piwik no script img

Deutsche Afghanistan-AufarbeitungEine schlechte Bilanz

Thomas Ruttig
Kommentar von Thomas Ruttig

Bundesregierung und Parlament machten schwere Fehler in Sachen Afghanistan. Auch die Bundeswehr richtete vor Ort einigen Schaden an.

Bundeswehrsoldaten im September 2008 in Toloqan bei Kundus Foto: Fabrizio Bensch/reuters

D ie deutsche Aufarbeitung des „furchtbar“ (Merkel) gescheiterten Afghanistaneinsatzes nähert sich ihrem Ende. Der Abschlussbericht der Enquetekommission des Bundestages ist seit Montag öffentlich, der Bericht des parallelen Untersuchungsausschusses folgt. Beide werden noch diese Woche im Bundestag debattiert.

Die Bilanz ist eindeutig: schlecht. Für die Menschen in Afghanistan, aber auch, was die Afghanistan­politik der Bundesregierung betrifft. Realitätsverleugnung und bewusste Fehlinformation von Öffentlichkeit und Parlament sind nur zwei zentrale Stichworte. Der Bundestag, der die Bundeswehr mandatierte, versagte bei der Einsatzaufsicht. Die in beiden Berichten postulierten „Teilerfolge“ am Hindukusch sind längst in der Verbotsflut der Taliban versunken.

Gemischt ist die Bilanz, was die Schlussfolgerungen betrifft. Ein paar bürokratische Umbauten, um in Krisensituationen zu einem realistischeren Lagebild zu kommen, dürften nicht ausreichen. Ressort-Egoismus ist wohl systemischer Natur. Werden oft beratungsresistente Ministerien Wissenschaft und Zivilgesellschaft wirklich besser einbeziehen, über Alibi­veranstaltungen hinaus? Noch schwieriger wird es im internationalen Raum.

Und die Bundeswehr? Sie bekam viel Lob, von allen Seiten. Das ist wohl der neue Sound der „Zeitenwende“. Berechtigt ist es nur für die letzte Phase, und da nur für die Evakuierung der deutschen Botschaftsmitarbeiter*innen. Für die meisten Ortskräfte reichte ihr Einsatz schon nicht mehr.

Richtig, sie führt ja nur Berlins Aufträge aus. Vor Ort hatte sie allerdings Spielraum und richtete einigen Schaden an. Sie kooperierte mit Warlords, zum Selbstschutz, ließ die örtliche Zivilbevölkerung dabei aber außen vor. Sie kooptierte Entwicklungshelfer, um ihr Label auf Projekte zu kleben, und gefährdete sie damit. Sie verursachte ungesühnt zivile Opfer, Stichwort Kundus. Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Parlament sind gefordert, dass die Afghanistan­berichte nicht auf Regalbrettern Staub ansetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Thomas Ruttig
Autor:in
Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network Kabul/Berlin (https://www.afghanistan-analysts.org/en/). Abschluss als Diplom-Afghanist, Humboldt-Univ. Berlin 1985. Erster Afghanistan-Aufenthalt 1983/84, lebte und arbeitete seither insgesamt mehr als 13 Jahre dort, u.a. als Mitarbeiter der DDR-, der deutschen Botschaft, der UNO und als stellv. EU-Sondergesandter. Seit 2006 freischaffend. Bloggt auf: https://thruttig.wordpress.com zu Afghanistan und Asylfragen. Dort auch oft längere Fassungen der taz-Beiträge.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Der Fehler war das Land nicht 10 Jahre früher zu verlassen. Dafür war jedoch die damalige Bundesregierung verantwortlich.