Deutsche Zusammenarbeit mit Rosatom: Radioaktiv verseucht
Der Betreiber der Brennelementefabrik in Lingen kooperiert mit Russlands Atomwirtschaft. Die mischt auch bei Bombenbau und im Ukrainekrieg mit.
Nach Informationen von umweltfairaendern.de will Framatome nicht nur weiterhin Uranbrennstoff aus Russland importieren. Aktuell plane das Unternehmen auch den Export von angereichertem Urandioxid von Lingen über die Niederlande nach Russland. Für die Durchführung der geplanten Exporte ist die in Hanau ansässige Orano NCS (Nuclear Cargo Service) GmbH zuständig.
Entsprechende neue Genehmigungen für die Durchführung von Transporten per Lkw von der Lingener Brennelementefabrik Advanced Nuclear Fuels (ANF) über die Niederlande und weiter per Schiff zur MSZ Machinery Manufacturing Plant JSC in die 60 Kilometer von Moskau entfernte Kleinstadt Elektrostal liegen bereits vor, berichtet umweltfairaendern.de. Es fehlt allerdings die Ausfuhrgenehmigung, die das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) erteilen muss. Dies sei nicht geschehen, bestätigte das Bafa auf Anfrage der taz.
Dass Elektrostal teilweise hoch verstrahlt ist, scheint in Lingen nicht bekannt zu sein. Im Umfeld der Atomfabrik von Elektrostal liegt die radioaktive Belastung um ein Vielfaches über den in Deutschland zulässigen Grenzwerten.
Belastung von über hundert Mikrosievert pro Stunde
Einer, der mit der MSZ Machinery Manufacturing Plant in Elektrostal vertraut ist, ist der russische Atomphysiker Andrej Oscharowski. Im Juni hatte er in einem Video seine Messergebnisse der radioaktiven Verseuchung um die Atomfabrik von Elektrostal öffentlich gemacht. So hatte er an einigen Stellen im Wald unweit der Atomfabrik von Elektrostal eine radioaktive Belastung von über 100 Mikrosievert pro Stunde gemessen.
Zum Vergleich: Der Grenzwert für die effektive Dosis zum Schutz von beruflich strahlenexponierten Personen beträgt laut deutschem Strahlenschutzgesetz 20 Millisievert im Kalenderjahr. „Angenommen, ich würde im Wald auf einem dieser Hotspots um die Atomfabrik von Elektrostal zelten“, erklärt Oscharowski der taz, „hätte ich diese 20 Millisievert bereits in hundert Stunden, also gut vier Tagen drauf.“
Gleichzeitig ist es für Oscharowski unverständlich, warum Russland angereichertes Uran aus dem Ausland brauche. Schließlich, so Oscharowski, habe Russland aktuell doch ausreichende Kapazitäten für die eigene Produktion von angereichertem Uran.
Framatome produziert für Russland
Dieser Deal zeigt auch, meint die ukrainische Atomexpertin Olga Koscharna, dass nun mit Framatome neben dem russischen TVEL und der US-amerikanischen Westinghouse ein dritter Player auf dem Weltmarkt für die Produktion von Brennstäben für russische WWER-Druckwasserreaktoren sei.
Und Framatome scheint offensichtlich, so Koscharna, von seinem russischen Partner eine Lizenz für die Baupläne und die Produktion von diesen Brennstäben erworben zu haben. Dies zeige, dass in einigen EU-Staaten eine Zusammenarbeit mit der russischen Atomwirtschaft Business as usual sei, man nicht gewillt sei, Sanktionen gegen Rosatom zu verhängen.
Wenig bekannt ist der Umstand, dass Russlands Atomwirtschaft fester Bestandteil der russischen Atomwaffenindustrie ist. Auch wenn Uran aus der Atomindustrie wegen seines Anreicherungsgrads von unter 5 Prozent nicht in Atomwaffen, wo eine Anreicherung von über 90 Prozent gegeben sein muss, eingesetzt werden kann, ist doch jede Zusammenarbeit mit der russischen Atomwirtschaft auch eine Stärkung der russischen Atomwaffenindustrie.
„Rosatom ist für die Produktion und die Instandhaltung der Einsatzbereitschaft der russischen Atomwaffen mitverantwortlich. Jede Verbindung, jeder Vertrag mit Rosatom, auch in scheinbar friedlichen Bereichen, stärkt Rosatom auch im militärischen Bereich“, so Oscharowski zur taz.
Rosatom ist eng verflochten mit der Atomwaffenindustrie
Aber auch abgereichertes Uran, das nach Angaben von Greenpeace von der im Münsterland gelegenen Fabrik Urenco 25 Jahre lang an Russland geliefert worden war, könnte in russischen Atomwaffen verwendet werden, sagt Oscharowski: „Einige nukleare Sprengsätze haben eine Art Hülle, die aus abgereichertem Uran besteht.“ Es sei nicht auszuschließen, dass dieses Uran aus Lieferungen von Deutschland stamme.
Als am 8. August 2019 auf einem militärischen Testgelände im nordrussischen Archangelsk ein Test einer nuklearen Unterwasserrakete fehlschlug, kamen auch fünf Experten von Rosatom ums Leben.
Die Anwesenheit von Rosatom-Vertretern bei dem Testen einer neuen Atomwaffe belegt eindrucksvoll die enge Verflechtung von Atomenergie und Atomwaffenrüstung in Russland. Auch nachdem russische Truppen Anfang März 2022 Europas größtes Atomkraftwerk, das ukrainische AKW Saporischschja in Enerhodar, mit militärischer Gewalt überfallen hatten, übernahm der Staatskonzern Rosatom im Anschluss die technische Aufsicht über das erbeutete AKW.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten