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Deutsche Wirtschaft und AußenpolitikKatzbuckeln vor Peking

Kommentar von David Bandurski

Im Namen der „Gefühle des Volkes“ beschneidet China zunehmend Freiheiten. Das geht, weil Unternehmen wie Mercedes-Benz sich unterwerfen.

So verhalten sich deutsche Wirtschaft und Politik gegenüber China Foto: Imago/Imagebroker

I n einem der größten sozialen Netzwerke Chinas hat sich der deutsche Autobauer Mercedes-Benz vor wenigen Tagen dafür entschuldigt, „die Gefühle des chinesischen Volkes“ verletzt zu haben. Der Fall hat einiges Aufsehen erregt, ist aber nur der jüngste in einer ganzen Reihe, in denen sich internationale Konzerne dem Vorwurf ausgesetzt sahen, gegen nationale Empfindungen in China verstoßen zu haben. Auslöser war jetzt eine Werbebotschaft auf Instagram: Neben dem Foto einer Mercedes-Limousine war da ein Sinnspruch des Dalai Lama zu lesen: „Betrachte eine Situation von allen Seiten, und du wirst offener werden.“

Zwar ist der Zugang zu Instagram für Internetnutzer in der Volksrepublik schon seit 2014 gesperrt, und VPN-Tunnel – Software, mit denen man Instagram-Seiten von China aus aufrufen könnte – werden ebenfalls behindert. Trotzdem ist es chinesischen Internetnutzern gelungen, eine Welle der Empörung auszulösen. Diese Werbebotschaft, hieß es, legitimiere den in China offiziell verachteten geistlichen Führer der Tibeter, der seit 1959 im Exil lebt.

Die chinesische Regierung bezeichnet den Dalai Lama regelmäßig als „Spalter“ und wirft ihm vor, er betreibe die Unabhängigkeit Tibets von der Volksrepublik. Die Firma entschuldigte sich am 6. Februar auf der Mercedes-Benz-Seite des chinesichen Dienstes Weibo: „Obwohl wir unser Möglichstes getan haben, diese Information umgehend zu löschen, ist uns zutiefst bewusst, dass dieser Vorfall die Gefühle des (chinesischen) Volkes verletzt hat, einschließlich der Gefühle der Kollegen, die in unserer Firma in China arbeiten, und dafür bitten wir aufrichtig um Entschuldigung.“

Am Tag darauf ließ das chinesische Außenministerium in herablassendem Tonfall wissen, „Fehler einzusehen und zu korrigieren“ sei das „fundamentale Prinzip anständigen Betragens“. In kaum verhüllter Drohung erklärte der Sprecher, „in der neuen Ära“ werde China selbstsicherer sein – und hoffe daher, dass ausländische Unternehmen sich dementsprechend „anpassen“. Offenbar als Reaktion darauf übermittelte der Autokonzern Daimler, Mutterfirma von Mercedes-Benz, am Mittwoch dann noch einen Entschuldigungsbrief an den chinesischen Botschafter in Deutschland.

Autoritäre Politik wendet sich verstärkt nach außen

Wenn wir dem Vorschlag des Dalai Lama aber folgen und diese Situation aus allen Blickwinkeln betrachten – was sollen wir dann von dieser Welle chinesischer Empörung über ein offenkundig harmloses Zitat halten? Erstens zeigt sich, dass sich Chinas nach innen gerichtete autoritäre Politik verstärkt auch nach außen wendet. Die chinesische Regierung pocht seit einigen Jahren auf ihrer Vorstellung von „Cyber-Souveränität“.

Sie begründet dies damit, dass alle souveränen Nationen ein Recht hätten, das Internet so zu kontrollieren, wie sie es für richtig halten. Aber Fälle wie die jüngste Mercedes-Benz-Affaire – ausgelöst durch einen Post im Internet, den chinesische Nutzer gar nicht sehen dürfen – sind Warnzeichen. Sie weisen darauf hin, dass China es zunehmend schafft, Regierungen, Unternehmen und Individuen einzuschüchtern. Damit schrumpft der Spielraum für die Meinungsfreiheit auch global.

Die jüngsten Fälle zeigen, dass China es schafft, Regierungen, Konzerne und Individuen einzuschüchtern

Zweitens steckt hinter den Worten, mit denen sich Mercedes-Benz entschuldigt hat, mehr als nur das Eingeständnis, dass man kulturell angeeckt sei. Indem sie die Formulierung „Gefühle des chinesischen Volkes verletzt“ verwendet, akzeptiert die Firma vielmehr eine sehr konkrete politische Agenda Pekings. Der Satz „die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt“ hat eine lange Geschichte innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas. Er erschien erstmals 1959 auf den Seiten des Parteiorgans Volkszeitung. Damals ging es um einen Grenzkonflikt zwischen China und Indien.

Seither dient er immer wieder dazu, den Unmut der Regierenden deutlich zu machen. 1978 war es Albanien, das die „Gefühle des chinesischen Volkes“ durch seinen diplomatischen Bruch mit Peking verletzt hatte. Albanien, vermerkte die Volkszeitung damals, habe brutal „Mao Zedong angegriffen, den großen Führer des chinesischen Volkes und der KP Chinas“. In jüngerer Zeit, etwa im Januar 2016, äußerte der schwedische Menschenrechtler Peter Dahlin diesen Satz in einem offensichtlich erzwungenen Geständnis, das im chinesischen Staatsfernsehen ausgestrahlt wurde.

Bild: Privat
David Bandurski

ist Ko-Direktor des Hongkonger China Media Project. Derzeit lebt er als Richard-von-Weizsäcker-Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin. Er ist Vorstandsmitglied von PEN Hong Kong, einer bilingualen Schriftstellergesellschaft, die sich für die Förderung der Meinungsfreiheit in Hongkong einsetzt.

Der Satz „die Gefühle des chinesischen Volkes werden verletzt“ spiegelt allerdings keineswegs einen echten, in der chinesischen Bevölkerung verbreiteten Unmut wider. Im Jahr 2015, nachdem die Philippinen Chinas Politiker verärgert hatten, beschrieb ein chinesischer Autor das Wesen dieser „Gefühle“ so: „Die Gefühle des chinesischen Volkes sind die merkwürdigsten Dinge auf der Welt. Wenn wir Chinesen wirklich erzürnt sind, dann interessiert sich die Regierung nicht für unseren Kummer. Die Nerven, die unsere Gefühle regieren, verlaufen zwar durch die Körper der Chinesen – aber sie werden unter den Fingern derjenigen, die an der Macht sind, zusammengequetscht.“

Wie soll der Rest der Welt reagieren?

Schließlich bleibt noch die Schlüsselfrage: Wie sollten wir im Rest der Welt auf die Politik der tausend Schnitte reagieren, mit denen die chinesische Regierung auch unsere Freiheiten bedroht? Wir müssen uns darauf besinnen, dass auch wir Bürger und Konsumenten sind – und bereit sein, unsere Regierungen und Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, wenn es darum geht, unsere fundamentalen Werte zu schützen.

In dem Maße, wie die chinesische Regierung sich der Welt mit wachsender „Selbstsicherheit“ zuwendet, muss sie anderen Meinungen jenen Respekt zeigen, den sie außenpolitisch stets auch von anderen fordert. Und sie muss weniger empfindlich auf unwichtige Dinge reagieren, wie es Sinnsprüche auf Instagram sind. Wir hingegen sollten vielleicht viel empfindlicher darauf reagieren, wenn die chinesische Regierung uns daran hindert, nach unseren Ideen und Glaubenssätzen zu leben – und unser Recht beschneidet, sie zu äußern.

Übersetzung: Jutta Lietsch

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6 Kommentare

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  • Na ja, ist schon alles ganz richtig was hier geschrieben steht.

    Aber, was wollen wir? Einen chinesischen Frühling? 1,4 Milliarden Menschen in Aufruhr, Chaos, Hunger auf der Flucht, wie im sog. "arabischen Frühling"? Ist die deutsche Sehnsucht nach weiteren Boatpeople so groß?

    Ist es vielleicht nicht besser den Mund zu halten und zu respektieren, dass das Regime es aus eigener Kraft schafft Verhältnisse wie im Irak, Yemen und Syrien zu verhindern, dass das Regime es schafft die Menschen in Arbeit und Brot zu halten?

  • Welche Emotionen ein Satz oder Worte auslösen, hängt vom kommunikativen Zusammenhang ab. Wer nicht weiß, dass der Satz "Arbeit macht frei!" als Logo über dem Eingangstor von Auschwitz thronte, mag diesen Satz für ähnlich harmlos halten wie die Chinesen ein Zitat des Dalai Lama. Dessen seperatistische Politik ist inzwischen nach Öffnung der entsprechenden amerikanischen Archive erwiesen. Von 1954 bis 1958 noch als junger Dachs stellvertretender Vorsitzender des ständigen Ausschusses des nationalen Volkskongresses konnte er den Versuchungen der CIA nicht widerstehen und intrigierte gegen sein Land, dessen Abgeordneter er war. Peking reagierte entsprechend, entzog ihm seine soziale Basis, indem es 1960 die Leibeigenschaft in Tibet abschaffte.

    Diesen Bedeutungszusammenhang kennt unser Jungboschler mit Sicherheit und vertraut auf die Unwissenheit seines Publikums, um Emotionen gegen einen Staat zu schüren, dessen Rolle um die Emanzipation der Menschen der Dritten Welt immer deutlicher wird.

  • So langsam verwirrt mich die taz. Sind Staaten, Politiker und Unternehmen, welche westliche Werte offensiv vertreten jetzt böse Kolonialisten oder nicht? Eine gewisse Diskrepanz kann ich ja verstehen. Traditionell waren Linke nie Freunde von Menschenrechten, Globalisierung und anderen Manifestationen liberaler Ideen. Aber etwas Konsequenz kann man doch erwarten, oder?

     

    Winnie the pooh ist in China auch verboten, weil es eine Fotografie des Chinesischen Präsidenten vor einem Bild des Bären gab. Man hat sich dann über die Ähnlichkeit zwischen beiden lustig gemacht und das war es dann für den Comic Bären. Interessantes Video zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=ltiOYK3fDhE

  • Konsumenten, auch chinesiche, haben zunehmend Macht.

    Und Konsumenten erwarten zunehmend nicht nur gute Produkte und Dienstleistungen, sondern auch, daß Hersteller nicht gegen kulturelle, soziale und politische Tabus verstoßen.

    Als in China lebender Ausländer würde ich jedenfalls auch keine Produkte einer Firma kaufen, bei der Tibet oder Taiwan als eigenständige Staaten aufgelistet sind, oder die mit einem Zitat eines Separatisten (so die richtige Übersetzung) Reklame macht. Dafür brauche ich die Regierung nicht.

    • @Blauer Apfel:

      Ein Paradebeispiel für das im Artikel angesprochene Problem. "Als in China lebender Ausländer" ist man übrigens nicht verpflichtet, sich die Meinung der dort herrschenden Klasse zu eigen zu machen, vor allem wenn sie allein der Legitimierung eiskalter Machtpolitik gegenüber den genannten Staaten dient. (Dies nur als Hinweis für vorbeiziehende Leser von jemandem, der schon auf beiden Seiten der Taiwanstraße gelebt hat. Angesichts Ihrer Wortwahl erwarte ich nicht, hier Ihre offensichtlich gefestigte Einstellung beeinflussen zu können.)

  • Katzbuckeln? Ich empfehle eine Geschichte von 1995 über Klaus Kinkel, den Dalai Lama und einen Schal. Mal abgesehen davon, lieber Herr, ist diese Katzbuckelei im Vergleich mit der Katzbuckelei der BRD-Regierung und der BRD-Politiker gegenüber den USA als lächerlich zu bezeichnen. Die Katzbuckelei gegenüber den USA geht an das Selbstverständnis und die Existenz Deutschlands. Egal ob die Regierungen Clinton, Bush, Obama oder Trump heißen. Dafür auch hier eine Geschichte: "Kerry dankt Steinmeier für Führungsrolle in Kiew". Und damit wünsche ich mir eine gute, offene und vor allen faire Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Peking und Moskau. Ohne Lügen und ohne Hetze.