Der Hausbesuch: Die Mutmacherin von Trebatsch
Auch wenn Freund:innen fortziehen, Vanessa Oldenburg bleibt. In ihrem Heimatort hat die 25-Jährige jetzt einen eigenen Friseursalon eröffnet.
Es gibt immer eine Wendemöglichkeit. Davon ist Vanessa Oldenburg überzeugt.
Draußen: Trebatsch in der Niederlausitz, von der Hauptstraße geht eine Sackgasse ab, davor ein Schild mit der Aufschrift „Keine Wendemöglichkeit“. In der Kurve liegt eine Gaststätte, die Vorhänge sind zugezogen. Auf der anderen Gebäudeseite: zwei Türen. Rechts geht es in den Friseursalon, links zur Großmutter. Vanessa Oldenburg betritt das Haus. Drei Generationen wohnen hier.
Drinnen: Eine Couch mit Schaffell, die Fernsehzeitschrift aufgeschlagen, ein Schnellhefter beinhaltet „Wichtige Dokumente“. Asynchron ticken zwei Uhren, im Kachelofen ist das Holz schon aufgestapelt. Wahrscheinlich ist die Oma gerade auf dem Friedhof, sagt Vanessa Oldenburg und setzt sich auf den samtenen Sessel. Seit sie denken kann, kommt sie jeden Tag in ihre Stube. Heute ist sie es, die auf ihre Großmutter aufpasst. Auf dem Schrank mit dem Küchenservice steht das Schwarz-Weiß-Porträt ihres Opas.
Bleiben: Die 25-Jährige ist Friseurmeisterin. Doch obwohl sie eigentlich gerade Urlaub hat, fragen die Leute sie auf der Straße, ob sie ihnen nicht die Haare schneiden könne. Und Vanessa Oldenburg sagt Ja. So sei das hier in Trebatsch, sagt sie und faltet die Hände, „jeder hilft jedem“. Damals war sie froh, dass so viele aus dem Ort ihr geholfen haben, den Salon auszubauen. Sie ist eine, die nicht weggegangen ist, wie die anderen in ihrem Alter.
Leerstand: Wenn sie früher beim Kinderarzt war, bekam sie danach eine Wundertüte beim Einkaufsladen. Ihr Hund Timmy starrt sie mit dunklen Knopfaugen an, während sie davon erzählt. Jetzt gibt es keine Läden mehr, die Schule wurde abgerissen, auch der Fleischer, bei dem es Wiener gab, hat dichtgemacht: „Das hat sich hier alles nicht gelohnt auf dem Dorf.“
Familie: Wenn der Vater damals von der Arbeit heimkam, kellnerte Oldenburgs Mutter, bis der letzte Gast gegangen war. „Als Kind hatte ich nicht viel von meiner Mama.“ Bratkartoffeln und Eintöpfe kamen aus der Gasthofküche, in der die Großeltern arbeiteten. Schon der Uroma gehörte die Gastwirtschaft, sie hat Kriege miterlebt. Weil auch Bomben auf Trebatsch fielen, sei alles im Haus etwas schief.
Kevin: Timmy kläfft und rennt auf den Hof. „Mein Freund kommt“, sagt Oldenburg. Sie blickt auf die Uhr. Kevin ist um drei Uhr nachts los zur Arbeit und jetzt erst zurück. „Wir sind alle so. Wir arbeiten.“ Zusammen mit Oldenburgs Vater gießt er Estrichböden.
Liebe: Sie lernte Kevin beim Helene-Beach-Festival kennen. Eigentlich spielten sie nur Trinkspiele. Oldenburg war überrascht, dass er ihren Namen noch wusste, als er ihr später schrieb. Fünfmal treffen sie sich. „Es hat gepasst.“ In ihrer Beziehung sei sie die „Chaotische“, würde ihr Freund sagen, weniger leistungsstark als er, der auch nachts arbeitet. Manchmal würde sie dreimal überprüfen, ob das Bügeleisen aus sei. Draußen im Hof nimmt Kevin den Hund auf den Arm. Als sie sich kennenlernten, leitete er ein Fitnessstudio, aber es lief nicht gut. So was würde in Berlin viel besser funktionieren, glaubt er.
Heimweh: Sie waren auch mal in Venedig und auf Mallorca. Aber ihr Freund will nicht weg, er sage: Zu Hause gäbe es genug Arbeit. Ob sie Fernweh habe? Vanessa Oldenburg schüttelt den Kopf: „Wenn, dann habe ich Heimweh.“ Nur einmal war sie länger fort von Trebatsch, als sie 2018 zu Kevin in die Kreisstadt Fürstenwalde zog. „Nachts kamen die Menschen, die Drogen genommen haben.“ Bedrohlich die Geräusche der Randalierer aus dem Park. „Ich kannte das ja gar nicht.“
Loslegen: Vanessa Oldenburg wollte zurück in ihren Heimatort. Zielstrebig war sie schon immer: Statt aufs Gymnasium zu gehen, „das wäre eh zu schwierig gewesen“, machte sie eine Ausbildung als Friseurin. Die Meisterschule machte sie in einem Jahr in Vollzeit. Während ihre Freundinnen noch Lehramt studierten, verdiente sie schon Geld.
Umbau: Während der Pandemie machte sie sich selbstständig. Ihren ersten Salon eröffnete sie in einem alten Häuschen im Dorf, gleich neben dem Museum. Sie hatte den Salon samt Mobiliar von einer älteren Besitzerin übernommen. „Zum Probieren, ob es sich im Dorf lohnt.“ Als aber im maroden Häuschen immer wieder der Strom ausfiel, wusste sie: „Jetzt muss sich etwas ändern.“ Die geschlossene Gastwirtschaft kam ihr in den Sinn. Mit ihren Eltern zusammen überlegte sie, ob man die Wirtschaft nicht umbauen könne, um dort den Salon zu eröffnen. Die waren einverstanden.
Erinnerungen: In der Gartenlaube hüpft Timmy auf die Hollywoodschaukel, an der Wand hängen Rehgeweihe. Ein Radio, gestapelte Kassetten, darüber thronen Bierkrüge: „Alle noch aus der Wirtschaft.“ Auf dem Tisch aufgefächert liegen Fotos der Baustelle. Auf einem ist Vanessa Oldenburgs Mutter zu sehen, sie lächelt gequält. Oldenburg kann sich an den Moment noch genau erinnern, ihre Mutter habe an einem Gartenstuhl lehnend gefragt: „Wo ist denn dein Mann?“, ihre Antwort: „Pässe abholen, für den Urlaub.“ Dann wurde geknipst.
Tränen: Ihr Gesichtsausdruck auf dem Bild verrät, dass Urlaub für die Mutter damals undenkbar war. Schon als Kind arbeitete sie in der Gastwirtschaft, die kein Wochenende kannte und keine Rücksicht aufs Familienleben. Lohnt sich das, wenn man für eine einzige Person bis 23 Uhr hinter dem Tresen steht, musste sie sich irgendwann fragen. „Kam ja keiner mehr.“ Und erst recht nicht, als sie auch noch die Hauptstraße sperrten. Es war die schwerste Entscheidung der Mutter, die Gastwirtschaft zu schließen. Ihre Tochter sieht es anders: „Wenn es nicht funktioniert, dann muss man aufhören.“ Sie stellten das Mobiliar der Wirtschaft zum Verkauf ins Internet. Jedes Mal, wenn Interessierte auf den Hof kamen, protestierte die Oma. „Es sind oft Tränen geflossen“.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Überlastung: Vanessa Oldenburg arbeitete anfangs acht Stunden im Friseurladen und anschließend bis 23 Uhr auf der Baustelle. Bis sie merkte, dass sie sich nicht mehr freuen konnte. Grundlos musste sie losweinen. „Ich war nur noch eine Arbeitsmaschine.“ Sie hat vier Sitzungen bei einer Therapeutin. „Dann war es wieder gut.“ Nach einem Jahr bemerkte sie beim Spazierengehen, dass ihr wieder die schönen Bäume auffallen. Trotzdem: Sie zieht es weiter durch. Lieber jetzt etwas Stress, damit sie später keinen Stress mehr hat.
Aufbruch: Die Rollläden in der Wohnung sind jetzt hochgezogen, Oldenburgs Großmutter ist zurück, kommt in den Garten, lässt sich auf den Gartenstuhl plumpsen und tupft sich mit einem Taschentuch Schweiß von der Stirn. Sie blickt auf die Fotos auf dem Tisch: „Hoffentlich wird das so, wie du dir das vorstellst“, sagt sie zu ihrer Enkelin. Es könnte klappen: Das Auftragsbuch ist gut gefüllt. Mittlerweile hat Vanessa Oldenburg drei Angestellte.
Stippvisite: Im Salon duftet das frische Holz. Morgens komme die Oma immer durch die Hintertür, um den Kund:innen Kaffee anzubieten, „obwohl ich selbst eine Kaffeemaschine habe“. Dabei kontrolliert die Oma auch, ob die Orchidee vor dem Fenster gegossen ist.
Schweigepflicht: Auf den sechs Friseursitzen erzählten ihr die Kundinnen von ihren Sorgen: Steuern, der Krieg, die Trennungen. „Man hat ja Schweigepflicht“, aber es belaste sie trotzdem. „Alle sind schlecht gelaunt.“ Immer mehr hätten mit ihrer Psyche zu tun. Oldenburg fühlt sich manchmal wie eine Dorf-Therapeutin. Tipps habe sie nicht: „Ich habe ja auch keine Ahnung.“ Sie sagt dann nur: „Sehen Sie es doch einmal anders“, und versucht, Mut zu machen. Diskutieren will sie nicht, „jeder darf ja seine Ansichten haben“.
Gemeinsam: Ihre Freizeit verbringt Oldenburg mit Älteren, denn „in meinem Alter gibt’s hier sonst niemand mehr“. Jetzt, da es keine Gaststätten mehr gibt, trifft man sich zu Hause. Vanessa Oldenburg ist so gut wie nie alleine. Wenn sie nur eine Nacht von ihrem Freund getrennt ist, schließt sie die Türe ab: „Es ist schon schlimm, wenn man einsam ist.“ Kevin läuft über den Hof. Ohne Pause geht es für ihn weiter, auf der Baustelle hinter dem Friseursalon.
Ausblick: Vieles wird so bleiben, wie es ist, „sonst kippt die Oma um“, sagt sie. Die nächste Baustelle, die ansteht, ist das Dachgeschoss, mit der Treppe, die zu steil ist für die Großmutter. Vanessa Oldenburg will, dass sie ihre Kinder später mal vom Salon aus beim Umherrennen beobachten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit