Der Gasthof als Sozialstation: Diese Tür ist niemals zu
In den Gasthof unseres Autoren kommen immer wieder Überraschungsbesucher. Manche suchen Hilfe, manche nur eine Toilette. Willkommen sind sie alle.
M ontag hat das Gasthaus Ruhetag – kein Licht brennt, kein Betrieb in der Gaststube. Es war weit nach zehn Uhr abends, kurz bevor das Licht auf der Straße für die Nacht ausgeht, als es vor ein paar Wochen trotzdem klingelte. Ich öffnete einer älteren Dame die Tür, hinter ihr tuckerte ein Mercedes Coupé. Ihr Mann habe sich verfahren, sagte sie, und die Landstraße am Ortsausgang sei auch gesperrt. Sie wüssten jetzt gar nicht mehr, wie sie nach Nürnberg weiterkommen. Ich lud das Paar ins Haus und machte Licht im Gastraum.
Es gibt Menschen, für die ist eine abgesperrte Gasthaustür ein Widerspruch in sich. Und auch ein großes Hinweisschild auf den Ruhetag ist für sie völlig belanglos. Ich gehe inzwischen neugierig zur Tür. Die Leute haben schon ihre Gründe, warum sie läuten. Der Paketbote hat was abzugeben, der Nachbar hat eine lose Dachpfanne bemerkt, ein fremdes Gesicht sagt: „Mir ist das neue Gasthausschild aufgefallen. Ist wieder offen?“ – „Ja, seit über zwei Jahren, aber nicht heute.“ Und dann gibt es Leute, die wollen einfach ein Zimmer buchen.
Regelmäßig aber klingeln Menschen aus Not. Zugegeben: die meisten, weil sie aufs Klo müssen. Oder weil sie sich, trotz Navi, total verfranzt haben. Dass die Landstraße am Ortsausgang gesperrt ist, wird seit über einem Jahr kilometerweit groß vor unserem kleinen Ort angekündigt. Trotzdem strandet täglich jemand vor der Sperre.
Besonders häufig erwischt es Lkws aus Osteuropa. Die Trucker klingeln dann, um nach dem Weg zu fragen – als Erstes bei uns, beim Gasthaus. Ebenso kommen Wanderer, die ihre Trinkflasche auffüllen wollen. Wir hatten auch schon Radfahrer mit Platten oder E-Biker mit leerem Akku, und jedes Jahr bricht ein Auto genau vor dem Gasthaus zusammen.
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Ich mag die Anziehungskraft des Gasthofs auf Leute, die Hilfe suchen. Es folgt einem über tausendjährigen Erbe. Die Römer nannten Häuser mit Fremdenzimmern „hospitium“. Bis in das Mittelalter war es für Wirte Pflicht und Ehre, Pilger oder arme Reisende kostenlos aufzunehmen. Dann differenzierte sich das Herbergswesen – für Kranke gab es das Hospital, für Reisende das Hotel. Wenn es heute um gewerbsmäßige Gastfreundlichkeit geht, spricht die Gastronomie inzwischen neudeutsch von „Hospitality Management“. Nur meint sie damit oft gerade nicht, dass das Gasthaus manchmal auch eine Sozialstation sein muss, in der nicht jeder Service in Geld gemessen werden kann.
Aber ich finde, genau das ist notwendig. Denn das ist der Grund, der ein Gasthaus – egal ob kleine Pension oder Nobelherberge – zu einem Kulturgut macht.
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