„Deutsche Wohnen enteignen“ in Berlin: Volksentscheid wohl alternativlos
Erst im Juni will sich die rot-rot-grüne Regierung in Berlin mit dem Enteignungsvolksbegehren beschäftigen. Eine politische Lösung ist nicht in Sicht.
Deutlich mehr als 20.000 Unterschriften hat die Initiative bislang nach eigenen Angaben gesammelt. Konkrete Zahlen wird es aber erst nach dem 1. Mai geben. „Dann wird wieder gezählt“, sagt Taheri. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen einen anderen Verlauf nehmen könnte als zum Beispiel beim Radverkehr oder dem Mietenvolksentscheid.
Die Berliner „Initiative Volksentscheid Fahrrad“ war im Juni 2016 gestartet und hatte dem Senat innerhalb von dreieinhalb Wochen mehr als 100.000 Unterschriften überreicht – fünfmal mehr, als für die erste Stufe nötig gewesen wären. Zu einem abschließenden Volksentscheid, bei dem 50 Prozent der Abstimmenden und mehr als 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen müssen, kam es aber nicht. Der rot-rot-grüne Senat hatte die Ziele des Volksbegehrens übernommen, in zähen Verhandlungen mit den Initiatoren wurde schließlich am 28. Juni 2018 das Berliner Mobilitätsgesetz verabschiedet.
Ähnlich wurde auch der Mietenvolksentscheid politisch abgeräumt. Weil ein Teil der Forderungen vom Senat übernommen wurde, verzichtete die Initiative auf die zweite Stufe des Volksbegehrens, bei der 170.000 Unterschriften gesammelt werden müssen. Am Ende verabschiedete das Abgeordnetenhaus das Berliner Wohnraumversorgungsgesetz.
Regierender macht keinen Hehl aus Ablehnung
Nach einer solchen politischen Lösung sieht es beim Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ derzeit allerdings nicht aus. Zwar hat die Linkspartei auf einem Parteitag beschlossen, das Volksbegehren zu unterstützen, und auch die Grünen halten eine solche Drohkulisse politisch für richtig. Der Berliner Landesverband der SPD hat eine Abstimmung aber beim letzten Landesparteitag Ende März auf den Oktober vertagt. SPD-Landeschef und Regierender Bürgermeister Michael Müller hat aus seiner ablehnenden Haltung zuletzt keinen Hehl gemacht. Er setzt lieber auf freiwillige Verkäufe von Wohnungen der Deutsche Wohnen an landeseigene Berliner Wohnungsbaugesellschaften.
„Bislang gibt es keine gemeinsame Willensbildung von SPD, Linken und Grünen“, sagt die Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger. Sie geht aber davon aus, dass das Thema Enteignung beim Koalitionstreffen der drei Parteien am 5. Juni auf die Tagesordnung kommt.
Katrin Schmidberger, Grüne
„Ich finde es wichtig, dass wir in der Koalition den Schwung der Unterschriftensammlungen nutzen, um möglichst viel davon umzusetzen“, sagte Schmidberger der taz. Daraus solle dann ein Gesetz erarbeitet werden. Bei der SPD sieht die Grünen-Politikerin noch viel Bewegungsspielraum. „Ich bin guter Dinge, dass die SPD im Herbst Ja sagt.“ Ein Nein würden sich die Sozialdemokraten nicht erlauben können, glaubt die Grüne. „Der politische Druck wird noch zunehmen.“
Dem widerspricht freilich Schmidbergers mietenpolitische Kollegin bei der SPD, Iris Spranger. „Ich glaube nicht an eine Parteitagsmehrheit für den Volksentscheid“, so Spranger. „Wir legen als SPD unseren Fokus auf den Mietendeckel und den Wohnungsneubau.“ Mit Spranger steht neben dem Lager des Regierenden Bürgermeisters auch das von Fraktionschef Raed Saleh bei den Neinsagern.
Auch die Linkspartei ist daher skeptisch, ob es zu einer gemeinsamen Position der rot-rot-grünen Koalition kommen wird. „Ob es uns gelingt, da im Senat zu einer Einigung zu kommen, halte ich für offen“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Steffen Zillich. Ohne Einigung wird aber ein Enteignungsvolksentscheid wahrscheinlich. Für Zillich wäre das keine Niederlage von Rot-Rot-Grün. „Angesichts der gesellschaftlichen Tragweite ist es kein Schaden, tatsächlich die Wählerinnen und Wähler entscheiden zu lassen.“
Die Kosten werden eine wichtige Rolle spielen
Das Procedere hält allerdings noch ein paar Unwägbarkeiten bereit. Sollte die erste Stufe – woran kaum einer zweifelt – erfolgreich sein, muss zunächst Innensenator Andreas Geisel (SPD) prüfen, ob die Ziele des Volksbegehrens verfassungskonform sind. Dies kann mehrere Monate in Anspruch nehmen. Bestehen Zweifel, muss das Berliner Verfassungsgericht eingeschaltet werden. Hinter vorgehaltener Hand wird deshalb befürchtet, dass die Enteignungsgegner auf Zeit spielen und ein Entscheid erst bei den Abgeordnetenhauswahlen 2021 stattfindet. Dann wäre der jetzige Senat aus dem Schneider. Grünen-Politikerin Schmidberger hält das aber für nicht sehr wahrscheinlich. „Das wäre politisch nicht zu vermitteln“, sagt sie.
Gibt der Innensenator grünes Licht, kann die zweite Stufe gezündet werden. Wird dann mit dem neuerlichen Sammeln für Unterschriften begonnen, sind politische Verhandlungen nicht mehr möglich, sagt Initiativensprecher Taheri. „Eine politische Lösung ist nur zwischen erster und zweiter Stufe möglich.“
So oder so werden mit zunehmender Mobilisierung für oder gegen Enteignungen die Kosten eine wichtige Rolle spielen. Während die Stadtentwicklungsverwaltung von 28,8 bis zu 36 Milliarden Euro spricht, gehen die Initiatoren des Volksbegehrens von einer Summe zwischen 7,3 und 14 Milliarden Euro aus. Grund sind unterschiedliche Auffassungen bei der Ermittlung des Verkehrswertes der Wohnungen.
Gut möglich sei es daher, dass es auch bei einem Volksentscheid noch keine verbindliche Summe gibt, sagt Rouzbeh Taheri. Denn anders als beim Radgesetz oder dem Mietenvolksentscheid steht diesmal kein Gesetzentwurf zur Abstimmung, sondern lediglich ein Beschluss. „Eine offizielle Zahl wird es dann erst geben, wenn der Senat nach einem erfolgreichen Volksentscheid einen Gesetzentwurf vorlegt“, so der Sprecher der Initiative.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“