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Deutsche Bahn und die NS-ZeitKein Zug namens „Anne Frank“

Der Plan der Bahn, einen ICE nach Anne Frank zu benennen, wurde heftig kritisiert. Nun sollen die Züge keine Namen von Menschen tragen.

Kriegen keine Menschennamen:ICE Foto: dpa

Berlin taz | „Ein ICE mit dem Namen Anne Frank wird weder München noch Berlin oder gar Dachau berühren. Die Deutsche Bahn zieht ihren Plan, ihre Flaggschiffe vom Typ ICE4 mit den Namen berühmter Persönlichkeiten zu bezeichnen, zurück. Die Entscheidung ist Ergebnis heftiger Kritik in der Öffentlichkeit, einen der Züge nach dem 1944 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordeten jüdischen Mädchen zu benennen.

„Wir müssen einräumen, dass wir das Thema leider falsch eingeschätzt und damit Gefühle verletzt haben“, sagte ein Sprecher der Bahn. Die Verstrickung Reichsbahn und NS-Staat sei ein „dunkles Kapitel in der Geschichte der Eisenbahn“, erklärte er.

Die Reichsbahn war an den Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager eng beteiligt. Die SS bestellte die entsprechenden Züge beim Referat Sonderzüge des staatseigenen Unternehmens. So profitierte das Unternehmen auch von der Verschleppung Anne Franks, die 1944 mit ihrer Familie zunächst nach Auschwitz und später von dort weiter nach Bergen-Belsen deportiert wurde, wo sie 1945 im Alter von 15 Jahren starb.

Für den Transport kassierte die Reichsbahn von der SS zwei Pfennige pro Kilometer und Passagier, egal ob diese in Güterwagen eingepfercht waren oder nicht. Der übliche Tarif betrug das Doppelte, doch räumte die Bahn ihrem Großkunden einen besonderen Rabatt ein, wenn in den Zügen mehr als 400 Menschen transportiert wurden.

Diese Hintergründe hatten im vergangenen Jahr, als die Deutschen Bahn bekannt gab, einen Zug nach Anne Frank benennen zu wollen, einen Shitstorm in der Öffentlichkeit ausgelöst. Die Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam erklärte damals: „Es ist eine schmerzliche Verbindung für die Menschen, die die Deportationen erlitten haben, und löst erneut Schmerzen bei alle jenen aus, deren Leben bis heute von den Folgen der damaligen Zeit geprägt ist.“ Die Bahn hatte dagegen gehalten, man wolle mit der Namenswahl „die Erinnerung an Anne Frank wach halten“.

Auch Adenauer rast nicht durch Deutschland

Anne Frank wird also nicht durch Deutschland rasen und mit ihrem Namen Werbung machen. Aber auch auf Reisen mit Konrad Adenauer, Erich Kästner oder die Geschwister Scholl muss das Publikum verzichten. Als Konsequenz aus der Affäre will die Deutsche Bahn nun generell darauf verzichten, ihre Züge nach Personen des öffentlichen Lebens zu benennen. Das Unternehmen hatte dazu ihre Kunden aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten. Lediglich der im Herbst 2016 nach dem deutschen Reformer Martin Luther benannte ICE behält seinen Namen.

Stattdessen werden die ICE-4-Züge nun wenig kontrovers die Namen der „schönsten Seiten Deutschlands“ tragen, also von Regionen, Bergen oder Flüssen, sagte ein Sprecher. Vorgesehen seien etwa Bezeichnungen wie „Bodensee“, „Bayerischer Wald“, „Eifel“ und „Spree“.

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7 Kommentare

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  • Well done Deutsche Bahn. Erst Versuchen an den eigenen Opfern noch Jahrzehnte nach ihrem Tod zu profitieren und dann auch noch als einzigen Zug einen nach dem Frauenhasser und Antisemiten Martin Luther benennen. Ihr könnt auch echt nichts richtig machen. Scheissverein!

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @BakuninsBart:

      »Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern.« (Karl Jaspers, Philosophie und Welt. Piper-Verlag 1958, S.162)

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...und dabei waren sie so stolz, die Deutschen, auf ihre Eisenbahn.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    "Reformer" Martin Luther? "Reformator". Lernst du auf der Journalistenschule.

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Nun, die andere Idee, Züge nach Städten zu benennen ist mit Verlaub wenig hilfreich, um nicht verwirrungsstiftend zu sagen. Oft erscheint am Wagen in Minischrift auf dem Minibildschirm ein durchlaufender Text, in dem (zugegebenermaßen) auch der Zielbahnhof vorkommt - sofern die Anzeige überhaupt funktioniert. Dagegen steht in dicken fetten Lettern, noch weit über den Nachbarbahnsteig hinaus lesbar ein Städtenamen: WUPPERTAL oder FREIBURG IM BREISGAU usw.

    Es grenzt an Satire, aber was soll ein Reisender mit dieser Information anfangen???

    (Da muss ich mir nicht extra einen Touristen ausdenken, der Deutschland besuchen möchte - und auch genügend Geld hat, um wieder zurückzufahren.)

    Jetzt erklär mal dem Reisenden, dass dieser Zug nicht nach Wuppertal fährt. Gar nicht so leicht.

     

    Bahnfahren darf einfach keinen Spaß machen - sonst steigt womöglich noch jemand um und lässt den Diesel stehen...

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @7964 (Profil gelöscht):

      Den Gedanken hatte ich auch schon mehrfach. Einen ICE auf der Strecker Berlin - München "Würselen" zu nennen, ist einfach bekloppt.

  • Ich hätte einen Vorschlag, der ganz subtil zum Mobilitätswechsel aufruft:

     

    Wie wäre es, wenn die Bahn die Züge nach den beliebstesten Staustrecken bzw. -stellen benennt?

     

    ICE Kamener Kreuz

    ICE Westhofener Kreuz

    ....