Der Frauentag in Berlin: Kampf- oder Feiertag?
Zum dritten Mal ist der 8. März in Berlin ein Feiertag. Das Bündnis „Frauen*kampftag Berlin“ warnt, dass er damit zum Partytag verkommen könnte.
Die Wahl hätte auch auf den Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai oder den Reformationstag am 31. Oktober fallen können. Die gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Derya Çağlar sagte damals zur Begründung: „Der heutige Tag ist ein ganz großes Zeichen dafür, dass wir auf dem Weg der Gleichstellung von Frau und Mann weiterkommen.“
Und heute? Wird der 8. März als Kampftag genutzt? Oder als Tag, um das Wochenende zu verlängern? „Natürlich müssen wir das feiern“, sagt Çağlar der taz. „Es hat immer einen kleinen Beigeschmack, aber ich bin optimistisch, dass da sowohl mit Bedacht rangegangen wird und nebenher, wenn die Menschen auf die Straße gehen, immer auch die Ungleichheiten angesprochen werden, die es bis heute gibt.“ Vergangenes Jahr fiel der 8. März auf einen Sonntag, dieses Jahr findet er wegen der Pandemie als Kampftag nur sehr reduziert statt. Deshalb möchte Çağlar noch keine Bilanz ziehen: „Ich bin da guter Dinge. Der Frauentag wird ein wichtiger Tag bleiben, um für Gleichberechtigung auf die Straße zu gehen.“
Der 8. März ist ein internationaler feministischer Kampftag, um auf die Ungleichheit aufmerksam zu machen, die noch immer zwischen den Geschlechtern herrscht. Er wurde 1911 das erste Mal gefeiert und erlebt seitdem sehr unterschiedliche Formen: In Argentinien, Spanien und der Schweiz ist er oft Anlass zum Streik – um zu zeigen, was fehlt, wenn Frauen nicht mehr im Supermarkt kassieren, als Ärztin operieren oder zu Hause Kinder betreuen. Vielerorts verliert er den kämpferischen Grundgedanken, auch in Deutschland werden mancherorts Blumen verteilt und in Supermarktprospekten mit pinken Herzen für Pralinen zum Frauentag beworben. Viele Berliner:innen würden diesmal den Tag am Montag auch als verlängertes Ausflugswochenende nutzen, wenn nicht gerade Pandemie wäre.
Feiertag: In diesem Jahr jährt sich der Frauentag, Thema dieser taz-Ausgabe, zum 100. Mal. Und Berlin ist das einzige Bundesland, in dem der 8. März als gesetzlicher Feiertag gilt. Das ist so seit 2019.
Kampftag: Feier- und damit für viele auch arbeitsfreier Tag aber heißt ja nicht, dass es da an dem Tag nichts zu tun gäbe. Hinweise auf Veranstaltungen zum Frauentag, vornehmlich im digitalen Raum, finden sich auf www.berlin.de. Was auf der Straße an Aktionen passieren soll, ist auf frauenkampftagberlin.wordpress.com zu erfahren.
Dass es zu diesem Nebeneinander der Bedeutungen kommt, sieht Anja Kofbinger, Sprecherin für Frauen-, Gleichstellungs- und Queerpolitik der Grünen, gelassen: „Für mich ist es in erster Linie ein Kampftag, aber das kann jeder so sehen, wie er möchte.“ Den 8. März nimmt sie als Dreiklang aus Feier-, Gedenk- und Kampftag wahr. „Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, obwohl ich keine Evaluation habe, dass die meisten es als Feiertag ansehen. Das ist gar nicht schlimm. Nichtsdestotrotz hat er seine Bedeutung“, sagt Kofbinger.
Maren Jasper-Winter, frauenpolitische Sprecherin der FDP, hält den Feiertag für Symbolpolitik: „Der ein oder andere wird sich jetzt freuen, weil er freihat. Die Situation der Frauen ist aber nicht so: ‚Yippieyeah, ein Feiertag!‘ Mir geht es um Inhalte. Man müsste so viel mehr für Frauen, aber auch Familien machen“, sagt Jasper-Winter der taz. Die Verantwortung sieht sie bei der rot-rot-grünen Senatsverwaltung: „In Berlin gibt es zu wenig Frauenhausplätze und keine einzige rein präventive täterorientierte Einrichtung, um Gewalt zu verhindern.“
Kritik am Feiertag gibt es auch von feministischen Aktivist:innen. „Es gibt die einen, die den Feiertag gut finden. Und die anderen, die lieber ganz rebellisch ihre Lohnarbeit bestreiken wollen und das nicht können, weil sie freihaben“, erklärt Katrin Wagner, eine Organisatorin vom Bündnis „Frauen*kampftag Berlin“. Das Bündnis besteht seit 2013 und setzt sich zusammen aus verschiedenen Organisationen und Gewerkschaften wie beispielsweise dem „Netzwerk Care“, GEW und Verdi.
Wagner beobachtet, wie der 8. März zum öffentlichen Thema wurde, weil er zum Berliner Feiertag erklärt wurde: „Ich habe schon das Gefühl, dass der 8. März das ist, was der Arbeitskampftag am 1. Mai mal sein wollte. Mittlerweile ist der 1. Mai ein Partytag. Wir müssen aufpassen, dass der 8. März nicht dazu verkommt.“
Ihr Wunsch ist es, dass alle feministischen Zusammenschlüsse am 8. März bundesweit auf die Straße gehen. „Mit einer feministischen Bewegung, die Massen auf die Straßen bringen kann, wie das in Ländern Lateinamerikas der Fall ist“, sagt Wagner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?