Deutsche Netflix-Miniserie „Barbaren“: Germania Gaga
Die Netflix-Miniserie „Barbaren“ bemüht sich um Detailtreue und ist historisch sauber gearbeitet. Leider bleibt sie im „Terra X“-Schmodder stecken.
Wer am Samstag in Coronazeiten im Hotel übernachtet, dem kann nach Stunden sonniger Lektüre mit Meerblick und einem frühen Küstenabendbrot schon mal ein kühner Gedanke kommen: Warum eigentlich nicht – fernsehen? So wie zuletzt vielleicht in den 90ern ohne größere Erwartungen loslegen und schauen, was da so läuft. Der Samstag ist insofern ein unfairer Tag dafür, weil von den Programmmachern erwartet werden darf, dass werberelevante Schichten sich saturday night draußen austoben – in normalen Zeiten jedenfalls.
Aber die Zeiten sind ja nicht normal. Der TV-Abend läuft dann so, dass man sich gar nicht wutbürgermäßig über die Abgabenverschwender aufregt, sondern eher in so ein irres Kichern verfällt, denn es stimmt ja: Mit einem Joint wäre das alles vielleicht zu ertragen und sogar lustig, dieses Zappen zwischen „Silbereisen gratuliert: Das große Schlagerjubiläum“, „Schlag den Star“, allem möglichen lieblos runtergedrehten Krimimist, über die übliche Burgen- und Hitlers-letzte-Reste-Dokus bis hin zu einem nun offensichtlich total weggeblasen verfassten Drehbuch von „Tatort: Das Team“.
Dieser kleine Vorspann verdeutlicht nur eine Selbstverständlichkeit: dass nämlich zu bezahlende Streamingdienste sich von diesem Niveau abheben müssen. Und ebendies gelingt der neuen Netflix-Serie „Barbaren“ nicht. Sie bleibt, abgesehen von ein bisschen sauberer Nacktheit hier und ein paar schmutzigen Enthauptungen dort im deutschen „Terra X“-Schmodder stecken und ist damit so überflüssig wie ein Suebenknoten.
Womit wir beim grundsätzlichen und vielleicht sehr deutschen Missverständnis der Macher sind, was TV-Unterhaltung eigentlich ist – nämlich Unterhaltung, also Kunst und nicht Volkshochschule. Man kann ja anerkennen, dass „Barbaren“ sich um Detailtreue bemüht und historisch-ideologisch sauber gearbeitet ist; aber wenn man dabei dauernd einschläft, ist nichts gewonnen. Umgekehrt ist es so, dass Fehler wie Reiter mit Steigbügeln – eine Erfindung, die erst ein paar Jahrhunderte später nach Europa kam – ja nur verdeutlichen: Wir waren nicht dabei. Wir wissen nicht, was dieser Arminius, dieser Varus, diese Thusnelda rund um die Zeitenwende in einem Landstrich östlich des Rheins eigentlich wollten. Wir interpretieren Quellen und schauen, was uns heute daran interessieren könnte.
Schullatein und Mittelaltermarkt
Was uns „Barbaren“ in sechs Folgen erzählt, ist die mit familiären und freundschaftlichen Konstellationen austapezierte Geschichte vom Germanen Arminius, der, in Rom militärisch ausgebildet und kulturalisiert, sich zum Verräter wandelt und in der berüchtigten Varusschlacht im Jahr 9. n. Chr. wahrscheinlich beim heutigen Kalkriese bei Osnabrück den Römern eine Niederlage beschert.
Die Römer reden Schullatein mit italienischem Akzent, die „Germanen“, die sich, in Stämme zerstritten, wie sie sind, gar nicht in der römischen Bezeichnung wiedererkennen, sprechen ein modernes Deutsch. Sie sind allgemein etwas schlapp, sehen so mittelaltermarktmäßig aus – irgendwie erwartet man, sie würden sich gleich ein Tabakpäckchen aus der Kutte holen, weil das alles so mühsam ist mit dem Barbarenleben.
Die Schauspieler:innen, die sie verkörpern, sind durchweg schwächer als die Römer, meist sogar peinlich schwach – also nicht auf internationalem Niveau. Die Dramaturgie hat gähnende Längen und die Musik ist grauenhaft.
Will man das Genre zeitgenössischer Sandalenfilm ernst nehmen, dann muss man sich mit von existenzialistischer Düsterkeit geprägten Produktionen wie „Der Adler der neunten Legion“ (2011) messen – da bleibt man dann auch wach, einfach weil es einen selbst angeht. Immerhin: Wenn der österreichische Burgschauspieler Laurence Rupp als ins Dorf zu seinen Jugendfreunden Zurückgekehrter sagt: „Ich heiße jetzt Arminius“ – dann ist da ein Moment der Intensität und Glaubwürdigkeit, auf den sich in einer zweiten Staffel vielleicht aufbauen ließe.
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