Designerin über Nächstenliebe: „Mich und meine Leute stärken“
Sandra Mawuto Dotou geht während ihrer Residenz am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe der Frage nach, wie Design zu Aufklärung beitragen kann.
taz: Mawuto Dotou, seit November sind Sie Residentin im Museum für Kunst und Gewerbe. Wie waren Ihre ersten Wochen?
Mawuto Dotou: Überfordernd! Was Besucher*innen in den Ausstellungen sehen, ist nur ein Bruchteil dessen, was dieses Haus alles beherbergt. Ich war für meine Recherchen schon in sechs Sammlungen. Mir ist auch klar geworden, wie wenig Zeit sechs Monate doch sind: Ich muss mich mit dem Haus und den Sammlungen auseinandersetzen, ein eigenes Konzept entwickeln und eigene Werke kreieren. Und das in einem langsam arbeitenden Museumsapparat, in dem Dinge nicht auf den letzten Drücker funktionieren. Daran muss ich mich auch erst mal gewöhnen: dass plötzlich 30 Leute in meine Arbeit involviert sind.
Als Grafikdesignerin machen Sie vor allem Auftragsarbeiten. Wie fühlt es sich an, jetzt völlige Freiheit für die Entwicklung einer Ausstellung zu haben?
Ich glaube, das Problem jeder kreativen Person ist, dass einen 1.000 Dinge begeistern, aber man sich für etwas entscheiden soll. Zum ersten Mal habe ich jetzt ein relativ großes Budget und kann einfach machen, was mich interessiert. Meine Gefühle dazu wechseln von Tag zu Tag: Heute finde ich das sehr cool, gestern hatte ich aber einen Moment in dem ich mir dachte „Oh mein Gott, was mache ich hier eigentlich?“. Am Ende darf ich 200 Quadratmeter füllen, und das möchte ich natürlich so gut wie möglich ausnutzen. Darin liegt schon ein gewisser Druck.
27, ist Grafikdesignerin und Künstlerin. Ihre Abschlussarbeit als Residentin im Förderprogramm für Junges Design der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen wird vom 3. Mai bis 30. Juni 2024 im Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert.
Wie gehen Sie damit um? Wie gehen Sie vor, um Ihre Kunst hier zu entwickeln?
Ich habe in den Monaten vor dem Beginn meiner Residenz alle Themen und Medien aufgeschrieben, die mich für die Ausstellung interessieren. Aktuell beschäftigt mich das Thema Nächstenliebe sehr, weil es so viele Facetten hat. Nächstenliebe ist persönlich, religiös, aber auch sehr politisch: Wem gewähren wir Nächstenliebe und wo hört sie auf? Sie hängt für mich auch eng mit einem Community-Gedanken zusammen. Das Thema beschränkt mich aber nicht darauf, nur politisch zu arbeiten, sondern ich kann auch Emotionen darstellen und in den Besucher*innen wecken.
Sie haben einen Community-Gedanken angesprochen – Welche Rolle spielt Community für Sie?
Meine Eltern kommen beide aus Togo und ich war von meiner Geburt an Teil der afro-diasporischen Community. Hier in Hamburg spielt meine Community für mich eine sehr große Rolle, weil ich zum ersten Mal einen größeren Freundeskreis aus Personen habe, die meinen afro-diasporischen Hintergrund und ähnliche Erfahrungen wie ich teilen. Das hat sich auch auf meine Arbeit ausgewirkt: Der Black History Month in Hamburg oder das Empowernment-Projekt „Each One Teach One“ waren meine ersten Freelance-Jobs als Designerin.
„Beim Durchsehen der Sammlungen hier im Museum ist mir aufgefallen, dass Schwarze Künstler*innen nur vorkommen, wenn es um Rassismus oder Kolonialismus geht“
Fühlen Sie eine Verantwortung gegenüber Ihrer Community in Ihrer Arbeit und Themensetzung?
Am Anfang ja. Ich hatte einen starken Ansporn, mit meiner Kunst und als Designerin antirassistisch zu wirken. Heute geht es mir nicht mehr darum, wie ich und meine Community von der weißen Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden, sondern ich konzentriere mich darauf, mich und meine Leute zu stärken. Falls ich dabei bewirken kann, dass weiße Menschen etwas lernen, ist das schön, aber es ist nicht mein Hauptanliegen. Beim Durchsehen der Sammlungen hier im Museum ist mir aufgefallen, dass Schwarze Künstler*innen nur vorkommen, wenn es um die Themen Rassismus oder Kolonialismus geht. Ich will mich darauf nicht beschränken. Wenn Personen, die nach mir folgen, die Schubladen in den Sammlungen durchsehen, sollen sie Schwarze Künstler*innen auch in Bereichen wie Grafikdesign finden und nicht nur zu diesen Themen.
Wie verhalten sich Design und Kunst für Sie zueinander?
Das ist ein ja ein ewiger Streit. Ich denke schon, dass Design auch Kunst sein kann, aber es sind zwei wesentlich unterschiedliche Tätigkeiten. Als Designerin setze ich hauptsächlich das um, was meine Kund*innen sich schon überlegt haben und finde Lösungen für Probleme. Als Künstlerin muss ich akzeptieren, dass es nicht das eine Problem und die eine Lösung gibt.
Sie sind auch in der Ballroom-Szene aktiv. Was bedeutet dieses Hobby für Sie?
Hobby! (lacht kopfschüttelnd) Ballroom is a lifestyle! Ballroom ist eine Subkultur, die in den 1970er Jahren in New York von Schwarzen und Latinx trans Frauen gegründet wurde. Es ist ein safer Space für die queere Community, um sich selbst entfalten und präsentieren zu können. Es geht darum, dass Menschen zeigen können, wie viel Glamour sie in sich tragen, auch wenn die Welt ihnen jegliche Art von Glamour verweigert. Aus Ballroom ist eine eigene Tanzrichtung entstanden: Vogueing (macht Tanzbewegungen und Posen vor). Die Szene hat einen riesigen Einfluss auf unsere Popkultur. Auf Musik, Tanz, Mode, sogar auf unsere Sprache: Slay, Yas Queen, you ate that – das ist alles Ballroom! Es ist für mich eine Form, mich künstlerisch auszudrücken.
Sie haben viele Interessen und Talente. Gab es prägende Erfahrungen für Ihre künstlerische Entfaltung?
Ich habe schon als Jugendliche mein eigenes Ding gemacht. Als ich 16 war, habe ich mit zwei Freundinnen ein Festival organisiert. Wir hatten Bock auf unterschiedliche Musikrichtungen, Poetry-Slam, Impro-Theater, Mode. Also organisierten wir ein Event, bei dem alles zusammenkam. Ich habe da schon gelernt, verschiedene Menschen und Talente für ein Projekt zusammenzubringen. Es war eine coole Erfahrung!