piwik no script img

Des Kanzlers Faktotum

von RALPH BOLLMANN

Der Mann weicht kaum noch von des Kanzlers Seite. Wann immer Gerhard Schröder in der Hauptstadt Staatsgäste empfängt – immer hat er einen blassen Endfünfziger im Schlepptau. Grauer Anzug, Seitenscheitel, eine überbordende Haartolle auf der Stirn. Eine gewisse Tapsigkeit deutet darauf hin, dass das Faktotum des Regierungschefs auf dem internationalen Parkett wenig erfahren ist. Handelt es sich um den Dolmetscher? Oder um einen Leibwächter?

Weit gefehlt: Der Mann, über dessen Identität die Fernsehzuschauer zwischen Washington und Moskau rätseln, heißt Eberhard Diepgen, ist Regierender Bürgermeister von Berlin, und seine großen Auftritte verdankt er schlicht dem Umstand, dass es auf seine Stimme ankam, als der Bundesrat über das Schicksal der Steuerreform entschied. Vorbei die Zeit, als die Bundesregierung den Bürgermeister demonstrativ außen vor ließ – wie zuletzt Ende Mai, als Schröder mit US-Präsident Bill Clinton über „Modernes Regieren“ konferierte.

Alle Auswege offen halten

Im Juni dann, in Sichtweite der Bundesratsentscheidung, kam die plötzliche Wende: Diepgen durfte, mit Gattin Monika im Schlepptau, die Ehepaare Putin und Schröder auf dem Bummel durchs Brandenburger Tor begleiten. Wenig später dirigierte Schröders Protokoll den französischen Präsidenten Jacques Chirac, einst Bürgermeister von Paris, ins Berliner Rathaus. Weniger freundlich wird es am Montag im CDU-Präsidium zugehen. Hier wird sich Diepgen, der dem Gremium kraft Amtes angehört, noch einmal all jene Verbalinjurien anhören dürfen, mit denen die Parteifreunde ihn nach dem Ja zur rot-grünen Steuerreform überzogen – auch wenn die härtesten Anwürfe von der Schwesterpartei kamen. Der CSU-Nachwuchspolitiker Markus Söder verhöhnte den Berliner Bürgermeister gar als „preußischen Warmduscher“.

Die Empörung kann niemand erstaunen. Diepgen, der als einziger CDU-Ministerpräsident die Steuerreform unterstützt hat, verhalf dem SPD-Kanzler zu seinem bislang größten Coup. Wenn die CDU die nächste Bundestagswahl erwartungsgemäß verliert, dann wird es auch in zwei Jahren noch heißen: Diepgen war schuld. Da hilft der Hinweis wenig, auf Berlins Stimme sei es nicht mehr angekommen. Denn ohne das Umfallen Berlins hätte auch Brandenburgs CDU-Chef Jörg Schönbohm kein Ja zur Steuerreform gewagt. Die hilflosen Debatten über eine Strategie für die Rente zeigen, wie sehr Diepgens Schlag die CDU getroffen hat. Kann sich die Union auf ihre Länderfürsten nicht mehr verlassen, steht sie der Regierung mit leeren Händen gegenüber. Ausgerechnet Diepgen, der Mann ohne Rückgrat, hat der CDU das Rückgrat gebrochen.

Virtueller Gesamtberliner

Auch in den Stunden vor der entscheidenden Sitzung am vorvergangenen Freitag hat Diepgen den aufrechten Gang gemieden. Das Ja zu Schröders Reform brachte er nicht selbst über die Lippen. Das musste Berlins Schulsenator Klaus Böger übernehmen, der Vizebürgermeister von der SPD. Schlimmer noch: Offenbar hatte es Diepgen nicht einmal fertig gebracht, Böger bereits vor der Abstimmung um den koalitionären Liebesdienst zu bitten. Als sein Regierungschef schwieg, musste der Senator von sich aus einspringen.

Nach der Abstimmung behauptete Diepgen, er habe CDU-Chefin Merkel und Fraktionschef Merz vorab über das Berliner Votum ins Bild gesetzt. Zweifel sind angebracht. Sogar der Berliner CDU-Generalsekretär Schmitt, über den letzten Stand der Dinge ebenfalls nicht im Bilde, wetterte noch am Tag vor der Entscheidung gegen Schröders „Mehrheits-Shopping“ im Bundesrat. Und als sich die CDU-Ministerpräsidenten am Vorabend der entscheidenden Sitzung absprechen wollten, ging Diepgen in den Bonner Rheinauen joggen.

Festlegungen vermeiden, alle Auswege offen halten: das ist das System, mit dem sich Diepgen seit 16 Jahren an der Spitze seines Stadtstaats hält – unterbrochen von einem kurzen rot-grünen Intermezzo unter Walter Momper (SPD). Ähnlich wie bei Kohl teilt sich Diepgens Amtszeit in zwei Hälften. Auf die Lehrjahre in den Achtzigern, verlacht und skandalgeschüttelt, folgte in den Neunzigern eine geradezu präsidiale Phase.

In den Regierungsalltag mischt sich der Bürgermeister nur noch hinter verschlossenen Türen ein, nach außen mimt er den virtuellen Gesamtberliner. Zum Landesvater reicht es dennoch nicht, Diepgen ist kein väterlicher Typ wie sein sächsischer Amtskollege Kurt Biedenkopf. Dazu strahlt der Bürgermeister, ein wandelnder Minderwertigkeitskomplex, zu wenig Selbstvertrauen aus. Aber gerade deshalb eignet sich der Junge aus Pankow, der im Arbeiterbezirk Wedding aufwuchs, als Identifikationsfigur für all jene Berliner, die den intellektuellen Dünkel gegenüber dem „blassen Eberhard“ nicht teilen.

Wenn in Diepgens Innerstem das Ressentiment einmal entfesselt ist, dann lässt es sich durch kühle Ratio nicht mehr zügeln. Immer wieder hat sich der Bürgermeister in Trotzreaktionen verrannt. So war er auch ein schlechter Verlierer, als er mit seinem Widerstand gegen das Holocaust-Mahnmal gescheitert war. Weil er an der Grundsteinlegung partout nicht teilnehmen wollte, schob er zunächst Termingründe vor, ohne den Grund seiner Verhinderung nennen zu können – das gleiche Herumgedruckse wie im Umfeld der Steuerreform. Erst als es gar nicht anders ging, sprach Diepgen Klartext: „Sie können von mir nicht erwarten, dass ich zu einem symbolischen Akt gehe und eine Entscheidung lobe, die ich so nicht getroffen hätte.“ Während Bundestagspräsident Thierse (SPD) symbolisch den Spaten hob, schaufelte sich Diepgen an seinem Schreibtisch durch die Aktenberge.

Staatsoberhaupt Westberlins

Auch die Versöhnung mit dem Kanzler kann dem Bürgermeister nicht leicht gefallen sein. In dem knappen Jahr, das Schröder in Berlin amtiert, sind sich die beiden nur ein einziges Mal freundschaftlich begegnet. Da hatte Diepgen dem Berlin-Neuling zur Begrüßung eine Torte spendiert. Seither herrschte Funkstille. Im Kanzleramt hielt man den CDU-Bürgermeister für provinziell und folglich von allen Terminen fern, und der Bürgermeister – in den Zeiten der Teilung vom Protokoll wie ein Staatsoberhaupt behandelt – zeigte sich angesichts seiner neuen Bedeutungslosigkeit zutiefst gekränkt. So sehr hatte sich Diepgen in seinen Trotz gegen die rot-grüne Regierung hineingesteigert, dass ihm selbst ein so enger Weggefährte wie der örtliche CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky öffentlich zum Versöhnungsgespräch mit dem Kanzler riet.

Doch anders als beim Mahnmal, wo Diepgen auf die heimliche Zustimmung einer schweigenden Mehrheit setzen konnte, hatte er im Kampf gegen Schröder keine Alternative. Das Angebot, das Schröder ihm vorige Woche machte, konnte er nicht ausschlagen – es sei denn, er hätte für den Rest seiner Amtszeit den aussichtslosen Kampf des alten Westberlin gegen die neue Hauptstadt ausfechten wollen. Anders, als Merz und Merkel glaubten, hatte Diepgen keine Wahl. Er musste auf Schröders Angebot eingehen: Nicht nur der Millionen wegen, sondern vor allem um des eigenen Prestiges willen. Der Kanzler konnte in einer Währung bezahlen, die der CDU-Spitze nicht zur Verfügung stand: Er verfügte über die Mittel, Diepgens angekratztes Selbstbewusstsein zu kurieren.

Die Drohung, mit der Parteikarriere sei es nun vorbei, kratzt Diepgen kaum. Nach höheren Weihen strebt er längst nicht mehr. Im Frühjahr hatte er kurz damit geliebäugelt, sich von den Delegierten des Essener Parteitags in das Führungsgremium wählen zu lassen. Wohlweislich ließ er es beim Gedankenspiel: Er hätte keine Chance gehabt. Sein Berliner Landesverband stellt auf dem Parteitag 24 von 1.000 Delegierten. Auf Bundesebene nahm bislang niemand den Bürgermeister ernst.

Das galt schon zu den Zeiten, als Helmut Kohl noch Kanzler war. Konnte der Pfälzer Diepgen partout nicht ausweichen, schaute er beim Händeschütteln nicht mal in seine Richtung. Suchte sich Diepgen, wie auf einer deutsch-amerikanischen Konferenz im Frühjahr 1998, aufs gemeinsame Pressefoto zu drängen, schob Kohl ihn unsanft beiseite.

Anerkennung nur von Schröder

Vielleicht hassten sich die beiden Politiker auch deshalb so herzlich, weil sich ihr Politikstil ähnelte. Von demokratischer Offenheit, transparenten Entscheidungsprozessen und intellektueller Präzision hält Diepgen so wenig wie einst Kohl. Vom frischen Wind, den Spendenkrise und Führungswechsel in die CDU getragen haben, sucht Diepgen die Berliner Landespartei nach Kräften abzuschirmen. Es bekam der kurzzeitigen Kultursenatorin Christa Thoben schlecht, dass sie im vergangenen Winter versuchte, den neuen Stil auch nach Berlin zu tragen: Von Diepgen fallen gelassen, musste sie nach nur drei Monaten zurücktreten. Jetzt hat es Diepgen allen gezeigt. Jetzt rächt sich, dass sie ihn nie ernst genommen haben – bis auf Schröder: Geschickt ließ der Kanzler Diepgen jene Anerkennung zuteil werden, die er so lange entbehren musste. Und Angela Merkel muss nun dafür büßen, dass sie den Berliner Bürgermeister unterschätzt hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen