Der „Vatertag“ wird 2020 noch gruseliger: Bierfass im Garten
Es gibt überhaupt keinen „Vatertag“, brachte mir meine Mutter bei. Denn was feiern diese „Väter“ eigentlich? Sich selbst? Indem sie sich betrinken?
J edes Jahr, wenn es auf Himmelfahrt zugeht, bin ich etwas gereizt. Dieses Gefühl sprießt in mir als eine alte Erfahrung, die sich nicht vollständig auslöschen lässt. Sie ist von unserer Mutter auf mich übergegangen.
Als wir Kinder waren, trug unsere Mutter diese Gereiztheit in Erwartung dieses Feiertages vor sich her, wie eine Krankheit, und in unterschiedlichsten Nuancen, auch Schwermut und Resignation. Sie versuchte nicht, unseren Vater von etwas abzuhalten, das hätte sie auch nicht gekonnt. Aber sie trug diese Stimmung mit sich herum, hatte diesen Ausdruck im Gesicht, was auch ihn dann, schon im Voraus, ziemlich reizte. So war die Situation bei uns zu Haus am Vorabend des sogenannten „Vatertages“ äußerst angespannt.
„Es gibt überhaupt keinen Vatertag“, brachte uns unsere Mutter damals bei. „Diesen Tag haben sich die Männer für sich erfunden.“ Wenn es dann doch einen scharfen Wortwechsel zwischen unseren Eltern gab, weil unsere Mutter mal wieder ihre Schnauze nicht halten konnte, dann kam dabei heraus, dass unsere Mutter der Überzeugung war, dass unser Vater sich nur sinnlos besaufen wolle, und unseres Vaters Vorwurf war, sie würde ihm nicht gönnen, dass er auch mal ein bisschen feiern wolle.
Diese „Feiertage“ verliefen unterschiedlich. Es kam vor, dass unser Vater tatsächlich nur angetrunken und gar nicht so spät nach Hause kam und unsere Mutter schnapsselig umarmte, was sie sofort sehr glücklich machte. Es konnte aber auch tragisch verlaufen, und davon will ich hier nicht berichten. Später schwor unser Vater dieser Tradition dann ab und feierte den „Vatertag“ mit der Familie.
ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Wie wird die Polizei reagieren?
Ich weiß nicht aus Erfahrung, wie es heute in den durchschnittlichen, deutschen Familien ist. Ich war noch nie mit einem Mann zusammen, der den „Vatertag“ feierte. Ich kenne keinen Mann, der so etwas tut.
Gibt es auch heute viele Frauen, die diesen Feiertag fürchten? Gibt es in vielen Familien diesen späten Feiertagsabend des Hasses und der Gewalt? Das Entsetzen der Kinder, die Angst und die Scham, über einen Vater, der sein Urinieren nicht mehr im Griff hat? Und was feiern diese „Väter“ eigentlich? Sich selbst? Indem sie sich betrinken? Und soll dieser Tag wirklich das Pendant zum Mutter- oder Frauentag sein? Und warum sehen wir dann an diesen Tagen keine grölenden, besoffenen Frauen in Rudeln im Park herumziehen?
In Hamburg ist eben gerade ein sechstes Frauenhaus eingeweiht worden. Und die Plätze reichen immer noch nicht aus. Die Corona-Isolation hat die Situationen in den Familien verschärft. Das Beisammensein fördert nicht jede Familienharmonie. Arbeitslosigkeit und fehlendes Geld noch weniger. Wie wird sich dieser Feiertag, der eigentlich das Fest zur Himmelfahrt Jesu ist, in diesem Jahr ausgehen, wie der Österreicher sagt?
Das Herumziehen mit dem Bollerwagen dürfte, aufgrund der Hygieneregeln, nicht erlaubt sein. Große trinkende Gruppen auf Wiesen, das sollte eigentlich nicht gehen. Aber wird die Polizei, die immer mehr überfordert ist, diese Verstöße alle zu erfassen und dagegen vorzugehen, an diesem Tag der Aufgabe gewachsen sein? Werden enttäuschte Männer in gefährdeten Familien zu Hause trinken und Konflikte erst recht explodieren?
Im Landkreis Aurich ist das Ausschenken von Alkohol am „Vatertag“ verboten worden. So sollen die Massen von den Biergärten ferngehalten werden. Die Dehoga will dagegen vorgehen. Wir werden sehen, wer gewinnt.
In den Kommentaren zu solchen Meldungen kann man erfahren, was der Vatertag feiernde Mann dazu denkt. Er fühlt sich gegängelt und in seiner Freiheit, sich überall betrinken zu können, beraubt. Aber er ist fest entschlossen, das Bierfass im Garten aufzustellen. Dort könne man schließlich machen, was man wolle. Und so stelle ich mir das auch ungefähr vor. Dass die Männer in diesem Jahr weniger herumziehen, sondern mehr zu Hause trinken. Ob es sinnvoll ist, den gebeutelten Restaurants an einem Feiertag, den auch Familien immer mehr für einen Ausflug nutzen, den Ausschank zu verbieten, will ich zumindest anzweifeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren