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Der sonntaz-StreitDer Schrecken nach dem Sieg

Wir sind Weltmeister. Und jetzt? Leere? Langeweile? Lebensverdruss? Man muss auch an die Konsequenzen denken, die so ein Titel hat.

Verstopfte Straßen nach dem WM-Finale – ein Graus. Bild: dpa

Nichts war wie sonst bei dieser WM: Zuerst spielen sich in der Vorrunde Underdogs wie Costa Rica, die Schweiz oder Chile ins Fußballherz, dann kündigt die deutsche Mannschaft in der Finalrunde ihr Abo auf das Spiel um Platz 3. Zuletzt Mario Götzes Siegtor im Endspiel gegen Argentinien: eine Flanke von Schürrle, mit der Brust angenommen und dann mit links ins Tor. Keine Standardsituation, kein erschlichener Elfmeter, kein Abseits. Stattdessen: formschön heraus gespielt und weltmeisterlich versenkt.

Aber so ein Weltmeistertitel kann auch ganz schön nerven. Auf deutschen Großstadtstraßen war in den Stunden nach dem Spiel kein Durchkommen mehr. Kilometerweit stauten sich schlandfarben bewimpelte Autos, jubelnde Fans funktionierten die Fahrbahn zur Feierzone um. Zwei Tage später das Gleiche in Berlin noch einmal: Bei der Ankunft der DFB-Elf in der Hauptstadt liegt der Verkehr lahm, alle wollen den Mannschaftsbus bejubeln. Aber was gibt es da wirklich zu sehen?

Doch damit ist das Elend noch lange nicht vorbei. Jedes Kind will nun Fußballer werden, die Vereine zwischen Konstanz und Kiel werden sich freuen. Wo ist das Geld für die Jugendförderung? Und auch den Eltern steht großes Glück bevor: Über Jahre hinweg werden sie ihre Wochenenden am Spielfeldrand verbringen, um den Kleinen beim Kicken zuzusehen. Sollte es dabei schütten wie aus Kübeln: kein Grund, um die F-Jugend-Begegnung zwischen dem DSC Wanne-Eickel und dem SSV Hagen zu verpassen.

Nicht auszumalen außerdem, was aus all den nunmehr verwaisten Tennisplätzen werden soll. Sie werden vermoosen, zu Grillflächen, Parkplätzen oder Spekulationsobjekten für Immobilienhaie verkommen. Denn freilich, wer will jetzt noch Tennis spielen? Die Weltmeisterschaft ist ein Fiasko.

Vor welchen Folgen des WM-Titels bangt Ihnen? Befürchten Sie, dass die in neun Monaten zur Welt kommenden Kinder alle Mesut, Mats und Mario heißen? Graut Ihnen davor, dass bald nur noch rote, gelbe oder schwarze Autos auf den Straßen fahren? Haben Sie vielleicht selbst schon etwas Schreckliches erlebt, nachdem Deutschland Weltmeister wurde? Schreiben Sie uns hier oder auf Facebook. Mehr über die Schrecken des WM-Titels lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. Juli 2014.

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21 Kommentare

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  • Es ist nur ein Spiel. Und bald fängt die Bundesliga an, irgendwann ist die EM und dann ist das Alles vorbei und vergeßen, eine Fußnote in den Geschichtsbüchern. Aber fürs Erste freuen sich viele - dürfen sie auch. Es gibt nervigere Dinge als solche Triumphe. Ich vermute die Regierung hätte noch mehr Kröten auf die Tagesordnung setzen sollen, immerhin einen Mindestlohn mit 100 Löchern haben sie bei der WM schon durchgewunken. Ohne Nebenwirkungen ist diese WM eben nicht gewesen.

  • Dass ausgerechnet jemand mit meinem Vornamen das entscheidende Tor schießen musst wird mir und den vielen anderen Marios wohl zum Verhängnis.

    Was in meiner Kindheit Mario Basler war, wird nun Götze: Ein, von meinem Gegnüber grinsend genannter Typ, wenn ich mich meinen Namen nenne. Mir selbst bleibt dann nur ein gequältes Lächeln.

    • @Humankapital:

      Das nächste Mal dann ohne fehler. ;)

  • Blick eines Fussball-Liebhabers, dessen Liebe nur noch dem Spiel (Zweck) und nicht dem Erfolg (Mittel) obliegt:

     

    A: Der deutsche Fussball blüht. Früchte der Förderung!

     

    B: Ziehe in Betracht, dass Kinderträume von solch weltentrückten Happenings, die güldene Trophäe in die Luft zu stemmen und natürlich zu gewinnen, professionelle Fussball-Spieler in die Rolle eines Leibeignen der Wortführer drängen mögen, die sie mit einer „angemessenen“ Gage zu kompensieren versuchen.

     

    A: WIR sind Weltmeister!

     

    B: Also ich inkludiert? Was wenn ich mich nicht über Nation definieren möchte, weil im Namen von Nationen, 365 Tage im gregorianischem Kalenderjahr, entfremdete Entscheidungen Menschenleben und Umwelt immenser beeinflussen, als es eine WM jemals könnte.

     

    A: Wo bleibt dein Gemeinschaftsgefühl?

     

    B: Ich hege Sympathie mit Vereinen meiner aktiven Jahre sowie progressiven Fankulturen und Vereinsstrukturen.

    Weltfeste jedoch sollten ein Gleichgewicht voraussetzen, damit ein Sieger nur sportlich und nicht militärisch oder wirtschaftlich gekürt werden kann. Zusammengehörigkeit aufgrund von Sprache, Teilhabe der ähnlichen Geburtsstätte (Geographie) oder der gewachsenen Wahl einer Heimat ist weiters durchaus legitim.

  • O.k. - bin ein totaler (FIFA-) Fußballmuffel . Erschwerend kommt hinzu , auch ohne jeden Zugang zu Kölscher Karnevalslustigkeit . Aber . Im Vergleich ist Letztere für mich noch eher eine harmlose Form von sympathischer Paranoia , die im übrigen auch ganz ohne Verlierer auskommt . Dagegen Schland im Fußball-WELTMEISTER-Rausch , ...das hat mehr mit gesellschaftspathologischer Demenz gemein .

  • Auch wenn sich das Lied 54, 74, 90, 2014 scheiße anhört: Deutschland ist auf einmal tatsächlich Weltmeister! Menschen singen auf den Straßen wie das letzte Mal beim Mauerfall. Ach was, der Mauerfall ist nichts dagegen! Wir sind Weltmeister. Du. Ich. Wir alle! Irgendwie auch die Nationalelf und Jogi. Aber hauptsächlich wir. Wir haben es auch vom ersten Tag an gewusst, nie gezweifelt!

     

    Und jetzt, nach dem Rausch? Da fragt man sich: "War es das wert?" Und die Antwort, die sich bereits im Herzen und in den Köpfen der Fans formt ist: "Ja, jede Sekunde war es wert! Aber was machen wir jetzt?" - "Wir könnten ja selber mal Fußball spielen. Im Verein oder so?" Nein, keine gute Idee! Besser wir legen uns bis zum Beginn der Bundesliga oder vielleicht auch bis zur EM in die Eistonne. Irgendwann ist ja wieder Fußball. Und dann sind wir wieder da. Keine Angst, Fußball: You'll never walk alone!

  • Das Schlimmste was passieren kann ist die Vermerkelisierung des Fußballs. Ihgitt! Erst die Traumbilder von WM-Trophäen und Fußballgöttern, dann - zack - das göttliche Antlitz von unserem Angie-Kanzler-Topmodel dazu auf die Monitore geknallt? Nrrraaaahuuuaaarrggglll :-)

  • Ach mein Gott, stellt euch nicht so an. Wir sind Weltmeister, na und? Ist das der Weltuntergang?

     

    Mir persönlich graut viel mehr vor den Folgen, wenn unsere Bundesregierung in der Geheimdienstaffäre weiterhin so passiv bleibt. Edward Snowden nach Deutschland, darum geht es heute!

     

    Nicht um den potenziellen Weltuntergang nach Weltmeisterschaftstitelgewinn...

  • ja, es gibt ziemlich viel Nerv-Zeug wegen der WM. Aber das allernervigste sind die Moralprediger, die immer und überall mit Hashtag 'Fußball' blöken müssen, daß *hier* Rinder verhungern, *dort* Kinder nicht-artgerecht geschlachtet werden und *da drüben* Raketen mit Raketen beantwortet werden, alles weder basisdemokratisch legitimiert noch vegan.

    Und das aller-allernervigste: Die alle werden jetzt vier Jahre üben, weil dann ja wohl WM in Putinland angesagt ist, und das werden ja die linken Linken nicht hinnehmen, daß dann gegen Russland geblöckt wird.

     

    Irgendwo, weinend in einer Ecke, stehen ein paar *Fußball-Interessierte* und flüstern 'schön wars, Schland'. Aber ganz leise, damit es keine hört.

    • @uli moll:

      Recht hast du! Können die hungernden Kinder nicht mal jetzt, wo Schland Weltmeister im ping pong geworden ist, das jammern sein lassen? Und auch die doofen Palästinenser in Gaza könnten sich ja mal über die israelischen Partyraketen (zu Eheren ihrer deutschen Freunde) freuen, anstatt immer gleich zu sterben. Also wirklich diese Moralprediger wie du sie nennst nerven wirklich.

       

      Fußball,Fußball über alles, über alles in der Welt!

       

      Uli Moll ich glaube deinen Moralkompass hast du dir beim feiern weggesoffen.

      • @Alex K.:

        ach Alex,

         

        ich finde es ja nett von dir: Ein Parr stiefel hingestellt und DU ziehst sie dir sofort an.

        Nett. Nett, aber dumm ...

        • @uli moll:

          Das naive Gutmenschentum ist halt noch nicht ganz verpolemisiert. Und die Stiefel passen wunderbar Uli. Weißt du, ich werde gerne als naiver Gutmensch dahingestellt. Besser als das, wie man Menschen wie dich bezeichnen müsste!!!

          • @Alex K.:

            so, bei den persönlichen Beleidigungen sind wir schon - fehlt noch die latente Drohung.

             

            Gutmensch?

            Na, ich weiß nicht.

            Naiv, als nettere Form für 'Vollpfosten", OK, aber wie aus Gesinnungsstasi 'Gutmensch' wird, ist mir keineswegs klar.

            • @uli moll:

              Ach, Gesinnungsstasi ist das jetzt schon, wenn jemand sich nicht von der ganzen Schland-Besoffenheit ablenken lässt und noch über den Tellerrand schaut. Ich dachte eigentlich auch schon immer, dass die Vollpfosten diejenigen wären, die durch die Gegend rennen und ihr "Wir sind WEEEELTMEISTER" durch die Gegend grölen.

              Wir? Haben die oder Sie mitgespielt? Also ich nicht. Ich kann mir das nicht auf die Fahnen schreiben, was andere machen. Ich habe durchaus Respekt davor, dass die Jungs sich da drüben nicht daneben benommen haben, wie die Generation Matthäus. Mal eine erfrischende Abwechslung. Aber deshalb leide ich noch nicht an einer Persönlichkeitsstörung, die zu einer Identifikation mit den Kickermillionären führt. Also ich fühle mich noch ganz wohl mit mir selbst und leide nicht an extrakorporaler Selbstentblöß(d)ung. Nächste Woche ist das Theater vorbei und die Leute werden sehen, dass die Alltagsprobleme nicht verschwinden, wenn der Zauberschleier weg ist. Trauriges Erwachen, wenn man sonst nichts hat und nichts begreift.

              • @HMutt:

                exakt.

                 

                Etwa 90% der Leute da draußen haben gefeiert - OK, laut und an- oder betrunken, aber eben gefeiert.

                10% Rechtslöcher haben (erfolglos) versucht, das zu instrumentalisieren.

                 

                Und dann gibt es eben die mit der Blockwart-Mentalität, die feiernde Menschen automatisch als feindlich auffassen, weil sie nicht einsehen, daß irgendwer sich freut. Außer, wenn Freude vom Zentralkomitee verordnet ist, dann achten sie darauf, das alle mitsingen.

                 

                Das sind die, die auch die Ansicht vertreten, daß Palästineserdemos einen Reporter angreifen (und einen Beschützer ins Krankenhaus prügeln) *dürfen*, wenn eine Zeitung nicht *nur* gegen Israel hetzt (Bremen), die alles und jedes schönreden, was 'der Sache dient', die, kurz gesagt, Nazimethoden anwenden.

                 

                Niemand verlangt, daß du (oder sonstwer) sich für Fußball, Schach oder Karneval interessierst.

                Aber anderen ihre Dinge madig machen wollen, das ist erbärmlich, intolerant und totalitär.

                 

                Links, das ist anders. Sehr anders

                • @uli moll:

                  Uli Moll, verzeihung, aber sie reden unsinn.

                  Wo haben Sie die 90% her?

                  Es soll Leute geben, die interessiert das mit dem Titel weniger. Es soll Leute geben, die mögen Fussball, identifizieren sich aber nicht mit Schwarz-Rot-Gold (z.B. ich). Und WIR sind ganz sicher nicht Weltmeister!!! 23 Spieler, Jogi und noch son paar Funktionäre sind Weltmeister. Und keiner macht hier irgendwem etwas madig - feiern Sie Ihren Fussball, Ihren Titel, Ihre Fahne, andere feiern etwas anderes.

                  Allerdings Ihren Spruch mit dem "nerv Zeugs" - das gibt zu denken. Schon Cäsar wusste, mit Brot und Spielen lässt sich der Mensch in alle Richtungen manipulieren. Und an dieser Stelle muss ich nun doch kurz persönlich werden: Sie (und leider auch sehr viele andere) hat man ganz offensichtlich erfolgreich manipuliert.

                  • @PePe:

                    Panem et Circensis geht auf den Kaiser Trajan zurück und nicht auf Julius Cäsar.

                  • @PePe:

                    90% sind aus Beobachtung.

                    und wenn du wirklich meinst, daß 'niemand etwas madig macht', bist du offenbar ausschließlich für diesen einen Post im Netz gewesen - oder blind.

                     

                    Ob du - oder sonst jemand - Weltmeister ist, ist mir völlig egal. Aber wer jedesmal blöcken muss, wenn andere meinen, sie wären es, ist das schlicht miesmachen.

                     

                    Und nein, mich hat man eben nicht manipuliert mit den entsprechenden Sprüchen.

                • @uli moll:

                  Du bist auch nicht sonderlich tolerant, indem Du alle in einen Topf wirfst. Es gibt hierzulande genügend WM-Nörgler, die ihre verdiente Ruhe haben wollen, insbesondere auch von Problemen wie Kinderarbeit und Krieg.

                  • @Sapasapa:

                    ach? Nicht?

                     

                    na, sowas! Tolerant soll ich sein, und zwischen den harten Fahnenabreißern und den moderaten 'Fahnen sind Nazi' Sprücheklopfern unterscheiden? Echt?

                     

                    Ja, die Doppelmoral:

                    Gewalt schönreden, wenn es einem passt, aber wer 'Schland' ruft, ist ein Kriegstreiber, da wehret man den Anfängen.

                     

                    Toleranz?

                    So wie in Bremen, ganz ruhig und friedlich mal eben auf die Fresse, ja. Weil ja gegen Krieg. Danke.

                    • @uli moll:

                      Herr Moll, es fällt zunehmend schwer Sie ernst zu nehmen. Achten Sie auf Ihren Blutdruck.