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„Der Reichsbürger“ im Bautzener Theater DziwadłoGeschickt gestellte Fallen

Der Monolog der Dramatiker Annalena und Konstantin Küspert kommt in Bautzen auf die Bühne. Eine Vorführung von Verführbarkeit.

Marian Bulang spielt in Bautzen die Selbstdemaskierung des paranoiden Agitproppers Foto: Miroslaw Nowotny

Das Konzept des Autorenpaares Annalena und Konstantin Küspert und von Regisseur Stefan Wolfram geht auf in Bautzen. Im Theater Dziwadło lassen sie ihren „Reichsbürger“ das Publikum mit Scheinplausibilitäten und griffigen Fragen ködern. Etwa wie der nach der Vorläufigkeit des Grundgesetzes, das 1949 als Provisorium verabschiedet wurde. Zunächst bemerkt man bei seinem Monolog wenig von einem gefährlichen Neurotiker. Man nimmt den Typen erst einmal ernst. „Die Figur nicht von vornherein denunzieren“, beschreibt der Regisseur Wolfram seinen Ansatz. „Wir wollten nicht zeigen, was wir von Reichsbürgern halten, sondern unsere eigene Verführbarkeit vorführen!“

Als ein solcher Verführer tritt der wandlungsfähige, schlagfertige und enorm textsichere Marian Bulang rund eine Stunde der 70 Spielminuten auf. Mit dem Entertainment eines amerikanischen Missionspredigers auf bigotten Fernsehkanälen versucht er, das Publikum zu erobern. Immerhin ist er laut Textbuch ja zu einem Vortrag auf die Theaterbühne eingeladen worden. Folglich genügen ein Rednerpult, ein Sessel und ein kleiner runder Tisch als Ausstattung im Proszenium.

Zumindest bei einem Teil des Bautzener Premierenpublikums scheinen die charmant servierten drängenden Fragen auf Resonanz zu stoßen. „Die Fakten stimmen doch: Wir haben immer noch keine Verfassung“, äußert eine Besucherin mittleren Alters und findet, dass die angesprochene Kritik an der maroden Infrastruktur, an Unordnung oder der mangelnden Integration von Migranten viele Menschen bewegen.

Erst nach und nach begreift man, dass es sich bei der gefälligen Plauderei des „Selbstverwalters“, wie sich die die Geschichte und die real existierende Bundesrepublik Ignorierenden gern nennen, um geschickt gestellte Fallen handelt.

Lutz Hillmann wollte das Stück nach Bautzen holen

Im Februar 2018 kam das Stück von Annalena und Konstantin Küspert zuerst in Münster auf die Bühne. Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen, wollte es unbedingt sofort in die erzkonservative Lausitz-Hauptstadt holen. Da hatte Bautzen die Antiflüchtlingskrawalle auf der „Platte“ und ein brennendes geplantes Asylbewerberhotel hinter sich und Attacken gegen eine grüne Stadträtin, AfD-Erfolge, Querdenker und militante Impfgegner noch vor sich.

Die kommen zwar wegen der 2G+-Regel und auch sonst nicht ins Theater, wie ein Jugendlicher bemerkte. Aber dass eine solche Anregung für einen städtischen Diskurs unbedingt nach Bautzen gehört, fanden nicht nur junge Linksliberale im Premierenpublikum wichtig.

Das reagierte ungeachtet der Verführungskünste des glänzend aufgelegten Protagonisten überwiegend kritisch, ließ sich aber auch willig und teils amüsiert zum Mitmachen animieren. Beim Frage-Antwort-Spiel zur Verfassung einer echten Verfassung zum Beispiel. Es sparte aber auch nicht mit Hohngelächter, als der Reichsselbstverwalter dazu einlud, Geld bei ihm anzulegen. Die Gemeinwohlkasse Peter Fitzeks, des Hochstaplers, der sich „König von Deutschland“ nennt, aus Wittenberg, lässt grüßen.

Mit seinem Missionierungserfolg scheint dessen Bautzener Bühnendouble im Verlauf immer weniger zufrieden. Der „Selbstverwalter“ wird nervös, zieht ein gelbes Band um sein mit der Waffe zu verteidigendes „Reich“, beschimpft das Publikum, an dem er sich seit einer Stunde zunehmend vergeblich abarbeitet, bedroht es gar mit einer Pistole. Es wird laut! Wohlinszeniert will Intendant Hillmann den Gastreferenten von der Bühne jagen. Also doch Haltung gegenüber extremen Spinnern!

Diese dramaturgisch geschickt herbeigeführte Selbstdemaskierung des paranoiden Agitproppers verfehlt ihre Wirkung auf die Besucher nicht. Es sei bestürzend, wie viele dennoch an den Schwachsinn glaubten; man wisse jetzt besser, welchen Versuchern man nicht erliegen dürfte, hieß es hinterher im Foyer.

Man darf gespannt sein, wie die polarisierte Bautzener Stadtgesellschaft auf kommende Repertoirevorstellungen reagiert.

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