See

Foto: Nihat Gencosman

Der türkische Ilisu-Staudamm:Wasser als Waffe

Ridvan Ayhan musste wegen Überflutung umziehen. Weiter unten ist es umgekehrt: Dort leiden die Menschen, weil das Wasser des Tigris kaum mehr fließt.

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28.6.2022, 14:46  Uhr

Der erste Blick ist fantastisch. Azurblaues Wasser leuchtet dem Besucher entgegen, wenn man den Stausee erblickt. Man möchte am liebsten gleich in das kühle Nass hineinspringen. Doch Ridvan Ayhan dämpft die Begeisterung gleich. „Ich würde darin nicht baden“, sagt er, „der ganze ungefilterte Dreck von Diyarbakır, Bismil und Batman sammelt sich in diesem Stausee.“

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Vor uns liegt eines der umstrittensten Großprojekte der Türkei. Der riesige künstliche See ist das Ergebnis des Ilisu-Staudamms, der fast 150 Kilometer weiter südöstlich den Tigris aufgestaut hat. Jahrzehnte lang hatten ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung, unterstützt von Ökologen und Umweltaktivisten aus der ganzen Türkei und Europa, versucht, den Bau dieses Damms zu verhindern. „Die Zerstörung ist gigantisch und der vermeintliche Ertrag des Dammes dagegen sehr gering“, meint Ayhan.

Bis vor ein paar Jahren hat Ridvan Ayhan noch in Hasankeyf gelebt, dem bekanntesten, rund 4.000 Einwohner zählenden Ort, der durch den Stausee überflutet wurde. Jahrelang hat er sich gegen den Damm engagiert – als Bewohner Hasankeyfs, als Umweltaktivist und nicht zuletzt als Kurde, weil die Verliererin bei diesem Großprojekt vor allem die kurdische Bevölkerung ist, deren Land und deren Dörfer nun unter Wasser liegen.

Mann unter Torbogen

Auch er musste umziehen: Staudamm-Gegner Ridvan Ayhan Foto: Nihat Gencosman

Es sind noch knapp 20 Kilometer vom ersten Blick auf den Stausee bis nach Neu-Hasankeyf. An der Überlandstraße weisen große Schilder auf den Ort hin, die Abfahrt ist aufwendig gestaltet, man merkt, dass der türkische Staat hier Geld in die Hand genommen hat und etwas vorzeigen will. Die Einfahrt in den Ort führt vorbei an genormten, gleich aussehenden Einfamilienhäusern mit einem Stockwerk und einem kleinen Garten drumherum.

Der Fluss Der rund 1.900 Kilometer lange Fluss Tigris entspringt im Taurusgebirge im Südosten der Türkei und bildet im weiteren Verlauf auf einer kurzen Strecke die Grenze zwischen der Türkei und Syrien, bevor er in den Irak weiterfließt. Dort vereinigt er sich mit dem Euphrat zum Schatt al-Arab, der in den Persischen Golf mündet. Der Tigris dient seit Tausenden von Jahren der einheimischen Bevölkerung zur Bewässerung ihrer Felder und als Trinkwasserreservoir.

Die Staustufen Insgesamt existieren an dem Fluss fünf Staustufen, ein weiterer Staudamm ist in Planung, einer eine Baustelle. Drei dieser Projekte befinden sich am Oberlauf in der Türkei, vier im Irak. Die Größe des 300 Quadratkilometer großen Ilisu-Stausees in der Türkei wird dabei noch von der Mossul-Talsperre im Irak übertroffen. Dieser Damm gilt als baufällig und bedarf dringend der Reparatur. (taz)

An diesem Junitag liegt der Ort in gleißendem Sonnenlicht. In den Gärten ist nur spärliches Grün zu sehen, es gibt keinen einzigen Schatten spendenden Baum. Dabei war Hasankeyf einmal etwas ganz Besonderes. Der Ort lag an einer schmalen Stelle des Tigris, malerisch in die Felsen des anliegenden Berges gebaut.

Kein einziger Schatten spendender Baum

Neben der modernen Brücke ragten noch die gemauerten Pfeiler eines gut tausend Jahre älteren Vorgängerbaus aus dem Wasser. Ein persisch anmutendes Mausoleum eines früheren Herrschers dominierte das der Stadt gegenüberliegende Ufer. In den Steilklippen hoch über dem Tigris versteckten sich Hunderte Höhlen, die in früheren Zeiten bewohnt waren. Mit seinen alten Minaretten und den Torbögen aus der früh­is­lamischen Epoche vermittelte Hasankeyf auch historisch unbedarften Besuchern den Eindruck, hier einen ganz besonders geschichtsträchtigen Boden zu betreten.

Tatsächlich ist Hasankeyf noch wesentlich älter, als anhand der Bauten zu vermuten ist. Durch archäologische Funde in den Höhlen über dem früheren Ort lässt sich nachweisen, dass hier bereits im Neolithikum, also zum Ende der letzten Eiszeit, rund 10.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, Menschen gelebt haben. Unter Archäologen galt Hasankeyf deshalb als eine Art bewohntes Freilichtmuseum, gegen dessen Flutung Experten weltweit protestierten.

Mausoleum

Dieses historische Mausoleum wurde an anderer Stelle wieder errichtet Foto: Nihat Gencosman

Der türkische Staat hat auf diese Kritik reagiert und sich mit sehr großem Aufwand darum bemüht, zumindest einige historische Artefakte zu retten. Mit holländischer Spezialtechnik wurde das Mausoleum komplett angehoben und mit einem riesigen Tieflader einige Kilometer weiter an den Rand von Neu-Hasankeyf versetzt.

Auch die beiden historischen Minarette und ein alter Hamam wurden abgebaut und in Neu-Hasankeyf Stein für Stein wieder aufgestellt. Sie sind nun die wichtigsten Exponate für einen noch im Bau befindlichen Archäologiepark, der Neu-Hasankeyf einmal zu einer Touristenattraktion machen soll.

Ein erstaunlich gut eingerichtetes Museum ist bereits vor wenigen Wochen eröffnet worden, doch noch warten die Angestellten dort vergeblich auf den versprochenen Touristenansturm. Die wenigen Besucher in Neu-Hasankeyf verlieren sich im Staub der Baustellen, der den ganzen neuen Ort verhüllt.

Ridvan Ayhan, umgesiedelter Kurde

„Jeder bleibt in seinem Haus, es gibt kein gemeinschaftliches Leben mehr hier“

Obwohl Ridvan Ayhan versichert, dass alle neuen Häuser von ehemaligen Einwohnern des alten Hasankeyfs bewohnt sind, sieht man keine Menschen auf der Straße. „Jeder bleibt in seinem Haus, es gibt kein gemeinschaftliches Leben mehr hier. Die Leute sind durch die Zwangsumsiedlung traumatisiert“, meint Ayhan.

Landkarte

Lediglich am Rande des neuen Hafens von Hasankeyf, von dem aus demnächst die Tourenboote mit den sehnlichst erwarteten Touristen starten sollen, ist ein wenig Leben zu verspüren. Hier haben sich drei Teegärten angesiedelt, hinter denen einige Läden ihre Eröffnung vorbereiten. Aus dem Ensemble soll später einmal so etwas wie ein Basar erwachsen. Das Ganze wirkt so künstlich wie es ja tatsächlich auch ist. „Disneyland in Kurdistan“, meint der Kellner im Teehaus achselzuckend.

80 Dörfer und Weiler gibt es nicht mehr

Das alte Hasankeyf versank im Februar 2020 in den Fluten, nachdem im vorherigen Sommer damit begonnen wurde, den Stausee aufzufüllen. Heute ist er schon zu 90 Prozent gefüllt. Das Gewässer erstreckt sich über knapp 150 Kilometer Länge und bedeckt 300 Quadratkilometer Land. Dafür mussten neben Hasankeyf weitere achtzig Dörfer und Weiler umgesiedelt werden. Nach Auskunft von Staudammgegnern seien dadurch knapp 80.000 Menschen vertrieben worden.

Während die ehemaligen Bewohner von Hasankeyf aufgrund der großen, auch internationalen Aufmerksamkeit noch vergleichsweise gut weggekommen sind – sie alle erhielten einen Eigentumstitel für ihr Haus und bekamen in Neu-Hasankeyf zu einem akzeptablen Aufpreis ein neues Gebäude gestellt –, ging der größte Teil der Dorfbewohner jenseits dieses Hotspots weitgehend leer aus. Ihre Häuser waren in keinem Grundbuch verzeichnet und das Land, das die Menschen über Generationen bearbeitet hatten, gehörte in der Regel einem Großgrundbesitzer, der sich mit dem Staat einigte, ohne dass die einheimischen Bauern etwas davon abbekamen.

„Diese Familien leben jetzt in den Armenvierteln von Städten wie Batman und Diyarbakır oder sind gleich nach Westen ausgewandert, an den Rand von Istanbul und Ankara“, sagt Ridvan Ayhan. Ein junger Mann im Teehaus bestätigt, dass seine Familie in die kurdisch geprägte Millionenstadt Diyarbakır gezogen ist, während er selbst noch versucht, sich in Neu-Hasankeyf durchzuschlagen.

Die sozialen Folgen sind nicht das einzige Problem, das durch den Staudamm verursacht wurde. Schon vor Jahren hatte Ulrich Eichelmann, Koordinator der internationalen Kampagne „Stop Ilisu“, vor den ökologischen Folgeschäden der Staustufe gewarnt. „Natürliche Flussläufe sind die Lebensadern jeden Landes“, schrieb er damals. „Wer sie stoppt, eindeicht, aufstaut oder in unterirdische Röhren zwängt, zerstört damit die Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen.“

Dass diese Prophezeiung Wirklichkeit geworden ist, müssen vor allem die Menschen am Unterlauf des Tigris im Irak erleben. Der Ilisu-Damm liegt nur 40 Kilometer von der Grenze zu dem Nachbarland der Türkei entfernt. Seit das Wasser aufgestaut wird, hat sich die im Irak ankommende Wassermenge drastisch verringert. Selbst jetzt, wo der Staudamm nahezu gefüllt ist, lässt die türkische Regierung nur zwei von sechs Turbinen, durch die der Strom am Ilisu-Damm erzeugt wird, laufen, die anderen bleiben trocken.

Wassermangel im benachbarten Irak

Entsprechend gering ist die Wassermenge, die den Damm passiert und wenig später den Irak erreicht. Da auch der Euphrat, die zweite Lebensader des Zweistromlands, sowohl in der Türkei wie auch in Syrien bereits vielfach aufgestaut wurde, sitzen die Menschen im Irak bald buchstäblich auf dem Trockenen.

Dabei wird das Land ohnehin schon vom Klimarat der Vereinten Nationen als eines der durch die Erderhitzung am meisten gefährdeten Länder weltweit gelistet. Der Klimawandel ist dort längst bedrohliche Realität. Extreme Hitze und Dürren haben die letzten fünf Jahre geprägt. Allein von April bis Ende Mai haben in diesem Jahr zehn Sandstürme durch ihren aufgewirbelten Staub die verdorrten Felder geschädigt. „Umso dringender“, sagte der irakische Minister für Wasserressourcen, Mahdi Rasheed, Anfang Juni der Nachrichtenagentur Associated Press, „bräuchten wir mehr Wasser über die Flüsse.“

Mahdi Rasheed, irakischer Minister für Wasserressourcen

„Der Tigris hat in diesem Jahr sechzig Prozent weniger Wasser als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre“

Weil das Wasser im Tigris und Euphrat immer dürftiger fließt, hat die irakische Regierung in der Hauptstadt Bagdad nun in einer Art Notoperation entschieden, die Bewässerung landwirtschaftlich genutzter Flächen um 50 Prozent zu reduzieren. „Der Tigris“, sagt Mahdi Rasheed, „hat in diesem Jahr 60 Prozent weniger Wasser als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre.“ Von den sechs Millionen Tonnen Weizen, die der Irak zur Versorgung seiner Bevölkerung braucht, konnten in diesem Jahr wegen des Wassermangels bisher nur 2,5 Millionen Tonnen erwirtschaftet werden.

Seit die Türkei in den 1960er Jahren mit dem Bau von Staudämmen an den Oberläufen von Tigris und Euphrat begonnen hat, vertreten die Regierenden die Position, dass das Wasser auch ihrem Land gehört. „So wie der Irak seine Ölquellen als nationales Gut betrachtet, betrachten wir die Quellen von Euphrat und Tigris als nationales Gut“, so reagieren Regierungsvertreter seit Jahrzehnten auf die Kritik aus Syrien und dem Irak. Und so wie man für Öl bezahlen muss, erwartet die Türkei auch eine Gegenleistung für Wasser.

Ridvan Ayhan und andere Kurden im Teehaus von Neu-Hasankeyf sind davon überzeugt, dass die Regierung in Ankara den Ilisu-Damm auch deshalb gebaut hat, um irakisches Wohlverhalten in wichtigen politischen und wirtschaftlichen Fragen notfalls erzwingen zu können. Seit April diesen Jahres führt die türkische Armee eine großangelegte Militäroperation gegen die im eigenen Land verbotene PKK im kurdischen Nordirak durch. Zähneknirschend hat sowohl die Regierung in Bagdad wie auch die kurdische Autonomiebehörde in Erbil ihre Zustimmung dazu gegeben.

„Tun sie es nicht, dreht ihnen die Türkei ganz das Wasser ab“, ist Ayhan überzeugt. Denn allein der Strom, der durch den Damm erzeugt wird, könne als Grund für den milliardenschweren Bau nicht überzeugen, meint er. Statt der von der Regierung prognostizierten 3 Prozent, den der Staudamm für die Energieerzeugung der gesamten Türkei erbringen sollte, seien es bislang nicht mal die Hälfte davon, die durch die Turbinen erzeugt würden. „Das hätte man in dieser Gegend, wo zehn Monate im Jahr die Sonne vom Himmel knallt, mit Solarenergie weit billiger, umweltschonender und humaner erreichen können“, sagt Ayhan. „Die Dämme sind auch dazu da, Wasser als Waffe einsetzen zu können.“

Über eine teils nur noch als Sandpiste existierende Straße durch die Berge machen wir zum Abschluss noch einen Abstecher zum alten Hasankeyf oder zu dem, was an dem alten Platz der Ortschaft noch übrig geblieben ist. Der Weg endet auf einem staubigen Platz direkt am Ufer des Stausees. Wir befinden uns im oberen Drittel des Burgberges, an dessen Fuß einst Hasankeyf lag. Vom Ort ist nichts mehr zu sehen.

Den verbliebenen Burgberg haben sich jetzt die Archäologen vorgenommen. Ein Team der türkischen Universität Van gräbt auf dem obersten Plateau gerade einen Palast aus, der zu Beginn des ersten Jahrtausends unserer Zeit vermutlich als Teil der römischen Grenzbefestigung zu den persischen Sassaniden gedient hat. Der Chef der Grabungskampagne, Murat Bey, meint: „Nachdem wir Hasankeyf versenkt haben, legen wir hier ein Kastell frei.“ Das sei ein Symbol für die wechselvolle Geschichte an Euphrat und Tigris.

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