Deutsche Außenpolitik: Die EU zurück aufs Spielfeld holen
Die neue deutsche Außenministerin erbt mehrere Krisen. Die Abstimmung mit europäischen Partnern wird dabei kniffelig.
![Baerbock und JosephBorrell in Brüssel bei der ersten PK der Außenministerin Baerbock und JosephBorrell in Brüssel bei der ersten PK der Außenministerin](https://taz.de/picture/5273083/14/29025194-1.jpeg)
1998 war es der Krieg ums Kosovo, der die deutsche Diplomatie (und die Grünen) heftig erschütterte. 23 Jahre später geht die Kriegsangst in der Ukraine und in Armenien um, auch auf dem Balkan rumort es wieder. Die Lage ist so ernst, dass sich die Nato auf alle Eventualitäten vorbereitet. Auch die EU ist alarmiert. Beim EU-Gipfel in der kommenden Woche steht die „Destabilisierung“ in Osteuropa ganz oben auf der Agenda.
Gemeint ist nicht nur der russische Truppenaufmarsch rund um die Ukraine und das Säbelrasseln am Schwarzen Meer. Auch die Krise im Grenzgebiet bei Belarus und der blutige Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan macht Brüssel Sorgen. Kanzler Olaf Scholz muss bei seinem ersten EU-Gipfel entscheiden, ob es neue Sanktionen gegen Russland geben soll – oder ob er auf einen Dialog mit Kremlchef Wladimir Putin setzt, wie seine Amtsvorgängerin Angela Merkel.
Auch Baerbock ist gefordert. „Dialog und Härte“ hatte sie im taz-Interview als Devise ausgegeben. Bereits am kommenden Montag muss sie sagen, was sie damit genau meint: Dann treffen sich die EU-Außenminister in Brüssel.
Im Fahrwasser der USA
Wird Baerbock den USA folgen, die schon während der Koalitionsverhandlungen in Berlin einen harten Kurs forderten und auf einen Stopp der Ostseepipeline Nord Stream 2 drängten? Oder wird sie versuchen, eine eigenständige europäische Position zu erarbeiten? Im Koalitionsvertrag ist viel von „europäischer Souveränität“ die Rede. Das gilt es nun mit Leben zu füllen. Das Außenministertreffen ist eine erste Gelegenheit, vielleicht auch die letzte.
Denn in der Ukraine-Krise haben die USA die EU immer mehr an den Rand gedrängt. Beim Videogipfel zwischen US-Präsident Joe Biden und Putin am Dienstag nahm kein EU-Vertreter teil, das von Deutschland und Frankreich entwickelte „Normandie-Format“ spielte keine Rolle. Baerbock und Scholz müssen versuchen, die EU zurück aufs Spielfeld zu holen. Schließlich geht es hier in erster Linie um europäische Interessen, nicht um US-amerikanische. Das gilt auch in der China-Politik. Auch dort sind die Europäer immer mehr ins Fahrwasser der USA geraten.
Zuletzt hat sich dies beim Streit über die Olympischen Winterspiele 2022 in China gezeigt. Die USA haben Anfang der Woche angekündigt, keine offiziellen Vertreter nach Peking zu schicken. Australien, Kanada und Großbritannien schlossen sich dem an. Die EU hüllte sich in Schweigen.
Baerbock will nun eine „europäische Antwort“ finden. Sie könnte noch härter ausfallen als die US-amerikanische: So wirbt die FDP-Europaabgeordnete Nicola Beer für einen Totalboykott der Spiele. Das wäre ein Paukenschlag – Baerbock muss sich gut überlegen, ob sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit einen Bruch mit China riskieren will.
Eine weitere Frage ist das Verhältnis zur Türkei. Solange Heiko Maas noch das Auswärtige Amt leitete, nahm er immer wieder Rücksicht auf Präsident Recep Tayyip Erdoğan und dessen imperiale Politik. Weder Gasbohrungen vor Zypern noch Militäreinsätze in Bergkarabach konnten die deutsch-türkische Freundschaft erschüttern. Dies führte zu erheblichen Verstimmungen in der EU; vor allem Frankreich und Griechenland forderten ein härteres Vorgehen.
Baerbock muss sich nun entscheiden, ob sie den deutschen Schmusekurs fortsetzen will oder mehr auf europäische Interessen und Werte setzt, wie im Koalitionsvertrag vereinbart.
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