Derblecken am Nockherberg: Dem Vater des Vaterlands
Das anbiedernde Kabarett auf dem Münchner Nockherberg ist ein trauriges Beispiel bayerischer Volkskultur. Dagegen hilft nur Starkbier.
Dass Bayern anders ist als ein hundsgewöhnliches Bundesland, darauf sind viele im sogenannten Freistaat sakrisch stolz. Wie dieses Anderssein aussehen kann, ist zu beobachten, wenn die Starkbierprobe auf dem Nockherberg in München übertragen wird.
Und es ist ja auch wahr. So etwas wie dieses Spektakel ist anderswo nicht vorstellbar. Nicht weil das Starkbier, das zur Fastenzeit in München ausgeschenkt wird, so stark ist, sondern weil sich da so schön sehen lässt, wer das Sagen hat in diesem Land.
Das „Derblecken“, das im Zentrum der Anstichzeremonie steht, ist über die Grenzen des Fleisch- und Anti-Gender-Äquators hinaus bekannt. Diese Tradition des Verarschens von Politikern ist ein besonders trauriges Beispiel der bayerischen Volkskultur.
In der Fastenpredigt und dem anschließenden Singspiel werden seichte Witzchen über Politiker gemacht, harmlose Parodien vorgeführt, die ein bisschen kratzen, aber gewiss niemanden wehtun. Am Ende zählt sowieso nur, ob es dem Chef der Paulaner-Brauerei gefällt. Jener Andreas Steinfatt ist der Zeremonienmeister und Chefzensor der Veranstaltung, die meist nicht länger als eine Stunde dauert, aber vom Bayerischen Rundfunk zu einer Sendung von satten drei Stunden aufgeblasen wird.
Überhaupt die Gäste!
Genug Zeit, sich genauer anzuschauen, was sich die Gäste in diesem Jahr an Geschmacksverirrungen von ihren Trachtendealern haben aufschwatzen lassen. Überhaupt die Gäste! Die sind handverlesen, Münchner Patriziertum und Geschäftspartner der Paulaner-Brauerei. Für das Publikum ist die Starkbierbrobe kein kulturelles Ereignis, sondern ein Geschäftstermin.
„Die Starkbierprobe“, Samstag, 20.15 Uhr, BR
Im Mittelpunkt dieser öffentlich-rechtlichen Dauerwerbesendung für die Nationaldroge Bier steht das Überreichen der ersten Mass des Abends an den Bayerischen Ministerpräsidenten. „Salve Pater Patriae!“, sagt dann der Brauereichef zu Markus Söder. Der lässt sich gewiss gerne als Vater des Vaterlands bezeichnen. Ein wahrhaft gruseliges Ereignis und genau deshalb wirklich einmalig. Nach Coronapause und kriegsbedingter Absage im vorigen Jahr gibt es nun endlich eine neue Folge dieser bayerischen Horror-Show. Prosit!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“