Iranischer Regisseur über Repressionen: "Eine Innenansicht der Gefühle"
Ein Gespräch mit dem iranischen Filmemacher Ali Samadi Ahadi über seinen Film "The Green Wave" und Blogs als Lieferanten verlässlicher Wirklichkeitsbilder.
taz: Herr Ahadi, Ihr Film "The Green Wave" spielt zur Zeit der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Iran im Sommer 2009. Zum Teil verwenden Sie klassisches Dokumentarfilmmaterial, zum Teil arbeiten Sie mit animierten Sequenzen, die auf Blogs basieren. Weshalb haben Sie sich für dieses Vorgehen entschieden?
Ali Samadi Ahadi: Diese collageartige Mischung entstand eher aus der Not, weil die Zeit vor den Wahlen, die Wahlen selbst und ihre Niederschlagung hinter uns lagen und wir nicht mehr im Iran arbeiten konnten. Ein Nachstellen der Szenen kam für uns nicht infrage.
Warum?
Ali Samadi Ahadi wurde 1972 in Täbris im Nordwesten des Iran geboren. Im Alter von 12 Jahren kam er allein nach Deutschland, um nicht als Kindersoldat im iranisch-irakischen Krieg (1980 bis 1988) zwangsrekrutiert zu werden. Nach dem Abitur in Hannover studierte er in Kassel Visuelle Kommunikation mit dem Schwerpunkt Film und Fernsehen und begann Ende der 90er Jahre seine Karriere als Filmemacher. Seine bislang bekanntesten Filme sind der Dokumentarfilm "Lost Children" (mit Oliver Stoltz), der von Kindersoldaten in Uganda handelt, und der Spielfilm "Salami Aleikum".
Wie soll ich in Deutschland Iran nachstellen, mit den Möglichkeiten, die wir haben? Die Blogs sind für mich ein Teil dieses Dokumentarfilms, es sind Dokumente, die wir verwenden. Und mir war es wichtig, dass sie den Raum haben, sich zu entfalten.
Wie viele Blogs haben Sie für den Film ausgewertet?
Wir haben insgesamt etwa 1.500 Seiten Blogs und Twitter ausgewertet.
Etwa ab der Mitte des Films wird die Animation dominant. Liegt das daran, dass es von der Repression, etwa in den Gefängnissen, kein Material gab?
Genau. In dem Moment, als die Niederschlagung der Bewegung begann, fehlte jegliche Möglichkeit, an gute Bilder heranzukommen. Die Aufnahmen, die uns aus dem Iran zur Verfügung standen, waren Artefakte, kleine Ausschnitte wie zerbrochene Puzzle-Stücke. Ich hätte mit diesen Elementen keinen erzählerischen Bogen schlagen können.
Meinen Sie mit den Puzzle-Stücken die YouTube-Videos vom Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten?
Zum Beispiel, die Videos haben weder Anfang noch Ende, sie sind sehr verwackelt, haben eine schlechte Qualität und keinen oder sehr schlechten Ton. Das erschwert es, mit diesem Material eine Geschichte zu erzählen. Und da Iran eine Bloggernation ist und viele ihre Gefühle, Motive und Positionen im Internet geäußert haben, lag es nahe, sie zu benutzen.
Hatten Sie für die Animation Vorbilder?
Nein. Sie denken wahrscheinlich an die Filme "Waltz with Bashir" oder "Persepolis", aber ich habe beide erst nach der Produktion gesehen. Dabei weiche ich sowohl mit der Animationstechik als auch mit der Art, wie ich sie mit den Realbildern vermenge, sehr davon ab. Der Film ist ja eine Collage, während "Waltz with Bashir" ganz durchanimiert ist, was bei uns nicht der Fall ist.
Was heißt das?
Wenn Figuren reden und man animiert, dann bewegt sich der Mund authentisch zum Ton, und sie bewegen Hände und Arme. Bei uns sind die Menschen quasi starr. Das ist ein völlig anderes Verfahren als bei "Waltz with Bashir" oder "Persepolis". Das Verweben des Realbildes mit dem Interview und der Zeichnung war für mich ein Experiment während der Arbeit. Ich war mir nicht sicher, ob das aufgeht.
Es ist bewegend, sich im Nachhinein nochmals die Bilder der Demonstrationen anzusehen. Andererseits berührt einen der animierte Teil, der personifiziert ist am Beispiel der Studierenden Kaveh und Azadeh, viel mehr. Ist diese starke Emotionalisierung beabsichtigt?
Natürlich. Ich habe diese Blogs ausgewählt, um eine Innenansicht der Gefühle der Menschen zu zeigen. Die große Außenansicht haben wir durch die Massenproteste, die Bilder, die dieses Verwackelte, Verwaschene, Unscharfe wiedergeben. Das entspricht der Situation des damaligen Iran. Es war nicht klar, wer wo steht oder wo etwas passiert. Es hätte eine Millionendemonstration in einer Nachbarstraße stattfinden können, und weil alles abgeschottet war, hätte man davon nichts mitbekommen. Dieses Unfokussierte in der Gesellschaft findet sich teilweise in den Bändern, die wir von YouTube, den Nachrichtenagenturen oder von geschmuggeltem Material haben. Auf der anderen Seite steht das Scharfe, das Gefühlte, die Position der einzelnen Menschen in diesem Riesenwirrwar. Das ergibt sich natürlich aus den Erzählungen der einzelnen Personen.
Der Film lebt stark von der Gegenüberstellung: auf der einen Seite die grüne Bewegung, auf der anderen die Kräfte des Regimes. Warum?
Das hat die Regierung gewählt. Die Konfrontation passiert nicht in meinem Film, sie geschah auf den Straßen im Iran. In dem Moment, wo Menschen auf die Straßen gehen und fragen, wo ist meine Stimme, und die Antwort ist ein Kugelhagel, erhebt sich die Frage, warum? Nach dem iranischen Gesetz, nach der UN-Menschenrechtscharta, die der Iran unterschrieben hat, dürfen die Menschen auf die Straße gehen und das fragen, sie dürfen protestieren, ihre Meinung äußern. Aber alle wanderten ins Gefängnis. Was entstand, war eine Schizophrenie innerhalb des Systems. Plötzlich gab es Leute, die jahrelang Teil davon gewesen waren, und die von heute auf morgen nicht mehr hineinpassten. Das macht meiner Meinung nach die Situation unumkehrbar. Die Risse sind so offensichtlich, dass sie nicht mehr zu kitten sind.
Am Schluss des Films, als die Studentin Azadeh aus dem Gefängnis entlassen wird und die Menschen sieht, die auf Nachricht von ihren Angehörigen hoffen, heißt es im Voice-Over: "Du begreifst, dass du nicht freigelassen wirst, dass du aus einem Gefängnis in ein größeres kommst. Das Gefängnis namens Iran." Gibt es heute im Iran keine Zwischentöne mehr?
Ich glaube, dass es Zwischentöne gibt, aber der Grat ist sehr schmal. Zugleich ist der Preis, den diese Menschen auf sich nehmen, um die Zwischentöne zum Klingen zu bringen, extrem hoch geworden. Die Regierung versucht, Willkür zu verbreiten, ohne zu ahnen, dass sie früher oder später den Rückhalt der Bevölkerung brauchen wird. Ich bin mir sicher, dass sie nicht ewig mit Hundertschaften auf der Straße das System aufrechterhalten kann. Irgendwann müssen die Fragen der Inflation, der Arbeitslosigkeit, die Perspektive der jungen Menschen, Frauenrechte, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und die Beziehungen zur Weltgemeinschaft auf den Tisch. Das waren alles Gründe, warum die Menschen wählen gegangen sind. Heute, anderthalb Jahre später, sind diese Probleme sogar größer geworden. Wenn das Regime sich stabilisiert hätte, müsste es nicht ständig den Feind hochhalten und von Putschversuchen oder samtener Revolution sprechen. Es braucht dieses Feindbild, um die eigenen Linien geschlossen zu halten. Aber selbst innerhalb dieser Linien gibt es die Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann, dass ein Dialog nötig ist. Die Frage ist: Wird das möglich sein oder ist es zu spät für einen friedlichen Wandel?
Ihre beiden Kollegen Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof sind am 20. Dezember zu 6 Jahren Haft sowie zu 20 Jahren Berufs- und Ausreiseverbot verurteilt worden. Haben Sie sich in dieser Frage engagiert?
Natürlich. Jeder Kollege, dem seine Rechte klar sind, müsste sich dafür engagieren. Dabei geht es nicht nur um Iran, sondern darum, wie es mit unseren Rechten weitergeht, in China, Birma, Afrika, auch in Europa, in Ungarn. Natürlich ist Iran 5.000 Kilometer weit weg, und Jafar Panahi ist einer von vielen Regisseuren. Aber wenn das Regime jetzt so mit einem sehr renommierten Regisseur umgehen kann, kann es das mit vielen anderen wesentlich einfacher machen. Daher ist es unsere Pflicht, den Mund auf zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe