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Der Wert von SystemrelevanzBesonders wichtig, mies bezahlt

Wie kann es sein, dass die Arbeit derjenigen, auf die wir in diesen Krisenzeiten am wenigsten verzichten können, uns – finanziell – so wenig wert ist?

Auch in der Corona-Krise weiter im Einsatz: Altenpfleger*innen Foto: dpa

Liebe taz-Leser*innen, Ihnen kann ich es ja verraten: Es gab hier bei uns in der Redaktion ein paar Leute, die ganz schön beleidigt waren, als Journalist*innen NICHT ausdrücklich auf der Liste der „systemrelevanten Berufe“ des Berliner Senats standen. Dabei haben wir als tazler*innen ja quasi einen systemimmanenten Abstand zu diesem Dings namens System – aber darum soll es hier eigentlich nicht gehen.

Sondern darum, wer AUF der Liste steht – und damit bisher noch am üblichen Ort arbeiten darf (oder muss) und dafür Kindernotbetreuung erhält. Das sind vor allem Beschäftigte in der Alten- oder Krankenpflege, im pädagogischen Bereich, bei der Müllabfuhr, der Energie- und Wasserversorgung, bei Feuerwehr und Polizei, in Behörden und den Verkehrsbetrieben.

Fällt Ihnen etwas auf? Es sind unter diesen JETZT ganz besonders wichtigen Berufen ganz viele, die wir STETS ganz besonders schlecht bezahlen: Busfahrer*innen etwa, Schutzpolizist*innen, Erzieher*innen, Altenpfleger*innen, um nur ein paar aufzuzählen.

Auch da könnte die Coronakrise nachdenklich machen. Wie kann es sein, dass die Arbeit derjenigen, auf die wir in diesen Krisenzeiten am wenigsten verzichten können, uns – finanziell – so wenig wert ist?

Das gilt auch noch für einige andere Berufe, die nicht auf der Liste stehen, aber dort (hoffentlich!) unter dem Punkt „Infrastruktur und Grundversorgung“ subsumiert sind: Was würden wir gerade jetzt ohne die Beschäftigten in den Supermärkten tun? Ohne die Bot*innen, die uns bringen, was wir in den geschlossenen Läden nicht mehr kaufen können? Ohne die Leute, die die Büros, in denen viele von uns (auch hier bei der taz) immer noch arbeiten, und die Kitas, in denen manche unserer Kinder derzeit notbetreut werden, abends oder morgens von uns meist ganz unbemerkt reinigen?

Ist das fair?

Lauter Berufe oder auch nur Jobs, die schlecht bezahlt sind und zudem häufig prekär, also ohne Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung als Mini- oder Honorarjobs ausgeübt werden. Ist das fair?

Nein. Es sollte uns, die von dieser Arbeit profitieren und, wie wir jetzt merken, ohne sie nicht überleben können, beschämen. Und es sollte die, die diese Jobs (meist mit One-Way-Ticket in die Altersarmut) gerade jetzt so ausdauernd ausüben, aufbegehren lassen: Von Balkonen beklatscht werden ist schön, auskömmliche Löhne machen es aber noch viel schöner.

PS: Just während dieser Text verfasst wurde, kam die Nachricht, dass auch Journalist*innen die Notbetreuung für ihre Kinder beanspruchen können. Auch wir fallen in der besagten „Liste der systemrelevanten Berufe“ unter den Punkt „sonstiges betriebsnotwendiges Personal der kritischen Infrastruktur und der Grundversorgung“. Na, ob das den gekränkten Kolleg*innen jetzt besser gefällt – von der Regierung als „systemrelevant“ eingestuft zu werden? Oder sind sie jetzt etwa noch beleidigter? Kopf hoch, Kollegen: Immerhin kommt ja das Wörtchen „kritisch“ in der Einstufung vor.

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4 Kommentare

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  • Die miese Bezahlung ist also systemrelevant.



    Aha!



    ---

  • Also für die echt grundlegenden, systemrelevanten Arbeiten hatte man früher traditionell die Frauen der Familie. Die wurden gar nicht bezahlt. Und im ollen Rom hatte man für „Infrastruktur und Grundversorgung“ die Sklav*innen. Die wurden sogar ausgepeitscht. Nicht mal das Herdfeuerchen hätte man ohne sie angekriegt, aber ---- je fundamentaler die Tätigkeit, als desto niedriger wird sie auch angesehen! Zählen tut nur der Überbau.

  • Und schwupp werden Scheuklappen weggerissen, von einem Ding der Größenordnung "Nano"...



    Genau die Berufe in denen es von Idealisten & Weltverbesserern nur so wimmelt.



    Deren Berufe nicht selten mit "lerne fleissig, sonst endest du noch so!" beschrieben werden.



    Die abfällig angeschaut werden, weil sie plötzlich an einer "Modekrankheit" wie Burn-Out, wenn dann doch mal das Ende erreicht ist.

    Da auch ich zu den Idealisten gehöre... vielleicht hat dieser vergessene Bereich der Wirtschaft - auch wenn er oft genug erst nach Jahren und/oder indirekt die Wirtschaft unterstützt und im wahrsten Sinne des Wortes am laufen hält - ja jetzt eine Chance auf Unterstützung seinerseits.

  • Nur wo Idealismus am Werk ist, machen knappe Mittel wirklich Sinn.



    Ein paar erhellende Worte von Georg Schramm dazu:



    youtu.be/VDXD0L2duLs