Der Hausbesuch: DDR auf Japanisch
Shinya Ishizaka wohnt seit zwei Jahren in Dresden. Auf Flohmärkten sucht er regelmäßig DDR-Sammlerstücke für den Onlineshop seiner Mutter.
Draußen: Über dem Hauseingang ist ein Relief in den Stein gehauen. Eine Meerjungfrau und ein Meermann schweben rechts und links eines bauchigen Gefäßes, aus dem dicke, mit Früchten behangene Ranken sprießen. Das Haus selbst ist weniger schmuckvoll: hellbrauner Putz, bröckelige Steinstufen, und Fensterrahmen, von denen der schmutzig-grüne Lack abblättert. Vor dem Altenheim gegenüber lehnen rauchende Pflegekräfte an der Wand. Nebenan steht das frisch renovierte und noch eingerüstete Kulturforum, ein Treffpunkt für Kunstinteressierte und Künstler*innen. Gerade bearbeiten Frauen und Männer im Hinterhof große Holzblöcke. Sonst ist es ruhig in der Straße im Dresdner Stadtteil Friedrichstadt.
Drinnen: Die Holzdielen knarren bei jedem Schritt, im Flur steht ein Wäscheständer, vom Hirschgeweih an der Wand baumelt ein Kleiderbügel. Die Küche ist typisch WG: zusammengewürfeltes Mobiliar, überquellende Regale und eine durchgesessene Couch mit Stoffüberwurf. Auf dem Tisch stehen japanische Süßigkeiten auf einer hellblauen, weiß gepunkteten Wachstuchdecke. Shinya, 29 Jahre alt, wohnt in einem von drei Zimmern. Es ist sein Lagerraum: Geschirr, Wecker, eine zerbeulte Brandt-Zwieback-Blechdose. Zwei große Teddybären sitzen in einer Ecke auf einem Karton. „Nagasaki/Miyazaki“ ist in schwarzen Buchstaben auf die Pappe gedruckt.
Abenteuer: „Mir war es egal, wohin ich fliege“, sagt Shinya über seine Entscheidung, Japan vor zwei Jahren zu verlassen. Er habe ein Abenteuer gesucht, wollte seine Jugend genießen und nicht wie eine Maschine leben. Vier Jahre lang hat er nach seinem Archäologiestudium einen Lötroboter in einem Toyota-Werk bedient. Der Job brachte ihm ein gutes Gehalt, mehr aber auch nicht. „Ich habe mir gesagt, du musst dein Leben verändern“, erzählt Shinya. Das sei schwer gewesen, aber er war mutig.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
ドイツ民主共和国: Das ist die japanische Bezeichnung für DDR. Ohne die DDR wäre Shinya nicht nach Dresden gekommen. Seine Mutter hat einen Onlineshop für Antiquitäten aus aller Welt. Sie wohnt in Toyokawa, einer Stadt mit knapp 200.000 Einwohnern, 300 Kilometer südwestlich von Tokio. Hier ist Shinya geboren und aufgewachsen. Es war seine Mutter, die ihm vorschlug, nach Dresden zu ziehen. In einem japanischen Buch über die DDR, mit vielen Bildern von damals verbreiteten Spielzeugen, Möbeln und anderen Alltagsgegenständen, hat sie von Märkten in Dresden gelesen, auf denen man all das kaufen könne. Sie war überzeugt, ihrer Kundschaft würden die Schmuckstücke aus Deutschland gefallen. Shinya könne doch nach Dresden fliegen und diese Sachen besorgen. Seitdem wohnt er hier.
Flohmärkte: Einmal im Monat schickt Shinya ein 20-Kilo-Paket zu seiner Mutter nach Japan, gefüllt mit Porzellan aus Colditz, geblümten Tischdecken, roten Baumkerzen und Kinderbüchern mit dem gelben Bären Bummi. Auf den Flohmärkten in Dresden läuft er jedes Wochenende zwischen den Ständen auf und ab, begutachtet fachmännisch die Auslage. An der Verarbeitung ihrer Rücken erkennt er, welche Bücher in der DDR veröffentlicht wurden. Am Ticken von alten Ruhla-Weckern hört er, ob sie noch gut funktionieren. Die Verkäufer*innen kennen ihn mittlerweile und grüßen herzlich. Shinya trifft sie auch auf Flohmärkten in Leipzig und Berlin, wo er ab und an auf Streifzug geht. Online verdient Shinyas Mutter mit seinen Offline-Marktkäufen rund 1.000 Euro im Monat. Erst vor Kurzem hat jemand für einen Teddybären, der Shinya 5 Euro gekostet hat, 150 Euro bezahlt. Sammler würden viel Geld für alles Mögliche ausgeben, erklärt Shinya. „Sie kaufen Kinderbücher, ohne ein Wort zu verstehen, weil ihnen die Zeichnungen gefallen.“
Kochen: Als Shinya vor zwei Jahren nach Dresden kam, hatte er noch keine Ahnung, wie er Geld verdienen würde. Das war ihm auch nicht so wichtig, solange er es in keiner Autofabrik tun musste. Er verschickte viele Bewerbungen, zum Beispiel für Jobs als Verkäufer. Geklappt hat es dann mit einer Ausbildung zum Koch in einem Dresdner Hotel. Die Arbeit macht ihm Spaß. Typisch deutsche Küche, „viel Schweinefleisch“. Zu Hause kocht er vor allem sein Lieblingsgericht: Pasta mit Tomatensoße. Und Hacksteak.
Hildegard Knef: Weil ihm alte Sachen gefallen, hat Shinya Archäologie studiert. Wenn er einen angestaubten Teddy vom Flohmarkt besonders schön findet, kommt er nicht ins Paket zu seiner Mutter, sondern bleibt in seinem Zimmer. Seine Vorliebe für Vergangenes zeigt sich auch in seiner Musiksammlung. Mehrere Platten von Hildegard Knef liegen ganz oben auf dem Stapel neben seinem Bett. Als eine seiner Mitbewohnerinnen ihm zum ersten Mal Musik von der 2002 verstorbenen Chansonsängerin vorspielte, war es um ihn geschehen. Seitdem ist Knef seine Lieblingssängerin. „Marlene Dietrich lege ich auch ganz gerne auf“, meint er. Die Texte versteht Shinya zwar nicht immer. Aber er liebt die Stimmen und die Atmosphäre.
Sächsisch: „Keene Ahnung“, „keen Bock“ und „weeßt, was ich meene“. Shinya hat in den letzten zwei Jahren nicht nur deutsch, sondern auch Dialekt gelernt. Auf der Arbeit und auf dem Flohmarkt kann er das gut gebrauchen. Sein digitales Wörterbuch hat er immer griffbereit in der Tasche. Bei allzu elaborierter Mundart streikt es jedoch.
Rassismus: Shinya mag Dresden sehr, vor allem das Elbufer und die vielen Brücken. „Manchmal fühle ich mich aber genervt“, sagt er. Genervt fühlt er sich, wenn ihn junge Deutsche anschauen und ihm „Ausländer weg“ oder „scheiß Asiate“ hinterherrufen. Shinya glaubt, dass die Leute, die das machen, wahrscheinlich betrunken sind. „Das ist … wie sagt man … ein bisschen schade.“ Auf Konzerte geht er nur mit Freunden. Alleine traut er sich nicht. Schüchtern ist er nicht, aber wenn ihn dann Deutsche so anschauen, „wie einen Ausländer“, dann ist ihm das unangenehm.
Unterschiede: „Deutsche sind sehr direkt“, meint Shinya. Vielleicht gibt es Klischees, die sind keine Klischees, sondern wahr. Shinya findet diese Direktheit schön, manchmal aber auch nicht. In Japan seien immer alle sehr höflich. Zu höflich, findet er. „Du weißt, was ich meine.“ Er legt beide Hände vor seiner Brust zusammen, beugt sich nach vorne und lacht. Japaner sollten lockerer sein. „Sie arbeiten zu viel“, sagt Shinya. In Deutschland würden die Leute nicht so viel arbeiten. „Die Deutschen genießen ihr Leben.“
Heimweh: Vor zwei Jahren, als er seinen Job im Toyota-Werk hingeschmissen hatte, wollte Shinya eigentlich nach Polen ziehen. „Weil ich gehört habe, dass es dort keine Japaner gibt.“ Meint er das ernst? Ja, er habe das gegoogelt. Wieder lacht er. Gerade war er für zwei Wochen in Japan bei seiner Familie. Heimweh hat er aber nicht. Nur eine Sache fehlt ihm: „Sushi. Das Sushi in Dresden ist sehr schlecht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern