Der feministische Wahlcheck: Da geht noch was
Von Union und AfD ist keine feministische Politik zu erwarten. Was bieten Linke, Grüne, SPD und FDP in ihren Wahlprogrammen für Frauen an?
![Blick auf die schwarzen Schuhe und die schwarze Handtasche von Christian Lindner Blick auf die schwarzen Schuhe und die schwarze Handtasche von Christian Lindner](https://taz.de/picture/7526119/14/29056615-1.jpeg)
Schutz vor Gewalt
Um Frauen besser vor Gewalt zu schützen, wollen SPD, Grüne und Linke eine „Ja heißt Ja“-Regelung einführen und die Istanbul-Konvention konsequent umsetzen. Hilfe für Gewaltbetroffene fordern alle drei Parteien, aber nur bei der Linken steht, dass diese kostenlos sein soll.
Die Linke fordert darüber hinaus „verpflichtende Fortbildungen für Polizei und Justiz“. Es ist die einzige Partei, für die der Gewaltschutz von Frauen Vorrang vor dem Umgangsrecht von Vätern hat. Die Linke hebt sich zudem von den anderen Parteien ab, weil sie findet, dass „Gewalt und sexuelle Belästigung“ auch ins Arbeitsschutzgesetz gehören.
Für den Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen, den SPD, Grüne und Linke schon lange fordern, hat der Bundestag inzwischen ein Gesetz beschlossen, das dafür 2,6 Milliarden Euro vorsieht. Die FDP, bei der überhaupt nur ein einziger Satz zu Gewalt gegen Frauen im ganzen Programm steht, schlägt eine „Online-Plattform für verfügbare Frauenhausplätze“ vor. Die gibt es längst.
Die Grünen wollen den Einsatz von K.-o.-Tropfen und KI-generierter Nacktbilder bestrafen und regen einen Betroffenenrat für häusliche Gewalt an. Sie und die SPD sprechen sich für elektronische Fußfesseln aus, ein staatliches Repressionsinstrument, dem die Linke laut einer Expertin der Partei eher kritisch gegenübersteht.
Empfohlener externer Inhalt
Die SPD fordert Schwerpunktstaatsanwaltschaften für häusliche Gewalt, will Catcalling unter Strafe stellen und Täter zu Anti-Gewalt-Trainings verpflichten. In den Entwürfen von Grünen und FDP fand sich kein Wort zu Täterarbeit oder aggressiver Männlichkeit. Eine taz-Anfrage dazu ließ die Pressestelle der Grünen unbeantwortet. Das finale Programm der Grünen beinhaltet nun aber den „Ausbau von Täterarbeit“, ebenso den Begriff „Femizide“, den auch das SPD-Programm nennt und den man bei der Linkspartei trotz vieler Gegenmaßnahmen offensichtlich vergessen hat. Die Grünen haben auch an den Ausbau von Angeboten für Gewaltbetroffene mit Behinderung und Sprachbarriere gedacht.
Schutz für geflüchtete Frauen
Geflüchtete Frauen besser vor Gewalt schützen, wollen auf den ersten Blick alle außer der FDP. Wer genauer hinschaut, bemerkt: Bei den Grünen würden nur diejenigen Frauen, deren Status vom gewalttätigen Partner abhängt, einen „eigenständigen Aufenthaltstitel“ bekommen.
Die SPD formuliert nebulös, sie wolle das „Aufenthaltsrecht praxistauglicher“ ausgestalten. Einen sofortigen und sicheren Aufenthalt für Gewaltbetroffene fordert nur die Linkspartei. Sie will auch das Selbstbestimmungsgesetz, das bisher nur für deutsche Staatsbürger*innen gilt, auf geflüchtete Menschen ausweiten.
Gegen „Zwangsheirat und Genitalverstümmelung“ will sich die FDP einsetzen. Die Grünen halten zumindest in der Theorie am Konzept der „feministischen Außenpolitik“ fest, sie wollen Frauen, Mädchen sowie marginalisierte Gruppen weltweit stärken. Sie sind die Einzigen, die sich explizit gegen „Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung“ einsetzen und ein Bleiberecht für die Opfer wollen. Unklar ist, inwiefern dies mit ihren aktuellen Forderungen nach einer restriktiveren Migrationspolitik zu vereinen wäre.
Arbeit, Geld und Steuern
Was die Wahlversprechen finanziell bedeuten, hat die Süddeutsche Zeitung ausgerechnet. Bedenkt man, dass Frauen mit 60 Prozent die Mehrheit der Geringverdienenden ausmachen, und betrachtet die unterste Einkommensgruppe, die bis zu 10.000 Euro brutto im Jahr verdient, bietet die Linke die stärksten Entlastungen. Mit ihr hätte diese Gruppe 4.125 Euro brutto mehr. Die SPD bietet 268 Euro mehr und die Grünen 119 Euro. Die FDP will den Ärmsten sogar noch 289 Euro wegnehmen.
Alleinerziehenden – auch das sind zu 80 Prozent Frauen – wollen alle Parteien durch Steuererleichterungen unter die Arme greifen. Aber den 30 Prozent von ihnen, die so wenig verdienen, dass sie keine Steuern zahlen, bringt das nichts.
Gegen den Gender Pay Gap planen alle außer der FDP, das Entgelttransparenzgesetz weiterzuentwickeln. Die Grünen wollen Gehaltsangebote in Stellenausschreibungen transparent machen – eine gute Idee, die ohne Verpflichtung die wenigsten Unternehmen umsetzen dürften. Sexarbeit betrachten nur die Grünen als Arbeit und wollen deren Bedingungen verbessern, durch mehr aufsuchende Hilfe und zugleich durch strengere Kontrollen von „Prostitutionsstätten“.
Mit der Abschaffung des Ehegattensplittings und der Senkung der Normalarbeitszeit auf 32 Stunden, also der 4-Tage-Woche, macht die Linke die grundsätzlichsten Vorschläge, um die Ungleichheit der Geschlechter, besonders bei Paaren, zu reduzieren. Diese rührt zahllosen Studien zufolge vor allem daher, dass Mütter weniger und Väter mehr erwerbarbeiten.
Arbeitszeitverkürzungen würden Vätern ermöglichen, sich mehr um ihre Kinder zu kümmern, Frauen könnten in der Zeit mehr Geld verdienen. Dies würde ihre Altersarmut reduzieren sowie insgesamt die Abhängigkeit von Partnern, die auch häusliche Gewalt begünstigt.
Selbstbestimmung und Körper
Grüne und Linke wollen die Geburtshilfe stärken. Die Linke ist hier am ausführlichsten, sie will wohnortnahe Geburten mit ausreichend Personal ermöglichen. Bei SPD und FDP taucht das Stichwort nur im Kontext von „Totgeburten“ auf. Für diese Fälle hat der Bundestag gerade einen gestaffelten Mutterschutz beschlossen.
Alle vier Parteien schreiben, dass Schwangerschaftsabbrüche kostenfrei sein sollten. Außer der FDP sind sich alle einig, dass diese außerhalb des Strafrechts geregelt werden müssen. Die Liberalen schreiben, dass Paragraf 218 reformiert werden soll, aber nicht, wie. Eine Reform, die auch die Mehrheit der Gesellschaft will, haben die Liberalen diese Woche im Bundestag blockiert.
Die Linke fordert als einzige Partei, dass „sämtliche Verhütungsmethoden“ von der Krankenkasse bezahlt werden, die Grünen nur „ärztlich verordnete“, die SPD will bei dem Thema bloß „Datenlücken“ schließen. Die Linke schlägt zudem kostenlose Menstruationsprodukte vor, SPD, Grüne und FDP nicht. Und wie will die Linke all diese Maßnahmen finanzieren? Durch höhere staatliche Einnahmen, zum Beispiel durch Vermögens- und Erbschaftssteuern.
Familie und Sorgearbeit
Die Grünen und die Linken finden, künstliche Befruchtung sollte allen Menschen offenstehen, auch Ledigen. Laut der Linken sollte das teils von den Kassen bezahlt werden. Im Programm der SPD kommt keine künstliche Befruchtung vor. Regenbogenfamilien gleichstellen wollen SPD, Grüne und Linke. Die Grünen ergänzen, dass Menschen „jenseits einer Ehe rechtlich verbindlich füreinander sorgen“ können sollten.
Die SPD will dafür ein Pflegegeld für diejenigen einführen, die sich um Angehörige kümmern. Sie will als einzige Partei die Zahlung des Elterngelds von 14 auf 18 Monate verlängern. Die Linke will den Mindestsatz erhöhen, die Grünen den Mindest- und den Höchstsatz, die FDP eine vereinfachte Beantragung mithilfe von KI. Die Linke schlägt nach der Geburt eines Kindes 28 Tage Elternzeit für den zweiten Elternteil vor, damit die Sorgearbeit in einer Familie vom ersten Tag an gerecht verteilt werden kann.
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