Deutsche Erfolge bei Olympia: Goldiges Wunderland
Doping war gestern. Neun Goldmedaillen versetzen deutsche Sportfans in einen Rausch. Das System Leistungssport ist immun gegen Krisen.
Mit Gold geht gerade irgendwie alles. Gold-Laura, Gold-Wellinger, Rodel-Gold, Gold-Flut oder wie die Bild-Zeitung nach fünf Wettkampftagen die olympische Lage aus nationaler Sicht zusammenfasste: „Goldschland“. Und die Erfolgsmeldungen rissen am Donnerstag nicht ab. Das „Goldpaar auf Eis“ besserte in den Morgenstunden die deutsche Bilanz weiter auf. Die eingebürgerte Ukrainerin Aljona Savchenko und der eingebürgerte Franzose Bruno Massot ließen nicht nur die Herzen der deutschen Sportfunktionäre höher schlagen. Und am frühen Nachmittag fuhr die deutsche Rodelstaffel mit Natalie Geisenberger, Johannes Ludwig und die Doppelsitzer Tobias Wendl/Tobias Arlt die bereits eingeplante neunte Goldmedaille ein.
Deutschland ist – befeuert von den TV-Kommentatoren, die ihr teuer erstandenes Produkt anpreisen – im Wintersporttaumel. Dass Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, just in dieser Zeit im Deutschlandfunk daran erinnerte, es gäbe auch alternative Lesarten des Medaillenspiegels, die Anzahl der gewonnenen Medaillen könnten etwa in Bezug zur Größe der Gesamtbevölkerung gesetzt werden, zeigte nur eines: SPD-Vertreter haben derzeit nicht gerade ein feines Näschen für Stimmungen im Lande. Von der maßlosen Kommerzialisierung der Spiele, der Korruptionsanfälligkeit ihrer Funktionäre und der Betrugsanfälligkeit der Athleten mag derzeit niemand etwas wissen.
Dabei ist das Phänomen hinlänglich bekannt – es ist eine alte Sepp-Blatter-Weisheit. Der frühere Fifa-Präsident sagte einst vor einem WM-Turnier zu den großen Unruhen im Vorfeld: „Wenn der Ball rollt, wird das aufhören.“
„Einfach wunderbar“, flötete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bereits am ersten Wettkampftag in Pyeongchang nach dem Goldmedaillengewinn von Andreas Wellinger im Skispringen. Seitdem ist Tag für Tag aus deutscher Sicht alles einfach wunderbar. Und im heimischen Wunderland blühen in dieser Stimmungslage wieder erstaunliche Träume auf.
Allen abgeschmetterten olympischen Bewerbungsversuchen zum Trotz schlug Altbundeskanzler Gerhard Schröder eine erneute Olympiakandidatur Deutschlands vor. Berlin soll wieder die Sommerspiele ausrichten. Und für das Bewerbungsverfahren hat er, der vor Ort von der Vorgehensweise der südkoreanischen Gastgeber ganz verzaubert ist, gleich einen Ratschlag parat: Besser nicht die Bevölkerung darüber abstimmen lassen.
Was jedoch momentan ein wenig untergeht in der allgemeinen Euphorie der Medaillenzähler: Vor vier Jahren bei den Winterspielen in Sotschi führten die Deutschen den Medaillenspiel gar noch nach dem elften Wettkampftag an. Weil dann in der zweiten Woche kaum noch etwas dazukam, tauchten in den Bilanzen häufig Wörter wie Desaster, Fiasko und Enttäuschung auf.
Leistungssport ist den Deutschen jede Menge Wert
In den Köpfen der Sportfunktionäre reifte die Grundüberzeugung heran, dass es so nicht weitergehen kann mit Team Deutschland. Bestärkt von der schlechten Medaillenausbeute soll nun eine Leistungssportreform auf den Weg gebracht werden, um bei den großen internationalen Leistungsschauen wieder nationale Stärke demonstrieren zu können.
Noch ist diese Reform nur ein Vorhaben, das von der nächsten Bundesregierung umgesetzt werden soll. Deutlich mehr Mittel sollen bereitgestellt werden, versicherte der noch amtierende Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor den Winterspielen.
Die schlechten Ergebnisse dienten bislang als Argument, dass wieder mehr investiert werden muss. Sollte das deutsche Team bei den aktuellen Winterspielen ihre Erfolgsserie in der zweiten Woche fortsetzen, muss aber niemand mit Kürzungen rechnen. Denn was wäre das für ein Zeichen? Goldmedaillengewinne mit zusammengestrichenen Budgets zu sanktionieren. Im Gegenteil, Rodel-Bundestrainer Norbert Loch nutzte die Gunst der Stunde, um auf die zu geringen Gehälter hinzuweisen. Deutsche Trainer würden zunehmend von anderen Ländern abgeworben werden.
Die staatliche Subventionierung des Leistungssports in Deutschland hat sich längst verselbstständigt. Unabhängig von Erfolgen wird der Etat immer weiter aufgestockt. Insbesondere die medaillenstarken Sportarten werden mit den Reformvorhaben davon profitieren. Der Leistungssport und ein guter Rang in der Medaillenwertung ist nicht nur den Deutschen jede Menge Wert. Daran werden verpasste Goldmedaillen oder Dopingskandale nichts ändern. Das Leistungssportsystem ist immun gegen Krisen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart