Der erste Rückblick auf 2020: Us and them
Das Jahr geht langsam zu Ende. Zeit für eine entscheidende Frage: Sind Sie im Team „Macht und Geld“ oder im Team „Kunst und Liebe“?
S chon wieder ist die Vorweihnachtszeit da, auch dieses Jahr geht in die letzte Runde, ein Jahr wie keines vorher und doch auch so wie alle anderen. Im Frühjahr war die Sehnsucht spürbar, unter dem Eindruck der pandemischen Erschütterung, ich will nicht sagen: sein Leben in ganz großem Stil zu ändern, aber doch zumindest manche Dinge wirklich anders anzugehen. Nicht unter Zwang, freiwillig und selbstbestimmt. Aus dem Gefühl heraus, dass die Zeit dafür gekommen sei.
Was mich betrifft, so muss ich melden: Nix war’s. The same procedure as every year.
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„We were all going to change our lives“, heißt es in Jay McInerneys Boomer-Roman „Bright, Precious Days“ mit Bezug auf Nine Eleven, „and in the end we’re the same shallow, grasping hedonists we used to be.“ Selbst wenn man sich mit belastbaren Daten nicht für „grasping“, also raffgierig halten muss, so ergibt sich daraus im Einzelfall das reale Problem, wie man seinen Lebensstandard halten soll, wenn man nichts gerafft hat.
McInerneys Hauptfiguren Corrine und Russell haben die Leute in zwei Gruppen eingeteilt: Auf der einen Seite Macht und Geld, auf der anderen Kunst und Liebe. Während ihre Freunde umsichtig ihr Geld vermehrten, waren sie Kunst und Liebe, genauer gesagt Bücher und Weltrettungsnische.
Es ist der Kern dessen, was sie zu sein glauben und worauf sie stolz sind: Dass sie nicht Macht und nicht Geld sind. Aber nun sind sie in ihren Fünfzigern, können sich Manhattan nicht mehr leisten, und die Welt ist auch kein bisschen gerettet.
Was ich sagen will: Es gibt Gründe, warum wir unser Leben nicht ohne Zwang ändern. Weil wir es nicht können. Weil der Alltag stärker ist, näher ist, bequemer ist. Und es gibt Gründe, warum wir die Welt nicht retten: weil das ein maßloses Geschwätz ist, das zeigt, dass wir es nicht ernst meinen mit Veränderung. Und es gibt Gründe, sich zu fragen, was der grundsätzliche Fehler ist im Rechtfertigungsmanifest des eigenen Lebens. Wenn es einen gibt und wenn man Lust darauf hat und bereit dafür ist.
Mein Fehler war die Aufteilung der Welt in zwei Teams. Das eigene – und das gegnerische. Us and them. Der nächste Fehler war, auch noch daran zu arbeiten, dass das eigene Team aus viel weniger Leuten bestehen muss.
Aber der allergrößte Fehler war das, worauf wir immer so stolz waren in unserer Selbstbezogenheit, also „Macht und Geld“ dem anderen Team zuzuteilen. Da braucht man sich nicht zu wundern, dass man nur zuschauen kann, wenn man den anderen Macht und Geld überlässt. Und vor allem: die Politik, also die Führung und Gestaltung des Gemeinsamen.
Mir tun meine armen Boomer-Ohren weh, wenn ich die Klimaaktivistin Carola Rackete von einem hessischen Baum herunter populistische Predigten halten höre, in denen der „Widerstand“ zur höchsten Tugend erklärt wird und sie die Leute aufteilt in die „Vernünftigsten von allen“, die die „Systeme zum Anhalten“ bringen – und die „Irrationalen“, also die bösen Eliten und die blöden anderen.
Diesen Hochsitz kann man selbstverständlich besetzen, ich saß selbst lange genug oben. Aber damit kann man weder die Mehrheitsgesellschaft gewinnen noch die Zukunft.
Wer sozialökologische Zukunftspolitik voranbringen will, der muss die „Us and them“- und Entweder-oder-Lager aufgeben, den Symbolpolitikfetischismus überwinden, und er muss die Illusion aufgeben, er sei im Widerstand, während er in Wahrheit nur seine Machtlosigkeit manifestiert. Wer Change will, muss Boomer und Junge Leute zusammenbringen und dazu die drei großen Changemaker nutzen: Geld, Macht, Politik.
Und er muss es lieben.
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