Deutsche Rodel- und Bob-Euphorie: Der deutsche Kanal
Im Eiskanal von Yanqing rumpeln sich reihenweise deutsche Athleten zu Gold. Hierzulande ist das dennoch für viele Menschen der reinste TV-Genuss.
Rumpelfußball wurden die deutschen Darbietungen genannt, als die Sehnsucht nach schönem Fußball Anfang dieses Jahrtausends hierzulande ins Unermessliche stieg. Die Grobmotoriker auf dem Platz, mit denen man sich lange Zeit wegen der Erfolge irgendwie arrangiert hatte, waren erfolglos plötzlich allen ein Graus. Und als für sie der Begriff Rumpelfüßler erfunden wurde, fand dieser flugs Eingang in den Duden.
Bei den Olympischen Winterspielen ist es ähnlich. Solange sich die schwarz-rot-goldenen Bobfahrer mit ihren gut 170 Kilogramm schweren Fahrgeräten zu kompletten Medaillensätzen die Fahrrinne runterrumpeln, spielen ästhetische Maßstäbe beim deutschen TV-Publikum keine Rolle. Und die gute Nachricht: Im Unterschied zum Fußball kann die Konkurrenz den Deutschen die Erfolge kaum streitig machen. Schließlich stehen von den sechzehn Kunsteisbahnen weltweit vier in Deutschland.
Die jungen Wintersportarten mit ihren unzähligen Drehungen und Saltos mögen spektakulär und abgefahren sein, aber in Deutschland werden die guten Olympiaquoten sowieso zu einem nicht geringen Anteil aus den Altersheimen und Rentnerwohnungen gespeist. Mit bloßem Auge und trotz bester Sehhilfen kann man am Bildschirm zwar kaum einen Unterschied erkennen, weshalb der Rumpelbob von Francesco Friedrich und Thorsten Margis schneller als die Bobs der deutschen Silber- und Bronze-Gewinner runterrattert, aber das war ja bei den Rodlern und Skeletonis ebenso.
Für das optisch spartanische Vergnügen im Eiskanal entschädigten am Ende die Bilder rund ums Podium, als chinesische Soldaten zackig drei deutsche Fahnen in die Höhe zogen. Und spektakulär ist auch, was die deutschen TV-Kommentatoren zu den deutschen Heroen zu sagen haben: „Er hat die Seele dieser Bahn erkannt, gelesen, erfühlt.“
Sieben von zehn Goldmedaillen haben die Deutschen im Eiskanal geholt. So nistet sich die deutsche Olympiabegeisterung in den 2,5 Milliarden teuren Betondrachen in Yanqing ein, wo die Bob- und Rodelwettbewerbe stattfinden. Für die Rekordmarke dieser Spiele im deutschen Fernsehen sorgten die Rodler mit mehr als 5 Millionen Zuschauer:innen. Wenn aber Francesco Friedrich am Sonntag mit seinen Teamkollegen im Viererbob um die Medaillen rast, ist noch mehr möglich. Die Rodel- und Bob-Spiele von Peking werden in Deutschland unvergessen bleiben. Klar dürfte nun auch sein: Die momentan nicht nutzbare Eisbahn in Königssee muss schnellstens renoviert werden.
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