Deutsche Verantwortung in Afghanistan: Unterlassene Hilfeleistung

Mit dem Truppenabzug liefern Deutschland und die USA die afghanische Bevölkerung den Taliban aus. Eine sorgfältige Aufarbeitung ist unerlässlich.

Männer versuchen Kinder über eine Mauer zu ziehen

Flughafen Kabul am Montag: Menschen versuchen verzweifelt noch einen Platz in einem Flugzeug zu bekommen Foto: Stringer/reuters

Zu spät, es kommt jetzt alles zu spät: Selbst wenn das deutsche Personal nun noch aus Kabul herausgeholt wird, so gerät das Versprechen der deutschen Bundesregierung, sich um die afghanischen Ortskräfte zu kümmern, doch zur entsetzlichen Farce. Auch der Appell der deutschen Medien inklusive taz, die afghanischen HelferInnen der deutschen Presse herauszuholen, kommt wahr­scheinlich für zu viele zu spät.

Die Bilder vom Flughafen in Kabul – rennende Menschen auf der Rollbahn – sprechen allem Hohn, was bis vor Tagen vielleicht noch forderbar, auch umsetzbar erschien. Mit dem Truppenabzug haben die USA und „der Westen“ das Schicksal der afghanischen Bevölkerung in die Hände der Taliban gelegt. Die Bundesrepublik darf sich nun fragen, wie jede Verantwortungsübernahme im Rahmen des Abzugs leider Opfer des Wahlkampfes wurde.

Denn wer der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im Frühjahr zuhörte, musste eigentlich zu dem Schluss kommen, dass sie es ernst meinte damit, afghanischen Helfern und ihren Familien die Ausreise zu ermöglichen. Es bedurfte jedoch keiner seherischen Fähigkeiten, um zu ahnen, was dann offenbar kam: die Ansage aus dem Innenministerium, dass nur geprüfte Visa-Vorgänge nach Paragraf soundso akzeptiert würden.

Und die Ansage aus der CDU-Parteizentrale, dass die Union einen Wahlkampf ohne Afghanistan und afghanische Flüchtlinge zu machen gedenke. Doch das Thema eignet sich dazu, nicht nur Wahlkampfstrategien zu verderben, sondern auch Koalitionsoptionen: Schwarz-Grün schillert plötzlich ganz anders. Afghanistan stellt einen mächtigen Sprengsatz bereit.

Natürlich darf die Aufarbeitung des afghanischen Desasters nicht beim deutschen Wahlkampf stehen bleiben, das hieße ja, die reine Selbstbezüglichkeit nur zu wiederholen. Nachdem sich nun (fast) alle einig sind, dass viel zu lange viel zu viel schiefgelaufen ist, sind alle alten Fragen wieder offen. Die der Bündnistreue: Hätte die Bundesrepublik vermeiden können, mit USA und Nato nach Afghanistan zu gehen? Wenn ja: Wären uns Leben und Sterben von Frauen in Afghanistan dann egal gewesen?

War Zuschauen eine Option? Wenn nein: Wann wäre der beste Zeitpunkt zum Abzug gewesen? Die Niederlande verließen die Kampfmission vorzeitig – hätte Deutschland mitgehen können? Wäre eine zivile europäische Initiative neben den USA machbar gewesen? Von den Antworten wird es abhängen, ob demokratisch gewählte Regierungen in Zukunft überhaupt noch bündnistreu sein wollen und können.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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