die Rolle der Frauen geführt wurden, gerät in Vergessenheit. Unerklärlich ist, warum auch die Insiderinnen dazu beitragen, obwohl gegen sie eine derartige Hetze veranstaltet worden war. In ihren kürzlich erschienen Büchern gehen weder Birgit Hogefeld noch Irmgard Möller darauf ein. Warum bei RAF und 2. Juni so viele Frauen beteiligt waren, ist für sie offenbar nicht von Interesse. Der eigene Entschluß, bewaffnet gegen den Staat zu kämpfen, wird immer mit „politischen“ Motiven begründet. Kapitalismuskritik und Beteiligung am antiimperialistischen Kampf stehen im Mittelpunkt. „Wir sind alle nicht aus der feministischen Bewegung gekommen“, bekennt das ehemalige 2.-Juni- Mitglied Inge Viett offen. „Wir haben nicht bewußt so einen Frauenbefreiungsprozeß für uns durchleben wollen, obwohl es natürlich letztlich so war. Wir haben uns einfach entschieden, und wir haben dann gekämpft und dieselben Dinge getan wie die Männer. Es war für uns keine Frage Mann–Frau. Das alte Rollenverhältnis hat für uns in der Illegalität keine Rolle mehr gespielt. Deshalb haben wir uns damit nicht auseinandersetzen müssen.“ Die Illegalität als feministisches Paradies? So ganz ist das Inge Viett nicht abzunehmen, denn ihre Kampfgenossen waren auch nur Kinder ihrer Zeit und damit Kinder des Patriarchats. Eine Aufarbeitung über die Frauen im Deutschen Herbst steht aus.
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