: Der Untergang ist möglich
Gegen den Vertrag von Nizza votieren Grüne, Konservative und die Partei der IRA. Doch sie haben unterschiedliche Gründe
aus Dublin RALF SOTSCHECK
Je mehr die Iren über den Vertrag von Nizza erfahren, um so weniger wollen sie ihm zustimmen. So zeigt eine neue Meinungumfrage, dass in der letzten Woche die Akzeptanz für Nizza von 52 auf 45 Prozent gefallen ist. 28 Prozent der Iren gaben an, den Vertrag, mit dem die EU fit für die Osterweiterung gemacht werden soll, beim heutigen Referendum abzulehnen. Da 27 Prozent nach wie vor unentschieden sind, könnten die EU-Gegner den Vertrag zum Scheitern bringen.
Irland ist das einzige EU-Land, in dem das Volk über den Vertrag von Nizza abstimmen darf. Lehnen die Iren ihn ab, müsste er neu verhandelt werden – ein Albtraum für die 15 EU-Staaten, die sich erst nach zähen Verhandlungen beim EU-Gipfel in Nizza im Dezember auf die jetzige Version geeinigt haben. Der konservative Premier Bertie Ahern warnt: „Durch die Ablehnung würden wir lediglich eine vorübergehende Krise heraufbeschwören und uns als Nation unsterblich blamieren.“
Die Gegner des Vertrags kommen aus verschiedenen Richtungen. Konservative Organisationen befürchten, dass nach der Osterweiterung viele Fabrikjobs aus Irland abgezogen und in die neuen Billiglohnländer verlegt werden. Das mag sein, argumentieren die Befürworter, aber dafür könne man tschechische und polnische IT-Experten nach Irland locken, wo sie knapp sind.
Die Grünen, Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, sowie ein Anti-Nizza-Bündnis sind gegen den Vertrag, weil Irlands Neutralität auf dem Spiel stehe. Die Dubliner Regierung will 850 Soldaten für die 60.000 Mann starke Rapid Reaction Force, den Vorläufer einer europäischen Armee, stellen. Die Regierung behauptet zwar, sie werde die Teilnahme ihrer Soldaten nur an solchen Einsätzen zulassen, die von den Vereinten Nationen abgesegnet sind, doch was von solchen Versprechen zu halten ist, hat sich bei Irlands Beitritt zur Partnership for Peace der Nato gezeigt: Die Regierung hatte ein Referendum versprochen, dann aber selbst entschieden.
Die drei größten irischen Parteien haben die Wähler aufgefordert, dem Vertrag von Nizza zuzustimmen. Ihre Kampagne ist jedoch erstaunlich inhaltsleer: „Ja zu Europa“, heißt es bei den einen, „Für eine bessere Zukunft“ bei den anderen. Meistens konzentrieren sie sich auf die Schelte der Nizza-Gegner. Sie seien „Hilfskolonnen der Tory-Euroskeptiker und besessen von altmodischen Konzepten der Souveränität“, sagte etwa Premier Ahern. Für Sinn Féin hat er nur Sarkasmus übrig: „Ich bin natürlich schwer beeindruckt von Sinn Féins Ablehnung des Militarismus. Das muss eine jüngere Entwicklung sein.“ Ahern behauptet sogar, die Nizza-Gegner würden von englischen europafeindlichen Organisationen finanziert.
Dabei klangen EU-Äußerungen der Regierung vor kurzem noch ganz anders. Im September hatte Vizepremierministerin Mary Harney in einer Zeitung geschrieben: „Irland steht geistig Boston näher als Berlin. Unser wirtschaftlicher Erfolg ist mehr dem amerikanischen Liberalismus zu verdanken als der europäischen Linkspolitik.“ Ministerin Síle de Valera: „Direktiven aus Brüssel können oft negative Auswirkungen auf unsere Identität, Kultur und Tradition haben.“ Und Labour-Chef Ruairí Quinn sagte, einige Aspekte des Vertrags von Nizza seien „eine Katastrophe und ein Rückschritt“.
Als die Europäische Kommission im März Irland wegen des neuen Haushaltsplans rügte, wurde der Anti-EU-Ton noch schärfer. „Ich hoffe, jeder trägt jetzt das grüne Nationaltrikot und hält zusammen, um unseren Wirtschaftserfolg gegen die EU zu verteidigen“, sagte Harney. Und sowohl Ahern als auch der inzwischen entmachtete Oppositionsführer Bruton bezeichneten das irische Anrecht auf einen EU-Kommissar als „eine nicht verhandelbare Bedingung für unsere Teilnahme an der EU“. Der Nizza-Vertrag aber schafft dieses Anrecht ab und reduziert den Anteil irischer Sitze im Europäischen Parlament. Darüber hinaus sollen viele Fragen künftig durch eine „qualifizierte Mehrheit“ entschieden werden. Drei große EU-Länder könnten also den Rest überstimmen. Davon ist in der Kampagne der großen Parteien keine Rede.
Doch sind sie zumindest beunruhigt. „Ich mache mir Sorgen, dass das Referendum eine knappe Angelegenheit werden könnte“, sagte Oppositionsführer Michael Noonan. „Ich denke, es könnte sogar verloren werden.“ Wenigstens die beiden anderen Punkte, die ebenfalls heute entschieden werden, sind unumstritten: die Schaffung eines europäischen Kriminalgerichts und die Abschaffung der Todesstrafe in Irland.
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