: Der Mann, der die Bomben liebte
■ Der Staatsanwalt wirft Franz Fuchs vorsätzliche Tötung vor. 28 Bomben soll der hochintelligente Eigenbrötler gebaut haben. Morgen beginnt in Graz sein Prozeß Aus Wien Ralf Leonhard
Der Mann, der die Bomben liebte
Hilfsbereit sei er: „Wenn jemand Hilfe braucht, dann helfe ich.“ So sieht sich der Mann, der sich zugleich nicht ohne Koketterie als „größten Verbrecher der Nachkriegsgeschichte“ bezeichnet.
Wer ist dieser Franz Fuchs, der drei blutige Anschläge mit Rohrbomben begangen und 25 Briefbomben versandt haben soll, aber beim Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein in Tränen ausbricht? Dem Prozeß, der morgen vorm Schwurgericht in Graz beginnt und ihn zur Mediendiva machen wird, sieht er offenbar mit Genuß entgegen.
Weil er so unscheinbar ist und seine nächtlichen Ausflüge, bei denen er die Briefbomben abgeschickt haben soll, so perfekt tarnte, war der 49jährige Sonderling den Kriminalisten nie aufgefallen. Sein gestörtes Verhältnis zum anderen Geschlecht war es schließlich, das ihn zu Fall brachte. Nicht die Rasterfahndung, die in Österreich am 1. Oktober 1997 legalisiert wurde, trieb ihn in die Enge, sondern zwei Frauen, die sich just an jenem Tag von einem Unbekannten im Auto verfolgt fühlten und die Polizei alarmierten. Von den Uniformierten gestellt, zündete er eine Bombe, deren Sprengkraft offenbar falsch dosiert war: statt ihn zu töten, riß sie ihm beide Hände weg.
Der älteste Sohn einer Bäuerin und eines Faßbinders aus dem südsteirischen Dorf Gralla war schon in der Kindheit durch seine Verschrobenheit aufgefallen. Sein IQ von 139 verhalf ihm zwar zu ausgezeichneten Noten am Gymnasium in der Kreisstadt Leibnitz, vor allem in Mathematik und Physik, doch beliebt war er nicht. An der Grazer Universität belegte er Theoretische Physik, denn sein Traum war, Atomphysiker zu werden. Hatte er nicht anläßlich der Matura im Lehrbuch zur Relativitätstheorie einen Fehler aufgedeckt? Doch nach einem halben Jahr gab er das Studium auf: „Weil ein Arbeiterkind nicht aufsteigen kann.“ Aber es waren wohl nicht in erster Linie Geldsorgen, die den Traum von der Karriere als Wissenschaftler beendeten, sondern die Konfrontation mit vielen gleich begabten Studenten.
Franz Fuchs verpflichtete sich zunächst für ein Jahr beim Bundesheer und ging dann nach Deutschland, wo er sich bei VW und Daimler-Benz als Fließbandarbeiter verdingte. Spätestens dort muß er Kenntnisse in elektronischen Bastelarbeiten erworben haben. Nach einem Diebstahl im Wohnheim konstruierte er eine Alarmanlage unter Verwendung einer „Ruhestromschleife“, deren Prinzip auch in den Briefbomben angewandt wurde.
1976, wieder daheim in Gralla, spielte Fuchs mit Selbstmordgedanken. Die Waffe lag schon bereit, der Abschiedsbrief war geschrieben, als die Eltern den lebensmüden Sohn in eine geschlossene Anstalt einweisen ließen. Der Psychiater, der ihn drei Wochen später entließ, erkannte ein „depressives Zustandsbild“.
Berufliche Erfolglosigkeit paarte sich mit Frust in der Liebe. „Ich bin für Frauen wohl zu wenig attraktiv“, heißt seine Selbsteinschätzung. Bis zuletzt wohnte er bei den Eltern. Als er als Dreißigjähriger bei einer 14jährigen Nachhilfeschülerin zu landen versuchte und nachts mit der Leiter unter ihrem Schlafzimmerfenster aufgetaucht war, verbot ihm die Großmutter des Mädchens den weiteren Umgang mit ihrer Enkeltochter und machte die unrühmliche Werbung zum Gegenstand des Dorftratsches. Fuchs ging mit einer Ehrenbeleidigungsklage gegen sie vor. Den Freispruch bekämpfte er mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter, in dessen Urteilsbegründung er logische und physikalische Denkfehler nachzuweisen versuchte.
„Zwanghafte Persönlichkeitsstörung: die Hauptmerkmale, nämlich Pedanterie, Streben nach Perfektion und Ausdauer, haben sich bei Fuchs immer wieder gezeigt“, heißt es in einem Gutachten, das das Wochenmagazin Profil zitiert. Fuchs' verquerer Gerechtigkeitssinn war damals noch nicht mit Ausländerfeindlichkeit gepaart. Bis zum Ende der Ära Bruno Kreisky im Jahr 1983 hatte er an der Politik nichts auszusetzten: „Da wurde jeder gleich behandelt, da gab es keine Ausnahmen.“ Unter Bundeskanzler Franz Vranitzky und insbesondere nach Ausbruch der Jugoslawien-Krise 1991 begann Fuchs jedoch eine zunehmende „Slawisierung des österreichischen Volkes“ zu beobachten. Vranitzky selbst, dessen Vorfahren vor 150 Jahren aus dem böhmischen Budweis zugewandert sind, verunglimpfte er in einem Bekennerbrief als „mit Speckrollen am Hals, mit Kongolippen“ ausgestatteten „Slawenhäuptling und Germanenfresser“. Unter seiner Regierung, so beschwerte sich Fuchs in einem Verhör, habe sich die Zahl der Österreicher, trotz sinkender Geburtenrate, von sieben auf acht Millionen erhöht. Eine Entwicklung, die er als „Umvolkung“ bezeichnet. Daß Vranitzky ein halbes Jahr nach dem Brief zurückgetreten sei, verbucht Fuchs als persönlichen Triumph: „Der Satz mit den Kongolippen hat ganz schwere Wunden beim Vranitzky hinterlassen. Dieser Satz hat mehr bewirkt als alle Bomben zusammen.“
Nein, rechtsextrem sei er nicht. Fuchs selber bezeichnet sich als „katholischen Fundamentalisten“, der den erzkonservativen Bischof Krenn bewundert. Die Neonazis Binder und Radl, die nach der ersten Briefbombenserie mit einer Ladung Waffen im Kofferraum aufgegriffen und lange Zeit als mutmaßliche Attentäter gehandelt wurden, sieht er als „dumme Buben“. Mit der Bajuwarischen Befreiungsarmee (BBA), die ihn beauftragt habe, hätten die beiden „nicht das geringste zu tun“. Die hohen Strafen für rechtsradikale Umtriebe bringen Fuchs jedoch auf die Palme: „Wenn man sich aber nicht mehr äußern darf und jeder, der gegen den Ausländerzuzug ist, gleich als Nazi bezeichnet wird und elf oder 15 Jahre riskiert..., dann ist es erforderlich, daß zu drastischeren Mitteln gegriffen wird.“ Diese Aussage erinnert an einen BBA-Bekennerbrief: „Und wenn aufs Schimpfen und aufs Töten die gleichen Strafen stehen, entscheiden wir uns für das Effektivere.“
Die BBA hätte ihn 1995 kontaktiert, gab Fuchs zu Protokoll. Er sei aber nur ein Mitarbeiter der Landesgruppe Steiermark. Die BBA bestünde aus acht Kampftrupps und einem Sekretariat. Sonst ließ er sich über die geheimnisvolle Organisation, von der die Staatsanwaltschaft überzeugt ist, sie sei nur ein Hirngespinst, nichts entlocken.
Hinter der Serie von Briefbomben, die er im Auftrag der BBA an prominente Fürsprecher des Ausländerzuzugs abgeschickt haben will, steht Fuchs voll und ganz. Aber Töten sei nie seine Absicht gewesen. Nachdem eine der ersten Briefbomben im Dezember 1993 dem damaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk die linke Hand zerfetzt hatte, hätte die BBA nachgefragt, warum die Bombe so stark ausgefallen sei.
Auch die vier Toten von Oberwart seien nicht eingeplant gewesen. Die Rohrbombe, die er zugab, am 4. Februar 1995 am Rande einer Roma-Siedlung im burgenländischen Oberwart deponiert zu haben, sei mit einer Zeitschaltung versehen gewesen. Daß vier Männer die Tafel mit der Aufschrift „Roma, zurück nach Indien“ entfernen und dadurch die Zündung auslösen würden, sei nicht geplant gewesen. Wenn im Verhör die Sprache auf die Toten von Oberwart kam, brach Franz Fuchs oft in Tränen aus: „Ich will den Tatort nicht sehen. Ich will die Tafel nicht sehen und auch die Toten nicht sehen.“
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