Der Hausbesuch: Aus Kuba in die DDR
Marcos Simpson kam 1979 als Vertragsarbeiter aus Kuba in die DDR. Nur vier Jahre sollte er bleiben, doch er verliebte sich. Das war nicht vorgesehen.
Er ist Deutscher und Kubaner. Und ein Familienmensch. Aber vor allem ist Marcos Simpson überzeugter Schweriner.
Draußen: Seit den sechziger Jahren steht weithin sichtbar der Schweriner Fernsehturm in Neu Zippendorf, wo die Simpsons wohnen. Es ist ein Ortsteil der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns. Die Aussichtsplattform des Turmes ist seit Jahren geschlossen. Die Plattenbauten drum herum wurden für die Arbeiter im damaligen Industriegebiet Schwerin Süd gebaut. Die Gegend gilt heute als sozialer Brennpunkt. Es ist nicht weit zum Zoo, zu den schönen Villen und zum Badestrand am Schweriner See.
Drinnen: Es riecht nach Farbe. Vor nicht langer Zeit haben die Simpsons renoviert. Im Wohnzimmer steht frisch gebrühter Kaffee auf dem Tisch. Ein bunter Bildband, eine Muschel und ein paar Kleinigkeiten erinnern an Kuba, Marcos Simpsons Herkunftsland. Auch ein Schwar-Weiß-Porträt von Che Guevara gehört zu den Erinnerungsstücken. Doch seit der Renovierung steht es im Keller. „Träume verändern sich“, sagt Simpson.
Rente: „Mit der Arbeit ist jetzt Schluss.“ Marcos Simpson lehnt sich im Sessel zurück. Seit September ist der 65-Jährige in Rente. „Ich muss nicht mehr früh aufstehen. Das ist schön. Aber ich fühle mich nicht wie ein Rentner.“ Seine Tochter hat ihn fest verplant. „Ich sollte mich um meine Enkel kümmern und dies und das für sie machen.“ Er hat sie gebremst und gesagt, er wolle nun Zeit für sich und seine Petra haben.
Ein Auskommen haben: Nach mehr als 40 Arbeitsjahren kriegt er 980 Euro Rente. Zu wenig für große Sprünge. Zusammen mit der Rente seiner Frau kommen sie über die Runden. Die Ersparnisse stecken in der Renovierung der Wohnung. „Marcos ist nicht der Typ, der das Geld zusammenhält. Er gibt aus, was da ist“, sagt Petra Simpson. Zum Beispiel für den Geburtstag eines guten Freundes in Kuba: Eine Kiste Bier, 3,5 Kilogramm Fleisch, eine Flasche Rum und Coco-Cola hat er auf einer spanischsprachigen Internetseite bestellt, für 130 Euro. Am nächsten Tag wurden die Sachen in Havanna an der Haustür abgeliefert. Nur die Torte brauchte länger. Die musste erst gebacken werden.
Kuba: „In kubanischen Geschäften findest du diese Sachen nicht“, sagt Simpson. Er ist gut informiert über die Situation in dem Karibikstaat. Dort fehlt es an vielem, oft auch an Lebensmitteln. „Wie kann es sein, dass private Restaurants bessere Gerichte anbieten können als die staatlichen? Es gibt keinen Großhandel. Weil es einen Schwarzmarkt gibt.“ Er fragt sich, ob nicht vielleicht der Staat an dem Schwarzhandel mitverdient. Auch anderes wurmt ihn. „Es war und ist immer möglich, in Kuba eine gute Ausbildung zu machen. Aber wie kann es sein, dass ein Arzt lieber an der Bar eines Touristenhotels Getränke mixt, statt in einer Praxis zu arbeiten?“ Von 100 Ingenieuren wollten 80 das Land verlassen. „Da stimmt doch etwas nicht.“ Wenn Marcos Simpson über die Lage in Kuba spricht, hört man Enttäuschung heraus.
Bruderländer: Er selbst hat Kuba früh verlassen. Mitte der siebziger Jahre war er im Einsatz für die kubanische Armee in Angola. „Da waren sie alle. Wir haben die Truppen gestellt, die DDR hat Fahrzeuge und Lebensmittel geliefert und die Russen Waffen.“ Den 27. Mai 1977 werde er nie vergessen. „Es gab einen Putschversuch, und die Angolaner in meiner Kompanie sind einfach abgehauen. Du wusstest nicht mehr, wer auf deiner Seite ist und wer nicht. Ich stand plötzlich alleine da.“
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DDR: Nach einem Urlaub in Kuba geht es für den jungen Simpson als Mitglied einer sozialistischen Brigade zur Ausbildung als Zerspanungsmechaniker ins Kombinat VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge. Am 24. Dezember 1979 kommt er im Alter von 22 Jahren in die DDR. Vier Jahre soll er bleiben, das ist der Plan.
Die Liebe: An manchen Wochenenden fährt er mit Kollegen zum Tanzen nach Schwerin. Der Abend des 30. Mai 1980 verändert sein Leben. Beim Erzählen leuchten seine Augen. Im Klubhaus des Schweriner Kabelwerkes trifft er auf die „kleine Blonde“. Sie, seine Petra. Eine Liebe, die im Plan nicht vorgesehen war.
Kinder: Tochter Danjela kommt 1981 zur Welt. Marcos Simpson gehört zu den Besten seiner Brigade und darf seinen Aufenthalt um drei Jahre verlängern. Mit den Zwillingen Marco und Roberto wird die Familie noch mal größer. Doch ganz legal gemeinsam zu leben ist nicht möglich. Simpson stellt einen Antrag auf Übersiedlung in die DDR. Dem wird nicht stattgegeben. Nach den sieben Jahren, die ihm zugestanden wurden, muss er zurück nach Kuba.
Der Trick: Zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen beschreitet Petra den Rechtsweg. „Das war ein Trick. Von Kuba aus konnte ich die Alimente niemals zahlen“, sagt Simpson. Und so kann er zum Geldverdienen wieder zurück in die DDR. Die Laufereien führen das Paar bis in das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. „Sechs Monate haben wir auf den Termin bei der Sekretärin von der Sekretärin von DDR-Außenminister Oskar Fischer gewartet“, erzählt er. „Nach ein paar Minuten sagt sie zu mir: Sie sind kein Bürger der DDR, mit Ihnen spreche ich nicht mehr.“ Die Situation sei absurd gewesen. Als wolle der Staat die Liebe leugnen und Familie verhindern. Weil die Sekretärin immerhin noch mit seiner Frau spricht, kann er irgendwann dauerhaft bleiben. 1989 heiratet er seine Petra.
Spitzel: Nach dem Besuch im Außenministerium taucht überraschend ein neuer Kollege im Betrieb auf, der sich sehr für Marcos Simpson und seine Ansichten zum Weltgeschehen interessiert. Ein Spitzel? „Man musste vorsichtig sein“, sagt Simpson. Trotzdem: In seine Stasi-Akte schaut er nicht.
Zwei Seiten: „Damals holte ich mir, wenn ich nach Berlin fuhr, gelegentlich eine kubanische Zeitung, die Granma. Die war zwar drei Wochen alt, aber über die Nachrichten von zu Hause freute ich mich wirklich“, erinnert er sich. Was heute in Kuba los ist, bringt die Satellitenschüssel auf dem Balkon in die Schweriner Platte. Das Programm des Senders Cubavision kommt aus Havanna. TV Martí, ein US-amerikanischer Rundfunksender, der sich speziell an die kubanische Bevölkerung richtet, sendet aus Miami USA. „Die einen sagen so, die anderen sagen so. Da ist es besser, beide Seiten zu hören und sich ein eigenes Bild zu machen.“
Wende: Die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze erlebt Marcos Simpson bei der Arbeit in der Halle der Schweriner Hydraulikwerke. „Willst du mit?“, fragen die Kollegen. „Die Mauer ist auf.“ Er bleibt. Und steht plötzlich allein in der Halle. Er habe seine Teile weitergemacht und sei zum Feierabend nach Hause gegangen. „Für mich war das nicht so aufregend. Der Sozialismus hier war besser als der in Kuba. Die Kinder waren klein, ich hatte, was ich brauchte, und war zufrieden mit meinem Leben. Das bin ich heute auch noch.“ Bis zu seiner Rente arbeitet Simpson bei „Hydraulik Nord“ in Parchim.
Rückkehr: 2017 reist Simpson nach fast 20 Jahren zum ersten Mal wieder nach Kuba. „Ich bin in Matanzas geboren. Da steht die Wiege der kubanischen Musik, und niemand glaubt mir, dass ich keine Musik machen kann.“ Seit mehr als 20 Jahren ist er jetzt deutscher Staatsbürger und gleichzeitig Kubaner. Die kubanische Staatsangehörigkeit kann man nicht aufgeben. Wie er auch die kubanische Lebensart nicht aufgeben will. „Für mich ist es immer noch fremd, dass man sich in Deutschland erst mit Freunden und Nachbarn verabreden muss. In Kuba stehen die Türen offen, man kommt vorbei.“ Trotzdem, der Urlaub in seinem Herkunftsland ist anstrengend, die Erwartungen an den Freund aus Deutschland sind hoch. „Jeder will etwas. Das wurde mir zu viel. Ich fahre jetzt lieber an die Ostsee in Urlaub.“
Fremd, dort und hier: Simpson und seine Familie leben schon lange in Schwerin. Sie haben erlebt, wie der „Berliner Platz“ mithilfe von Kubanern gebaut wurde. Es sei doch ein Geben und Nehmen, sagt er. Aber immer wieder treffe er auch auf Leute, die nicht sehen wollten, dass man nur zusammen weiterkomme. „Vor einiger Zeit steige ich auf dem Parkplatz bei Kaufland aus dem Auto, und ein junger Mann sagt zu seiner Tochter: ‚Guck mal, so leben die Asylanten von unserem Geld‘“, erzählt er. „Der kennt mich doch überhaupt nicht.“ Hinter jedem Menschen stecke eine besondere Geschichte. „Es wäre schön, wenn man die mehr hören könnte. Das wäre auch besser für die Integration.“
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