Deutsche Flüchtlingspolitik: Abschiebezahlen steigen wieder
Deutschland schickt wieder deutlich mehr Flüchtlinge zurück. Bedenken wegen Corona haben die Behörden nicht.
Diese U-Kurve in der Abschiebungsstatistik findet sich auch, wenn man die Zahlen auf die einzelnen Bundesländer aufschlüsselt: Nach einem Tiefpunkt in April und Mai geht es bei fast allen mittlerweile wieder steil nach oben. Und die unvollständigen Angaben, die es bisher für Juli gibt, deuten darauf hin, dass die Zahl weiter gestiegen ist. In Hamburg etwa wurden zwischen dem 1. und 23. Juli deutlich mehr Menschen abgeschoben als im kompletten Juni.
Die Länder setzen damit um, was auf der Innenministerkonferenz (IMK) in Erfurt im Juni beschlossen wurde: Damals sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der taz, die „Rückführungen“ sollten „langsam wieder anlaufen“.
Immerhin: Nach Afghanistan – schon vor Corona eine umstrittene Destination – wurde seit Mitte März niemand mehr abgeschoben, teilt das Bundesinnenministerium auf Nachfrage mit. In Afghanistan waren die Coronazahlen im Juni dramatisch gestiegen. Das dorthin nicht abgeschoben wird, scheint aber weniger an Bedenken auf deutscher Seite zu liegen, als an dem Drängen der afghanischen Regierung. Das BMI teilt schriftlich mit, „Sammelrückführungen“ seien „auf Bitten der afghanischen Regierung vor dem Hintergrund der Coronapandemie“ ausgesetzt.
Auch Abschiebungen in andere Länder wurden wohl nicht etwa abgeblasen, weil den deutschen Behörden plötzlich Gewissensbisse gekommen wären, Menschen während einer globalen Pandemie in Staaten zurückzuschicken, die oftmals nur über rudimentäre Gesundheitssysteme verfügen. Das BMI nennt als Grund vielmehr schlicht, dass viele Staaten ihre Grenzen geschlossen haben. „Insofern berücksichtigt das BMI die Lage in den Herkunftsländern“, schreibt eine Sprecherin. Sie schreibt auch: „Das BMI drängt bei den Herkunftsstaaten auf eine baldige Wiederaufnahme von Rückführungen.“
All das nennt Günter Burkhardt „unverantwortlich“. Überrascht ist der Geschäftsführer von Pro Asyl allerdings nicht. Betroffene stünden in den Ländern, in die sie geschoben werden, oftmals „vor dem Nichts“. Das gelte teils auch für Menschen, die über das Dublin-Verfahren in andere EU-Staaten zurückgeschickt werden. Schon vor der Coronakrise sei die humanitäre Lage für Flüchtlinge etwa in Italien und Griechenland dramatisch gewesen, so Burkhardt. Seit Ausbruch der Pandemie gelte das umso mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene