„Ich nutze Fotografie, um mich auszudrücken“

In seiner Kunst schlüpft der in Kamerun geborene Fotograf Samuel Fosso möglichst authentisch in immer neue Rollen. Nun ist diese im Neuköllner Kindl erstmals in Deutschland zu sehen

Von Maxi Broecking

Das Gesicht ist hinter einer großen dunklen Sonnenbrille verborgen, das Hemd mit dem extrabreiten Kragen geöffnet, die Haltung: lässig, entspannt, selbstbewusst. So präsentiert sich 1976 der damals 14-jährige Fotograf Samuel Fosso, dessen Arbeiten gerade in seiner ersten Retrospektive in Deutschland im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst in Neukölln zu sehen sind. Ein Reenactment ikonischer Mode- und Pressebilder aus der Schwarzen Popkultur, die der junge Fotograf in seinem mobilen „Studio Photo Nationale“ in Bangui nachstellte, das er im Alter von 13 Jahren eröffnet hatte.

Tagsüber fotografierte er Passbilder und Familien, abends schlüpfte er in die Rolle seiner Idole. So entstand zwischen 1975 und 78 die beeindruckende Selbstporträt-Serie „70s Lifestyle.

Das Bild erinnert an Miles Davis, 1968 in New York vor seinem Haus von Don Hunstein aufgenommen, hinter der großformatigen Philippe-Chevallier-III-Sonnenbrille. Solche Vorlagen entdeckte Fosso in Magazinen, die durch das US-Peace Corps in die Zentralafrikanische Republik kamen. Andere Einflüsse waren die Stars der westafrikanischen Popmusik, wie die Kleidung und Posen des Highlife-Musikers Prince Nico Mbarga. Durch reinszenierte Selbstporträts suchte Fosso die Suche nach Identität. Nach der eigenen und einer panafrikanischen in der Zeit der damals jungen Demokratiebewegung auf dem Kontinent.

Selbstporträt aus der Serie „70’s Lifestyle“, 1975–1978 (oben) und „La bourgeoise“ aus der Serie „Tati“, 1997 (unten) Fotos: Collection Maison Européenne de la Photographie, Paris (oben), © Samuel Fosso

„Ich nutze ikonische Fotografie, um mich auszudrücken“, so Fosso. Als Kind erlebt der 1962 in Kamerun geborene und dann bei den Großeltern in Nigeria lebende Fosso den Biafra-Krieg. Danach habe ihn sein Onkel, ein Straßenfotograf, zu sich nach Zentralafrika geholt. „Als ich von ihm gelernt hatte, wie man fotografiert, begann ich über die Geschichte von Sklaverei nachzudenken. Meine ersten eigenen Fotos machte ich, um sie meiner Großmutter zu schicken – ohne zu wissen, ob es Kunst werden würde.“

Am Eingang der Ausstellung hängt das Bild „La Bourgeoise“ aus der Serie „Tati“, das Samuel Fosso als Frau zeigt: in schwarzem, schulterfreien Paillettenkleid, mit weißer Fellstola und Schmuck, vor einem roten Bühnenvorhang glücklich in die Kamera lächelnd. Als Fosso bei der Biennale für afrikanische Fotografie in Bamako 1994 den ersten Preis gewann, beauftragte ihn das französische Kaufhaus Tati mit einer Werbekampagne. Doch er wollte etwas Eigenes schaffen. „Ich wollte nicht zum Schwarzweißstil zurückkehren, wie es vor mir Seydou Keïta und Malick Sidibé (berühmte Porträt- und Werbefotografen aus Mali, die zur Zeit der Unabhängigkeit des Landes 1960 ein neues Selbstbewusstsein visualisierten Anm. d. Red.) für ihre Tati-Aufträge getan hatten. Mein Ziel war, in meiner Arbeit eine neue Richtung einzuschlagen. Ich wollte an diejenigen erinnern, die unter der Sklaverei gelitten haben und auch heute noch unter Ausbeutung leiden, wie die Afroschwarzen und die Afroafrikaner, vor allem die Frauen und die Mütter. Aber wenn ich die Geschichte einer Frau ausdrücken will, muss ich mich selbst in eine Frau verwandeln, um sie besser zu verstehen.“

Bis heute setzt Fosso seine künstlerische Praxis fort, glaubwürdig in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Wie in seiner 2008 begonnenen Serie „African Spirits“ mit Prot­ago­nis­t*in­nen der US-amerikanischen und panafrikanischen Befreiungsbewegungen, wie Martin Luther King jr., Patrice Lumumba, oder Muhammad Ali. Als Vorlage nutzte er Pressebilder und Fahndungsfotos. Ein Bild zeigt ihn als Muhammad Ali in Märtyrerpose, durchbohrt von Pfeilen, in Anlehnung an Botticellis Gemälde des heiligen Sebastian. Ein Titelfoto für das US-Magazin Esquire, nachdem Ali sich geweigert hatte, für die USA in den Vietnamkrieg zu kämpfen. Für Fosso war es der Inbegriff von Auflehnung gegen Rassismus und Fremdbestimmung.

Die zuletzt zu sehenden wandhohen Aufnahmen gehören zur 2017 entstandenen Serie „Black Pope“. Obwohl die Mehrheit der katholischen Gläubigen Schwarz sei, habe es noch keinen Schwarzen Papst gegeben. Um die Rolle eines „Black Pope“ zu verkörpern, ließ sich Fosso eigens ein Gewand vom Schneider des Papstes anfertigen.

Fotos seien ein wichtiges visuelles Zeugnis, erklärt Fosso. „Durch den Kolonialismus gibt es keine Bücher mit unserer Geschichte, um den Kindern beizubringen, wie unsere Vorfahren gelitten haben.“ Nach der Kolonialisierung habe es diesen Geist von Pan-Afrika gegeben, aber inzwischen regiert Nativismus. Und: „Die alten Strukturen der Ausbeutung sind noch vorhanden.“

Samuel Fosso: „Black Pope“. Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst, bis 16. 2. 2025