Destilleriebesuch in Schottland: Schnaps für Ökos
Auf der westschottischen Halbinsel Morvern wird der nachhaltigste Whisky Großbritanniens produziert. Aber die Branche wacht nun auf.
Auf Morvern leben gefährdete Wildkatzen und Steinadler, vor dem lokalen B&B äst auch schon mal ein Hirsch im Garten oder laufen Otter über den Weg. Die Geschichte dahinter ist weniger romantisch. Denn dass Morvern heute so leer und wild ist, liegt auch an den berüchtigten Highland Clearances im 19. Jahrhundert, als Gutsherren und -damen aus dem englischen und schottischen Süden die armen Bewohner:innen zugunsten der Schafzucht enteigneten und vertrieben. Auch auf dem 7.000 Hektar großen Drimnin Estate fielen dem Hunderte Pächter zum Opfer.
Dass auf diesem Estate nun Schottlands erste Biowhiskydestillerie steht, gegründet von der nahe London geborenen Tochter der Landbesitzer, ist auch eine Klassengeschichte. Und eine grüne Revolution. Der Ökowhisky von der wilden Halbinsel heißt Nc’nean: eine Kurzform von Neachneohain, der gälischen Göttin, die die Natur schützt.
Annabel Thomas weiß, dass ihre Geschichte gut klingt. Die Gründerin von Nc’nean – Enddreißigerin, eine der wenigen weiblichen CEOs in dieser männerdominierten Branche – hat 2013 ihren Job als Strategy Consultant gekündigt, um auf dem Anwesen ihrer Eltern, Drimnin Estate, Whisky herzustellen. Und Dinge anders zu machen. „Auf den Destillerietouren sagen sie alle dasselbe: Wir machen Whisky so, wie wir das immer gemacht haben, nach alter Tradition und so weiter“, erzählt sie. „Niemand sprach über Nachhaltigkeit. Ich dachte: Das ist ein Problem.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Am Sprit experimentieren
Also machte sie es anders: Produziert wird mit 100 Prozent erneuerbarer Energie. Nc’nean nutzt einen Biomasseboiler mit lokalem Holz sowie ein umweltfreundliches Kühlbecken statt eines Kühlturms. Boiler und Becken seien allerdings sehr teuer gewesen, und für die regionale Biogerste zahle man 25.000 Pfund im Jahr an Zusatzkosten. Im Betrieb sei das Kühlbecken aber viel günstiger als ein Turm, und dass der Boiler Holz statt Öl verbraucht, erwies sich auch ökonomisch als kluge Wahl.
Schwerer wird der Einfluss auf die Lieferkette: Wie bekommt man eine italienische Glasfabrik dazu, auf erneuerbare Energie umzustellen? Immerhin sind die Flaschen aus recyceltem Glas. Und die Abfälle der Whiskyproduktion werden als Kuhfutter und Dünger wiederverwendet.
Durch all diese Maßnahmen ist Nc’nean die erste Whiskydestillerie in Großbritannien, die bei den Scope-1- und -2-Emissionen (Standards zur Messung der Emissionen von Unternehmen) als „net zero carbon“ zertifiziert ist, also alle direkt erzeugten CO2-Emissionen auf den niedrigstmöglichen Punkt heruntergefahren hat. Bei den Scope-3-Emissionen, jenen aus der Lieferkette, ist sie CO2-neutral; alle Emissionen werden kompensiert. Nach eigenen Angaben liegt der jährliche CO2-Abdruck bei weniger als einem Hin- und Rückflug zwischen London und New York – bei einer Produktion von 96.000 LPA (purer Alkohol in Litern) im Jahr.
Der erste Single Malt, drei Jahre alt, kam 2020 auf den Markt. Fruchtig ist dieser Nc’nean, mit Noten von Pfirsich, Karamell und Vanille und einem Hauch Kräuter. Hergestellt aus schottischer Biogerste, gereift ausschließlich in der Destillerie vor Ort in ehemaligen Bourbonfässern und STR-Ex-Rotweinfässern.
STR steht dabei für „shaved, toasted and re-charred“: Die Fässer werden dabei erst innen ausgeschabt, um das Rotweinaroma zu schwächen und Aromen aus frischem Eichenholz zu erhalten. Anschließend werden Eichenchips aus alten Whiskyfässern verbrannt, um Zucker und Vanillin im Holz des Fasses zu karamellisieren. Zuletzt wird die Innenseite des Fasses noch mal ausgebrannt. Annabel Thomas fordert dazu auf, die beiden Anteile einzeln zu verkosten: Der Nc’nean aus den Rotweinfässern schmeckt voll und kräftig, der aus den Bourbonfässern schwächer, dafür fruchtiger mit einer Zitrusnote.
Thomas und ihr Team wollen am Sprit selbst experimentieren, statt nur über Fässer zu reden: Während des sechsstündigen Maischens, wenn die im Gerstenschrot enthaltene Stärke in Zucker umgewandelt wird, ruht der Nc’nean eine Stunde. Das erzeuge tieferen, intensiveren Geschmack. Im Rest der Branche ruhe der Whisky üblicherweise gar nicht, da die Unternehmen viel Alkohol so schnell wie möglich erzeugen wollten. Um die fruchtigen Noten zu schaffen, nutzt die Destillerie zwei verschiedene Hefen statt einer. Und hat eine der längsten Fermentierungszeiten der Branche.
Warum Whisky Bio kaufen?
Was verändert nun ein Unternehmen wie Nc’nean? Erst mal profitiert die Firma aktuell ja von seinem Alleinstellungsmerkmal. Nc’nean will glaubhaft die Branche unter Druck setzen. Zugleich aber soll das Unternehmen natürlich wachsen. Aus ökologischen Gründen fokussiere man sich außerhalb Großbritanniens auf den nordeuropäischen Markt, um die Transportwege kurz zu halten. Und wenn nun woanders die Nachfrage steigt? Dass Wachstum und Klimaverantwortung zusammen möglich sind, muss Nc’nean noch belegen.
Die Whiskyindustrie ist indes aufgewacht. Viele Destillerien wollten nun wissen, wie sie dies oder jenes machten, erzählt Thomas. Die Branche sei dabei so langsam wie die meisten anderen auch, sagt sie, doch „im Gegensatz zu anderen Branchen gibt es hier sehr wenige neue Player auf dem Markt, weil es sehr teuer ist, in den Whiskymarkt einzusteigen und eine Destillerie zu bauen“.
Und noch etwas sei anders in ihrem Wirtschaftszweig: „Kunden verstehen heute, warum man Biomöhren kauft, auch wenn sie sich nicht dafür entscheiden. Beim Whisky verstehen sie das noch nicht.“ Sie kriege dann Bemerkungen wie: Sind nicht alle Whiskys bio? „Viele Leute haben nicht im Kopf, dass Whisky aus Gerste hergestellt wird und wie viel Energie die Herstellung verbraucht. Nc’nean will sichtbar machen: Whisky heißt zwar Wasser des Lebens. Aber ein Ökoprodukt ist er damit noch lange nicht.
Transparenzhinweis: Dieser Text ist mit finanzieller Unterstützung von Visit Scotland entstanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin