Deutsch-iranische Künstlerin Forouhar: Wie sie das Unaushaltbare aushaltbar macht
Im Widerstand gegen Repression ist Parastou Forouhar eindeutig, die Stärke ihrer Kunst liegt in der Ambivalenz. Das zeigt eine Ausstellung in Chemnitz.
Das Zarte und der Schmerz wohnen eng beieinander in der Kunst von Parastou Forouhar. Gezeichnete Schmetterlinge begannen 2009 in ihr Werk zu ziehen, sie folgten der Grünen Bewegung im Iran, einer kurzen Phase des Aufbruchs und der Hoffnung. Die Formen der Schmetterlinge sind filigran, die symmetrischen Flügel fein gemustert.
Erst in der Annäherung entdeckt man allmählich, dass sich die Muster vielfach aus Körpern zusammensetzen: gefallenen Körpern, Trauernden, Abstürzenden. Sie sind „wie ein Archiv“, sagt Parastou Forouhar vor einer Reihe der Schmetterlinge, die sie in Chemnitz im Museum Gunzenhauser aufbaut. „Jedes Motiv geht zurück auf ein Ereignis von Aufstand, Widerstand und Repression.“ Der Schmetterling, er ist so leicht verletzbar.
In diesem Frühjahr wurde die deutsch-iranische Künstlerin Parastou Forouhar mit dem Gabriele Münter Preis ausgezeichnet, der an Künstlerinnen, die älter als vierzig Jahre alt sind, verliehen wird von einer Arbeitsgemeinschaft aus mehreren Kunstverbänden. Zum Preis gehört die Ausstellung in Chemnitz, besitzen die dortigen Kunstsammlungen doch viele Bilder aus dem Werk von Gabriele Münter.
Ausstellung Gabriele Münter Preis, Museum Gunzenhauser, Chemnitz, 27. September bis 16. November
Mit Parastou Forouhar stellen fünf weitere Künstlerinnen der Shortlist aus, Esra Ersen, Else Gabriel, Ana Prvački, Annegret Soltau und Hoda Tawakol. Eine Woche vor der Ausstellungseröffnung am 26. September kann ich die Künstlerin während des Ausstellungsaufbaus treffen.
Die Besucher anpusten
In einem Raum wird sie sich direkt auf Gabriele Münter beziehen, inspiriert von kleinen Stillleben mit Spielzeugen. Forouhar hat dafür Windrädchen vorbereitet, die Besucher anpusten können. Der Atem treibt sie dann an. Aber die Figuren, die innen in die Flügel gezeichnet sind, sind eingefroren in Bewegungslosigkeit. Da ist es das Starre, das auf das Lebendige trifft.
In vielen ihrer Zeichnungen, Fotografien und Installationen werden ornamentale Formen und repetitive Muster zitiert. Das stellt einerseits eine Verbindung zu traditionellen Kunstformen im Iran her, ist andererseits aber auch beklemmend, einengend, furchterweckend.
„Da ist der Wille, auszubrechen, aber durch das Raster, das im System verankert ist, wird man wieder hereingeholt. Jeder Ausbruchsversuch wird zu einer Störung, die die Möglichkeit, die Erinnerung an einen Ausbruch in sich trägt, aber auch immer wieder scheitert. „Das Scheitern zu erleben, an das Scheitern zu denken, und trotzdem nicht aufzugeben, auch das ist Wiederholung“, erläutert die Künstlerin.
Ein politisches Mahnmal
1991 hat Parastou Forouhar, 1962 in Teheran geboren, den Iran verlassen und kam mit ihren beiden damals noch kleinen Söhnen nach Deutschland. In Teheran hatte sie ihr Kunststudium begonnen, in Offenbach setzte sie es fort. Ihre Eltern, Dariush und Parvaneh Forouhar, gehörten der politischen Opposition an. Sie wurden 1998 ermordet in politischem Auftrag. Das hat Parastou Forouhar zu einer Aktivistin gemacht, die seit vielen Jahren um Aufklärung und Gerechtigkeit kämpft.
In einem Katalog, „wie? wieder widerstand“, den sie gerade mit ihren Arbeiten herausgebracht hat, sind auch mehrere der Reiseberichte zu lesen, die sie jedes Jahr geschrieben hat. Denn jedes Jahr fährt Forouhar im November in den Iran zurück, um in ihrem Elternhaus einen Gedenktag für die Ermordeten abzuhalten. Das ist immer mit Verhören bei der Ein- und Ausreise verbunden. Das Elternhaus ist ein persönlicher Ort der Erinnerung, aber auch ein politisches Mahnmal.

„Das Haus ist nicht nur ein Erbe“, schreibt sie in ihrem Bericht zur Reise 2024. „Es verkörpert ein Vermächtnis, das mich an sich bindet – egal, ob ich dort bin oder weg davon. Es spiegelt meine Liebe zu meiner Heimat wieder und meinen Schmerz um sie.“ Lange war es den von ihr zum gemeinsamen Gedenken Eingeladenen verboten zu kommen. Dass sich das geändert hat, sieht sie als einen Erfolg ihrer Beharrlichkeit.
Teil der Ausstellung ist ein Raum mit einer Dokumentation zu der Geschichte ihrer Eltern, deren Ermordung, ihrem Bemühen um Gerechtigkeit. Die Materialien der Dokumentation wachsen ständig. Dazu gehört auch der Briefwechsel mit dem Auswärtigen Amt Deutschlands und dessen ausweichenden oder nichtssagenden Antworten.
Ob sie mit dieser Arbeit die eigenen Wunden nicht immer wieder aufreiße, frage ich die Künstlerin. „Natürlich gibt es auch Momente, wo mich das überfordert“, antwortet Parastou Forouhar. „Widerstand ist Arbeit, das ist auch zermürbend. Aber ist gibt keinen anderen Weg. Das ist meine Geschichte. Das beiseitezulegen, wäre ein Verneinen dessen, was ich bin. Das wäre noch schlimmer als das Aushalten der Momente der Anstrengung und der Angst.“
Verhüllung triggert den Voyeurismus
In ihrer aktivistischen Arbeit ist Parastou Forouhar eindeutig und zielgerichtet. In der Sprache ihrer Kunst dagegen liegt die Stärke oft in den Ambivalenzen. Da gibt es eine vierteilige Fotoarbeit, „Freitag“ (2003), vier Bahnen von dunklem Stoff. Nur in einer Bahn wird ein wenig vom Körper darunter sichtbar, wahrscheinlich Teil einer Hand, die den Stoff hält. Deren Form aber ist doppeldeutig, die Öffnung der Glieder erotisch aufgeladen. Die Verhüllung triggert den Voyeurismus, je weniger man sieht, desto mehr Fantasmen lassen sich hineinlegen.
Vieldeutig sind auch die Papierbahnen voller Augen, die Ketten und Gitter bilden. Ein Moment von Verführung, der sprechenden und betonten Augen liegt darin ebenso wie der bedrohliche Zustand des Angestarrt-Werdens und der Überwachung. Die Einschränkung der Sichtbarkeit von Frauen und weiblichen Körpern in religiös fundamentalistischen Diktaturen ist darin ebenso eingespeist wie die Erfahrung, im Exil als Fremde markiert und ausgeschlossen zu werden.
Im September 2022 war Parastou Forouhar, die in Hessen lebt, Schirmherrin der Tage des Exils. Ihre eigene Identität als Geflüchtete und Exilantin schärft ihren Blick auf die Entwicklung in Deutschland, dem Land, in dem sie zu Hause ist. „Ich muss das jetzt viel mehr betonen als früher“, sagt sie. „Wenn ich Gewalt und Unterdrückung thematisiere, dann geht es nicht nur um den Iran.
Es geht auch um einen Teil von mir, der geflüchtet ist, der Exilantin ist und immer mehr hier in diesem Land erlebt, wie die Rechte von Geflüchteten, Exilanten beschnitten werden. Repression breitet sich auch in westlichen Demokratien aus, die ihre Grundwerte komplett mit Doppelmoral behandeln.“
Griffe der Unterdrückung
Die Themen von Parastou Forouhar wiegen schwer. Die Formen ihrer Kunst dagegen betonen oft das Leichte und Spielerische, wie Schmetterlinge und Windrädchen. Das erscheint manchmal als ein Weg, das Unaushaltbare aushaltbar zu machen. Aber das ist oft nur ein vorübergehender Eindruck, denn in der Annäherung, dem genauen Hinsehen, offenbaren die visuellen Elemente dann ja doch die grausamen Griffe der Unterdrückung.
Der Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ traut Parastou Forouhar noch viel Kraft zu. „Das konnte nicht das gesamte politische System außer Kraft setzen, aber vieles hat sich verändert. Die Frauen erobern sich ihre Präsenz in der Öffentlichkeit zurück. Als ich im November 2024 dort war, waren vielleicht 20 Prozent der Frauen im öffentlichen Raum unverschleiert, das sind jetzt mehr geworden. Jede Frau, die unverschleiert auf die Straße geht, ist wie eine Parole gegen das System.“
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