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Der Fall Sami A.Seehofer ließ Abschiebung laufen

Neue Angaben der Bundesregierung zeigen: Das Innenministerium hätte verhindern können, dass das Gericht umgangen wurde.

Wusste Bescheid, handelte aber nicht: Innenminister Horst Seehofer Foto: reuters

Das Bundesinnenministerium, BMI, von Horst Seehofer (CSU) hätte die Abschiebung des Islamisten Sami A. nach Tunesien verhindern können. Dem Ministerium waren die relevanten Informationen rechtzeitig bekannt. Das ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag, die der taz vorliegt.

Am 9. Juli informierte demnach die Bundespolizei das Seehofer-Ministerium über die Planung für einen „Rückführungsflug“ am 13. Juli. Am Abend des 11. Juli informierte zudem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bamf, das Innenministerium darüber, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vor der Abschiebung unbedingt noch über ein mögliches Abschiebehindernis, nämlich drohende Folter, entscheiden wollte. Offensichtlich wusste das Gelsenkirchener Gericht aber nichts von dem am 13. Juli geplanten Flug.

Dennoch verzichtete das Bundesinnenministerium darauf, die Richter direkt oder indirekt via Bamf zu informieren. „Das BMI hat sehenden Auges eine illegale Abschiebung über die Bühne gehen lassen“, kritisiert deshalb die Linkspartei-Abgeordnete Ulla Jelpke.

Die Bundesregierung ist sich keiner Schuld bewusst. Die Absicht des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, „eine Entscheidung zu treffen, die einer Abschiebung entgegensteht“, sei nicht bekannt gewesen.

Bundesregierung redet sich raus

Das ist aber ein semantischer Trick. Ein Gericht kann vor der Entscheidung nicht ankündigen, wie die Entscheidung ausfällt, sonst wären die Richter befangen. Dass jedoch eine Entscheidung des Gerichts bevorstand, wusste das Seehofer-Ministerium und ließ die Abschiebung dennoch geschehen.

Allerdings war nicht der Bund für die Abschiebung zuständig, sondern das Land Nordrhein-Westfalen. Insofern war auch das Land hauptsächlich dafür verantwortlich, die mehrfachen Fragen des Gerichts nach dem Abschiebetermin zu beantworten. Der verantwortliche Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hat sich zwar inzwischen dazu bekannt, dass das Verwaltungsgericht gezielt nicht informiert wurde, um die Abschiebung nicht zu gefährden.

Es ist aber unklar, ob das BMI von dieser Geheimhaltungsstrategie wusste. Und wohl nur dann hätte sich für das BMI eine Pflicht ergeben, am zuständigen Land vorbei Schritte zum Stopp der Abschiebung zu unternehmen.

Sami A. immer noch im Ausland

Stamp verzichtet bisher darauf, die Verantwortung auch ans BMI weiterzugeben – obwohl viel dafür spricht, dass er mit dem BMI über die Geheimhaltungsstrategie gesprochen hat. Grund hierfür könnte sein, dass die erfolgte Abschiebung von Sami A. (einem angeblichen Ex-Leibwächter von Osama Bin Laden) in der Bevölkerung ziemlich populär ist und nur Juristen und Bürgerrechtlern kritisieren, dass das Gericht dabei ausgetrickst wurde.

Anders als vielfach angenommen, hat auch noch kein Gericht entschieden, dass das gezielte Verheimlichen des Abschiebetermins gegenüber der Justiz rechtswidrig war. Als illegal gilt die Abschiebung von Sami A. bisher nur, weil das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Beschluss über ein Abschiebehindernis noch während der laufenden Abschiebung den Behörden zustellte und NRWs Innenminister Stamp die Abschiebung dennoch nicht gestoppt hatte.

Sami A. ist immer noch in Tunesien. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat das Land jedoch verpflichtet, A. zurück nach Deutschland zu holen.

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23 Kommentare

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  • Ich finde ja auch, dass die meisten Kommentatoren hier recht haben. Wir sollten jetzt endlich die Gerichte abschaffen, sind eh viel zu teuer und die Urteile, für die diese Gerichte bisher zuständig waren, die werden wir dann mit dem gesunden Volksrechtsempfinden abends beim Fernsehen durch das Telefonvoting ermitteln ....

    So, und jetzt muss ich los, ich habe irgendwo meine Ironie verloren ...

    • @Sven Buchien:

      Wenn Sie aus den Kommentaren herausgelesen haben, dass jemand die Abschaffung der Gerichte fordert, dann haben Sie ein massives Bildungsproblem.

      • @Karavanserai:

        Einer von uns Beiden eventuell. Aber das liegt dann nicht unbedingt an meiner Interpretationsebene für die hier abgegebenen Kommentare ...

  • Seehofer hatte sich in den letzten Wochen selbst ins politische Abseits manövriert. Er war politisch quasi tot. Und nun ist es die politische Linke, die ihn wieder zum Leben erweckt. Die Bayernwahl ist für die CSU wieder offen.

  • "Allerdings war nicht der Bund für die Abschiebung nicht zuständig, sondern das Land Nordrhein-Westfalen."

    Da ist ein "nicht" zu viel

  • Danke für die Information, jetzt werde ich erst Recht im Oktober CSU wählen!

    • @insLot:

      Also sind sie für die Abschaffung von Gerichten und gegen die Rechtsstaatlichen Prinzipien dieses Landes?



      Warum wählen sie dann nicht gleich APPD?

      • @Sascha:

        Ist die CSU für die Abschaffung von Gerichten? Dann sollten Sie noch heute einen Verbotsantrag stellen.

        • @Karavanserai:

          ich beziehe mich auf Inslot, der ja für die Informationen im Artikel danke sagt und es begrüßt, dass sich die CSU mit semantischen Tricks aus der Affäre zieht.

          • @Sascha:

            Sie haben ihn also bewusst fehlinterpretiert?

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Hört doch endlich auf über diesen Verbrecher zu berichten.



    Er ist weg und das ist gut so.Gefoltert wurde er nicht und wird auch nicht, ist anzunehmen. Also lasst ihn in Tunesien . dort ist er ja auch kein unbeschriebenes Blatt.



    Die Zahl der islam. Gefährder ist so hoch wie nie.



    www.focus.de/polit...on_id_8700369.html

    Wie sollen die alle überwacht werden? Das kostet extrem viel Geld und ist ein enormer Aufwand.



    Einer ist weg, Punkt!

    • @98589 (Profil gelöscht):

      Das entspricht nicht der Bergpredigt. Holen wir ihn zurück um ihm die rechte Backe richtig hinzuhalten. Im Übrigen ist er mangels Verurteilung allenfalls ein religiöser Spinner - aber kein Verbrecher.

      Was spricht gegen gut bezahlte Arbeitsplätze im Überwachungsgewerbe - und noch besser bezahlte Arbeitsplätze im Justizwesen.

    • @98589 (Profil gelöscht):

      Auch nochmal für Sie: es geht in dem Fall um das hohe Gut der Gewaltenteilung. Die kann man nicht eben mal so aushebeln, weil der Zweck für Sie die Mittel heiligt.

  • Wenn Sami A auf Steuerzahlerkosten zu unrecht abgeschoben wurde, dann auf Steuerzahlerkosten zurück geholt würde, um schließlich ein zweites mal abgeschoben zu werden, auf Steuerzahlerkosten, dann würden die Leute nicht nur den Kopf schütteln, sondern vielleicht landete dann die SPD endlich bei ihren verdienten 4%.

    • @Karavanserai:

      Es geht in dem Fall um die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze, und die sollte uns schon ein paar Steuereuros wert sein.



      Der Fall Sami A. und die dazugehörigen Beiträge in diversen Foren zeigen deutlich, dass der hohe Wert der Gewaltenteilung für die Demokratie von vielen Leuten nicht ansatzweise begriffen worden ist.

      • @Kolyma:

        Ob unserem Staat bei einem Bürger, dessen Fall nicht in den Medien breit getreten wird, die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards auch so viel Steuergelder wert sind?

        Der Fall Sami A. wird primär politisch instrumentalisiert.

        • @Karavanserai:

          Der Fall wird nicht politisch instrumentalisiert, er ist politisch.



          Und er ist deshalb politisch brisant, weil bis in hohe politische Kreise geduldet wurde, dass das Gericht gezielt ausgetrickst wurde, wohl in der Hoffnung, mit der Abschiebung in populistischen Kriesen zu punkten.



          Politischen Entscheidungsträgern sollten aber die Erfüllung rechtsstaatlichen Grundsätze wichtiger sein als der Beifall der einen oder anderen Bevölkerungsgruppe.

  • Ich möchte nicht wissen, in wie vielen Tausenden von Fällen jährlich in Deutschland normalen Bürgern Unrecht geschieht, durch Gerichte oder Sicherheitsbehörden, ohne über Macht, Presseinteresse und Lobby zu verfügen, sich gegen das Unrecht zu wehren. Man hat sich mit Sami A. den falschen Präzedenzfall ausgesucht. Weder SPD, noch Linke kann damit bei der Bevölkerung Punkte sammeln.

    • @Karavanserai:

      Ihrer Aussage stimme ich zu. Die Sami A.-Blase ist ein großes Wahlkampfgetöse. Die Fakten sind doch: Ein islamistischer Gefährder ist wieder zurück in seiner Heimat. Das ist gut so. Ihm droht offensichtlich keine Folter, denn er wurde sogar freigelassen. Das ist auch gut so. Und nicht zuletzt haben wir in Deutschland einen islamistischen Gefährder weniger. Konzentrieren wir uns wieder auf die wirklich wichtigen Dinge.

      • @Klardenker:

        Bingo.

        • @Karavanserai:

          Nur:



          Wenn Ministerien schon bei einem Fall, der journalistisch derart Aufmerksamkeit erregt, sagen, dass es ihnen Wurscht ist, was ein Gericht sagt, dann werden gerade die Fälle, die nicht die mediale Aufmerksamkeit bekommen, noch weniger Gerechtigkeit erfahren.



          Man kann auch nicht einfach erlauben, zukünftig 200 km/h in der Stadt zu fahren, wenn es einmal nicht zu einem Unfall gekommen ist.

          • @Age Krüger:

            Die Rechten sagen, dass die Linken am Lautesten Rechtstaat rufen, wenn es um die Menschenrechte von Verbrechern geht.